Nach einer Promotour in unseren Landen zum aktuellen Longplayer "Beyond The Red Mirror" im Frühjahr diesen Jahres, einer anschließenden Worldtour mit Konzerten in Kanada und den Vereinigten Staaten, die Ende November ihren Abschluss finden, kehren Blind Guardian zum Ende des Jahres nochmal zu alter Wirkstätte zurück und entlassen in Osnabrück ein begeistertes Metalpublikum in die wohlverdienten Weihnachtsferien. Mit im Gepäck, wie schon auf der Frühjahrstour, die israelischen Orphaned Land. Ein paar Worte zum heutigen Veranstaltungsort. Der modern und hell gestaltete Europasaal liegt im Zentrum der niedersächsischen Stadt und bietet inklusive Empore Platz für rund 1750 Gäste. Unbestuhlt haben als Großfläche rund 2900 Leute Platz. Die trapezförmige Bühne hat eine Breite von etwa 23 m. Der Boden besteht aus Parkett. Ausgereifteste Klang- und Lichttechniken garantieren hier ein optimales Konzerterlebnis. Aufgrund der Größe der Location finden hier leider nur sehr selten Metalkonzerte statt, so sich selbige Events, nach Angaben des Veranstalters, erst bei etwa 1500 zahlenden Besuchern auch wirklich lohnen. Die Erzähler der Mythen des Autoren J.R.R. Tolkien lassen am heutigen Tage etwa 1200 - 1400 Kuttenträger in die gepflegten Einrichtungen strömen.
Um Punkt 20:00 Uhr entern dann die fünf Israelis von Orphaned Land zum Titeltrack ihres letzten, 2013 erschienenen Albums "All Is One" die Bühne und werden von den Fans bereits mit rhythmischem Klatschen empfangen. Trotz des großen, schwarzen Backdrops mit goldenem Schriftzug der Band, welches offensichtlich die Aufbauten des Headliners verdeckt, bietet die Bühne dabei ausreichend Platz für die Combo. Sänger Kobi Farhi agiert dabei fast nur mittig und erscheint heute in einem dunkelgrauen oder auch schwarzen, recht noblen Pullover. Das übliche Gewand hat er wohl zu Hause gelassen. Seine verdeckte Brust ziert eine Kette mit zwei sich umwindenden Schlangen. Etwas nach links versetzt, das nahezu über die gesamte Show mit klasse Spots ausgeleuchtete Schlagzeug. Und Matan Shmuely versteht sein Handwerk, wie kein Zweiter. Absolut gekonnt lässt er die Sticks durch seine Finger wirbeln, trifft Becken, Snares und Toms mit traumwandlerischer Sicherheit und hat dabei genügend Zeit, zwischendurch noch aufzuspringen und die Fans anzuheizen. Flankiert wird er von Chen Balbus, einem ebenso genialen, wie super sympathisch rüberkommenden Gitarristen. Und die Saitenfront verrichtet hier wirklich Schwerstarbeit mit höchst komplexen, sehr progressiven Arrangements. Ich kann nicht umhin, aber die Jungs machen wirklich Spaß. Nach dem hymnischen "Kiss Of Babylon" geht es mit einem klasse orientalischen Keyboard in "Olat Ha'tamid", das wirklich richtig groovend und stampfend erscheint. Einzig die für unsere Ohren etwas ungewöhnlichen Gesangparts dürften auf Dauer etwas nerven. Auch "Sapari" treibt mit seinem schnellen Schlagzeug die Meute so richtig voran. An sich hält sich Kobi mit seinen Ansagen heute ziemlich zurück. Vor dem mal hymnisch, mal balladesk arrangierten "In They Neverending Way" muss er aber kurz darauf hinweisen, dass er nicht Jesus sondern eher eine Jungfrau ist und hat natürlich damit die Lacher auf seiner Seite. Beim Rausschmeißer "Norra + El Norra", das wieder sehr kraftvoll inszeniert daher kommt, jumpt dann auch wirklich alles und zwar auf, wie auch vor der Bühne. Ein kurzer Hinweis auf das Merch und die Vorstellung der Band beenden dann nach 45 Minuten ein wirklich gelungenes Set.
