Das fast nur aus Damen bestehende Dreier-Package Thundermother, Cobra Spell, Vulvarine, war in diesem Jahr schon umtriebig auf Tour. Die Tour startete Anfang Februar und beinhaltet nicht nur viele Dates in Deutschland, sondern auch Spanien wurde beackert. Der Termin in der Zeche in Bochum war bereits nach der Essigfabrik in Köln, der zweite Gig in Nordrhein-Westfalen. Die Zeche war ausverkauft. Ich kann mich an den letzten Doro-Auftritt hier erinnern, wo die Venue ebenso voll war. Die Zeche ist ein altehrwürdiger, traditionsreicher Ort, an dem ich mein erstes Konzert 1985 gesehen habe und danach viele großartige Events erleben durfte. Das Line-Up des heutigen Abends sollte sich da nahtlos einreihen. Die schwedisch All-Girl-Formation Thundermother ist mittlerweile eine feste Institution in der Rock- und Metal Welt. Trotz des erneut stattgefundenen kompletten Bandumbaus 2023, ist die Truppe um Gitarristin, Songwriterin und Chefin Filippa Nässil voll auf Erfolgskurs. Filippa ist im letzten Jahr Mutter geworden und hat selbstredend den Nachwuchs mit auf Tour. Mit dem neuen Werk „Dirty & Devine“, der mittlerweile sechsten Langrille, sind die Damen in aller Munde und werden am Abend gleich von zwei weiteren starken Formationen begleitet.
Den Anfang macht die österreichische All-Female-Truppe Vulvarine und heizt mit Songs wie „The Drugs, The Love And The Pain“ oder „Fool“ provokant ein. Der lebendige, punkige Rock der Damen, kombiniert mit einen energiegeladenen Stage-Acting weiß zu gefallen. „Heads Held High“ bleibt ebenfalls gut in Erinnerung und daß man auch Modern Talking verrocken kann, stellt der Vierer mit „Cherie, Cherie Lady“ unter Beweis. Kleiner Schwachpunkt ist die etwas dünne, kraftlose Stimme der Sängerin, die den anderen beiden Frontfrauen des Abends nicht das Wasser reichen kann. Auf jeden Fall war die Meute gut aufgewärmt für das nächste Highlight des Abends.
Cobra Spell ist die Band von Shred-Queen Sonia Anubis. Sonia war einige Zeit unter anderem bei den Burning Witches, bevor sie ihre eigene Kapelle Cobra Spell gründetet. Hier hat sie das Sagen und bestimmt, wo der Hase langläuft. Die von der Statur her großgewachsene, schlanke Gitarristin und ihr Gefolge, legen nach einer kurzen Umbaupause, bei der die Musiker, wie bereits in der Vergangenheit, ihre eigenen Roadies sind, mit dem Intro „666“, gefolgt von „The Devil Inside Of Me“ los. Auch bei Cobra Spell drehte sich erneut das Personal-Karussell. Bassistin Roxana Herrera und die Rhythmus-Gitarristin Noelle Dos Anjos mußten, nach kurzer Zugehörigkeit, die Band wieder verlassen und wurden kurzfristig, ohne große Ankündigung ersetzt. An der Gitarre hat Chefin Sonia nun ihren Ehemann Adri Funerailles dazugekommen. Bleibt für ihn zu hoffen, daß er wenigstens zu Hause was zu melden hat, haha. Adri ist somit der einzige männliche Vertreter an dem gesamten Abend. Das ein oder andere kleine Solo darf er auch übernehmen. Sonias Gitarren-Sound finde ich an dem Abend etwas synthetisch. Den habe ich bei der Ausnahme-Gitarristin schon anders erlebt. Aber sicherlich auch ein Mixing-Thema. An den Drums brilliert die quirlig, drollige Hale Naphta und zaubert scheinbar locker aus den Handgelenken ein amtliches Metal-Schlagwerk. Hin und wieder spielt sie sogar im Stehen. Es macht einfach Spaß ihr zuzusehen. Kristina Vega an den Lead Vocals ist für mich konkurrenzlos die beste Sängerin des Abends. Sie ist eine der besten Metal-Sängerinnen überhaupt und singt schon noch in einer anderen Liga als ihre Kolleginnen des Packages, wobei der Anspruch der Musik von Cobra Spell dies auch abverlangt. Denn stilistisch passen eher Vulvarine zum Headliner. Aber weiter geht es mit Hymnen wie „Satan Is A Woman“, „S.E.X.“ und „Warrior From Hell“ bevor mit „Addicted To The Night“ vom gleichnamigen Erstlingswerk ein fantastischer Auftritt der spanischen Band beendet wird. Schmerzlich vermißt hatte ich „Love=Love“, den für mich besten Song der Formation. Zum Schluß seien nochmal Sonias Saitenkünste zu erwähnen. An sie kommt, was Schnelligkeit und Präzision angeht, aus der Damenliga so schnell keiner ran. Von Cobra Spell darf man noch einiges in Zukunft erwarten und es ist gut anzunehmen, daß die Truppe um Sonia Anubis schon bald einen Status wie der Headliner des Abends innehaben wird.
