BABYLON - Ein Befreiungsschlag...


Im Moment reden alle über das 25-Jährige des Mauerfalls, aber kaum jemand redet darüber, dass die DDR auch eine recht große Metalszene hatte. Die Größten waren wohl ohne Zweifel Formel I, aber auch Babylon waren relativ bekannt. Eigentlich ist es schade, dass heute kaum noch jemand über sie redet! Dabei erschien 2009 noch eine 3CD-Box, in der alle ihre Aufnahmen enthalten waren. Woran lag es? Wird der Osten von den „Wessis“ immer noch etwas schief angeguckt? Oder lag es daran, dass die Bands in der DDR deutsche Texte hatten, die vielen Hörern peinlich waren? Schwer zu sagen... Ich habe jedenfalls Kontakt zu Ex-Babylon- und Formel I-Gitarrist Wolle Densky Kontakt aufgenommen, und dieser hat mich wiederum an meinen Gesprächspartner Hubert Meyer weitergeleitet, da dieser noch länger als Bassist in der Band war. Willkommen auf der Zeitreise in die „Ostzone“, hehe!

logoDaniel: Hi Hubert! Lass uns mal ganz vorne anfangen: Wie kam es dazu, dass Du 1985 zu Babylon gestoßen bist? Die Band gab es ja schon seit 1975, und von früher war ja nur noch Sänger Detlef Volquardsen dabei, wenn ich da richtig liege...

Hubert: Nee, nee! Du vergisst den Bandleader Dieter Wiesjahn! Er war Gründungsmitglied der Band 1975 und bis zum Schluss derjenige, der am längsten in der Band war. Leider ist Dieter 2012 gestorben...

Daniel: Kanntest Du Babylon vorher schon?

Hubert: Babylon war von Anfang an in den DDR-Medien präsent und ich hatte die Band vorher wahrgenommen. Allerdings fand ich Ihre Mugge nicht so prickelnd, zumal ich mit meiner (Amateur-) Band Triolog durch die Kneipen der Zone tourte und auf die KGD (Konzert -und Gastspieldirektion)-Mugger nicht gut zu sprechen war. Die wurden staatlich gefördert und die KGD schanzte ihnen die Muggen zu. Na ja, ab 1985 war ich dann selbst ein „Geförderter"...

Daniel: Welche Bands haben Euch damals beeinflusst?

Hubert: Zu Beginn, so um 1985 rum, waren es unter anderem AC/DC und die Scorpions, die unseren Sound beeinflussten. Obwohl wir immer `nen eigenen Stil entwickeln wollten.

Daniel: War es eigentlich schwierig für Euch, an Tonträger aus dem Westen zu kommen? Gab es eine Art Schwarzmarkt, bei der Ihr Euch Musik besorgen musstet?

Hubert: Detlef, unser Sänger, hatte `ne West -Oma, die uns mit Vinyl versorgte. Den Rest haben wir uns auf dem Schwarzmarkt besorgt. Ein (geheimer) Treffpunkt war der Keller des Centrum-Warenhauses am Ostbahnhof, wo Polen-Platten für 100.- Ostmark verkauft wurden!

Daniel: Für die, die Babylon nicht kennen: Wovon handelten Eure Texte? Und steckte eine gewisse Botschaft in ihnen, die Ihr übermitteln wolltet? Oder war Euch das egal?

Hubert: Texte waren stets ein Problem, weil sie vor der Veröffentlichung vom Ministerium für Kultur überprüft wurden. Wir konnten nicht so einfach drauflos schreiben. Gewisse Themen, wie z.B. offene Kritik am Sozialismus, oder allzu offene Worte über Sex, waren einfach tabu. Wir bastelten ewig an ihnen rum, damit sie durch die Zensur kamen...

Daniel: Hattet Ihr eigentlich Probleme mit Zensur in der DDR?

Hubert: Na ja, habe ja eben erwähnt, dass es da Probleme gab... Ein Beispiel ist der Titel „Tschernobyl" von der LP „Dynamit" (1988). Der Text wurde zweimal abgelehnt und musste geändert werden. Musikalisch konnten wir eigentlich drauflos hämmern!

Daniel: Zur Zeit Deines Einstieges 1985 kam auch das Gitarren-Duo Andrej Horváth und Wolfgang „Wolle“ Densky von Formel I zu Babylon. Wie kam es dazu? Hatte es zu dem Zeitpunkt bei Formel I gekracht? Weißt Du da was?

Hubert: Der Reihe nach: Mit meinem Einstieg 1985 kamen noch zwei Neue in die Band: Carsten Heinrich an den Drums und Andre an der Sologitarre. Dieter stieg auf die Rhythmusklampfe um. Er wollte keine Keyboards mehr in der Band! Den Bass übernahm ich, und so war wieder mal eine neue Besetzung geboren. Auf Wikipedia kann man lesen, wie oft Dieter die Besetzung wechselte. Da Andre zwar ein geiler Gitarrist war, aber leider nicht von der Ost-Droge Alkohol los kam, schmiss Dieter ihn 1987 raus. Für Ihn kam dann Wolle Densky von Formel I, die sich gerade aufgelöst hatten, weil der Sänger Norbert Schmidt und der Drummer Paule Fincke `nen Ausreiseantrag gestellt hatten.