Um viertel nach neun lässt dann "The Ninth Wave", der Opener vom neuen Opus "Beyond The Red Mirror", die Fans von Blind Guardian jubeln. Trotz seiner beeindruckender Länge von knapp 10 Minuten funktioniert das Ding sofort und alle sind gleich richtig dabei. Mit "Banish From Sanctuary" geht es mit den blinden Wächtern zurück in das Jahr 1989 und auch beim nachfolgenden Burner "Nightfall" zeigt sich Osnabrück absolut textsicher. Mastermind Hansi Kürsch, auch er ist sehr adrett gekleidet und passt in diesem Outfit eher auf eine Versammlung von Geschäftsführern denn auf eine Metalstage, lässt es sich nehmen, nach jedem Track kurz inne zuhalten, wohlwollende Worte an sein Publikum zu richten, den nächsten Song anzukündigen oder wie vor "Fly" darauf hinzuweisen, dass heute alles für die nächste Livescheibe aufgezeichnet wird. Verständlicherweise gehen dabei seine letzten Worte in einen nicht enden wollenden Jubel über. Beste Voraussetzungen für das nachfolgende schnelle, treibende und galoppierende "Tanelorn", während "Prophecy" vom neuen Werk die zuletzt extrem progressive Seite von Guardian wiedergibt. Zur aktuellen Besetzung gehören neben den beiden Gitarristen Marcus Siepen und Andre Olbrich auch der entblößte Schlagzeuger Frederik Ehmke, der auf seinem gewaltigen Kit über allem thront. Die ganze Zeit nur sehr fade ausgeleuchtet, verbleiben der Keyboarder und auch der Basser leider vollends im Hintergrund. Noch ein paar Worte zur Lightshow. Die vier Spots im Background mit wechselnden Farben und weiteren vier weißen Spots im vorderen Bereich sorgen auch schon bei Orphaned Land für tolles Licht. Bei Blind Guardian gibt es nun zusätzlich drei schräg herunterhängende Lichtsysteme mit jeweils vier Strahleranordnungen, die aus jeweils sechzehn Einzelspots bestehen und in ihrer Komplexität mächtig an die Rotoren bei Rammstein erinnern. Das ganze Ding kommt zwar sehr steril und technisiert daher, taucht die Bühne aber in beeindruckenden und fantastische Lichtspielereien, die ich so noch nie gesehen habe. "...Somebodies out there..." ist der letzte Refrain von "The Last Candle" und wird vom Publikum frenetisch mitgesungen, bis es selbst Hansi dann reicht. Allein seine Versuche aufzuhören, werden einfach übersungen, so dass sich der Chorus noch minutenlang dahinzieht. Die Songliste ist heute wirklich fantastisch und erfasst nahezu alle Phasen der Gruppe. Mit dem balladesken und mit Akustikgitarren garnierten "Miracle Machine" ist dann wieder das neue Werk an der Reihe, ehe Herr Kürsch kurz über Frodo und Sauron sinniert und so in das epochale "Lord Of The Rings" einführt. Und, wen wundert es, wieder eine klasse, nicht enden wollender Refrain. Vom wahrscheinlich besten Blind Guardian Album aller Zeiten, nämlich "Nightfall in Middle-Earth" aus 1998, werden dann "Time Stands Still" mit Hammerriffs und das metallische "The Curse Of Feanor" nachgelegt, ehe die Single "And Then There Was Silence" mit ruhigen Parts und wieder minutenlangen Mitmachparts den ersten Teil der Setlist beendet. Im ersten
Encore folgen dann das genial starke "Sacred Worlds", das schnelle und mit richtig coolen Vocals dargebrachte "Twilight Of The Gods" sowie das rasende und mit abgehackten Leadgitarren performte "Valhalla". Und nochmal ist Schluss. Aber halt, da fehlt doch noch was. Das Intro zu "Into The Storm" kommt vom Band. Einfach genial dieses ellenlange Solo. Wir gehen zurück in das Jahr 1992. Damals und all die Jahre darauf entzündeten sich nun tausende Feuerzeuge und heute? Handydisplays bei "The Bard's Song". So schnell ändern sich die Zeiten. Dennoch die Romantik und das Wir-Gefühl bleiben. Mit "Mirror, Mirror" übrigens nochmals von "Nightfall in Middle-Earth" ist dann endgültig Schluss. Endgültig? Nix da, Osnabrück ist Guardian-Land und trotz Abschlussfotos der Band wird, wie auf Kommando aus tausend Kehlen "Majesty" vom allersten Album "Battalions Of Fear" angestimmt. Herr Kürsch, eigentlich total platt, lächelt und kann natürlich dem Charme seiner Fans nicht widerstehen. Also tatsächlich knapp zweieinhalb Stunden Blind Guardian vom Feinsten und der Opener des allerersten Albums beschließt eine wahrhaft denkwürdige Schlacht um Mittelerde. Da haben sich die für knapp über 40 Euronen angepriesenen Tickets für den Innenraum wahrlich gelohnt.