Nun wurde es aber Zeit für die Hauptband Thundermother. Die eingangs erwähnten Trennungs-Dramas der alten Thundermother Band sind mittlerweile Geschichte. Die drei Ex-Mitstreiterinnen haben nun ihre eigene Truppe und der Rock ´n´ Roll-Train läuft weiter. Bandleaderin Filippa Nässil, Sängerin Linnéa Vikström, die zurückgekehrte Basserin Majsan Lindberg (sie war von 2019–2021 bereits dabei) und Drummerin Joan Massing betraten die Bretter und es gab kein Halten mehr. Bei einem dermaßen hochwertigen Songmaterial, wie dem Opener „Can You Feel It“ „Bright Eyes“, oder „Loud And Free“ ist das auch kein Wunder. Filippa Nässil ist keine Floyd-Rose-Tremolo-Shredderin, sondern agiert mit ihrer Gibson-Explorer eher in der Manier wie alte Hardrock-Gitarristen der Siebziger, was sehr gut zu den Kompositionen paßt. Weniger ist mehr ist eher ihre Devise. Legenden wie Ace Frehley (ex-Kiss), Andy Scott (Sweet) oder Angus Young (AC/DC) standen bei ihr Pate. Hier stimmt auch der typische Marshall-Sound. Die authentische Neusängerin Linnéa Vikström verfügt über ein kräftiges, facettenreiches Organ, wobei ihr etwas der letzte Dreck in der Stimme der Vorgängerin fehlt. Aber dies fällt nicht wirklich ins Gewicht und schmälert so die Qualität er Gesamtdarbietung keinesfalls. Linnéa ist keine Frau, die unbedingt auf weibliche Reize setzt. Sie ist kein Schmink-Mode-Püppchen-Typ. Ich könnte sie mir eher bestens als Truck-Driverin, Knast-Aufseherin oder ähnliches vorstellen. Ab und an hängt sie sich auch eine weiße Flying-V um und unterstützt Filippa mit kernigen Akkorden.
Bei dem Smasher „Shoot To Kill“ macht die Sängerin sogar eine Runde durchs Publikum, kämpft sich singend einen Weg bis zur Bar im oberen Bereich und läßt sich dort ein Bier zapfen. Highlight des Auftritts ist der Über Song und die erste Zugabe „Hellevator“. Ein Song der Extraklasse, den man nicht mehr aus Ohr bekommt. Alle Kompositionen von Thundermother sind eingängig und originell. Auch wenn sie die Rock-Geschichte nicht neu schreiben, beinhalten die Titel sämtliche Trademarks großer Helden, wie AC/DC, Twisted Sister, Kiss oder Aerosmith und haben Hitpotential.
Nach „Speaking Of The Devil“ und „Driving In Style“ ist dann endgültig Schluß und die Donnermütter hinterlassen ein begeistertes Publikum. Es ist an der Stelle nochmal zu betonen, daß es sich an dem Abend um ein wirklich lohnendes Package handelte und nicht nur ein Top-Act mit zwei Gurken-Truppen. Alle drei Bands gaben alles und können sich gerne wieder Blickenlassen. Die Rock-Welt hat genug Formationen, die die alten Helden nun ablösen können. Daher ist solch ein Abend ein anderes Erlebnis als das x-te Mal bei einer scheinbaren Reunion-Tour alter Säcke abgezockt zu werden.