Daniel: Wie groß waren Formel I und Babylon eigentlich in der DDR? Waren das große Bands? Kannten Nicht-Metalfans Euch auch?

Hubert: Formel I war ab 1983 unbestrittenen die härteste Profiband in der DDR. Babylon hatte bis 1985 immer so `ne Art melodischen Rock gespielt und erst ab 1985 wurde der Sound härter. Aber für beide Bands galt, dass sie zur zweiten Garnitur der DDR-Profibands zählten.

Daniel: Konnte man in der DDR überhaupt von der Musik leben?

Hubert: Konnte man, wenn man als Profi arbeitete.

Daniel: Sind Babylon eigentlich viel live aufgetreten? Und wenn ja: mit welchen Bands? Gab es damals reine Metal-Konzerte? Oder wart Ihr vielleicht auch mal im Vorprogramm von größeren Bands zu sehen?

Hubert: Wir haben unser Geld zu 90% durch Liveauftritte verdient. Das wurde staatlich gelenkt und wir Profibands bekamen regelmäßig gut bezahlte Auftrittsmöglichkeiten. Dazu gehörten auch die Gigs fürs Fernsehen. Einmal spielten wir zusammen mit Saga in Leipzig. Ansonsten halt nur als Vorband vor der ersten DDR-Garnitur wie City oder den Puhdys. Ansonsten gab`s wie überall von der LP nur Kohle für die Komponisten, Arrangeure und Texter. Bei „Dynamit“ war ich mit 800,- Ostmark dabei... Geil, wa!?

babylonDaniel: Ich habe mal irgendwo gelesen, dass man im Osten zunächst zwei Jahre Musik studiert haben musste, um überhaupt ein Studio betreten zu dürfen! War das tatsächlich so? Und waren Babylon auch davon betroffen?

Hubert: Na ja, entweder hattest Du `nen Profiausweis, den Du in der Regel durch ein Studium (Musikhoch- oder Fachschule) bekamst, oder du hast durch die FDJ oder sonst wen einen so genannten Fördervertrag erhalten und konntest dann auch als Amateur in ein Studio gehen! Privat ging da gar nichts! Ich habe meine Profipappe an der Musikschule Friedrichshain gemacht.

Daniel: Es gab vor dem einzigen Album „Dynamit“ (1988) nur die 7“ EP „Geisterstunde“, deren zwei Songs dann auch auf dem Album gelandet sind. Zuvor gab es nur ein paar Samplertracks, z. B. „Gib Gas Und Komm“ 1983 auf „Heiße Würstchen“)... Warum hat es von 1975 bis 1988 gedauert, bis das erste Album endlich fertig war?

Hubert: Um im Osten als Band eine LP zu produzieren, waren so viele Hürden zu überwinden. Um das hier darzulegen, fehlt mir die Zeit! Lest mal auf Wikipedia unter „Amiga“!

Daniel: Wie lange habt Ihr überhaupt gebraucht, um die zehn Songs für „Dynamit“ zu schreiben?

Hubert: Das ging relativ schnell. In drei Monaten waren die Titel fertig (1987). Die Scheibe kam aber erst 1988 raus.

Daniel: Es gibt Gerüchte, die besagen, dass es 1990/´91, also nach dem Mauerfall, noch ein Promotape mit sieben Songs in englischer Sprache gegeben haben soll. Auch ein zweites Album mit dem Titel „Nightfire“ soll geplant gewesen sein. Wieso kam es da nicht mehr zu? Und werden wir die Chance haben, dieses Album eines Tages zu hören zu bekommen?

Hubert: Das Tape hatten wir in unserer letzten Besetzung 1989 produziert. Es war plötzlich vieles möglich. Dieter hatte wieder mal neue Leute geholt (Micha Kawa - Vocals, Guido Schade - Drums und Stephan Görner - Gitarre) und wir hatten uns vier Wochen in einem kleinen Saal verkrochen, um neue Songs zu schreiben. Am Ende kam „Nightfire“ dabei raus und wir wussten, dass wir als Ostband was völlig Neues am Start hatten! Ein paar Tage vor Schabowskis berühmten Worten und den darauf folgenden Ereignissen, haben wir im damaligen „Haus Der Jungen Talente“ in Ost-Berlin das Promo-Konzert gegeben, von dem auch ein Video bei Youtube gibt. „Und dann kam die Wende und mit Babylon war`s zu Ende", um mal eine berühmte Band zu zitieren... Babylon flogen (wie viele andere) auseinander und es wird nach Dieters Toddefinitiv keine Reunion geben!

Daniel: Der Arbeitstitel war englisch. Hätte „Nightfire“ auch englische Texte gehabt? Und war das in Zeiten der Zensur in der DDR auch eine Art Befreiungsschlag für Euch? Ich meine, Ihr wart ja zuvor dazu gezwungen, deutsche Texte zu schreiben, oder etwa nicht?

Hubert: Alle Songs hatten englische Texte und es wäre, wie Du schon sagtest, ein Befreiungsschlag gewesen, ja!

Daniel: Wann haben sich Babylon eigentlich genau aufgelöst und warum?

Hubert: Ab dem Tag des Mauerfalls mussten wir uns kümmern, irgendwo Geld zu verdienen. Die staatlich organisierten Strukturen des Kulturbetriebes waren zusammengebrochen und so mancher ehemalige Profimugger stand vor dem Nichts. Ick ooch! Ich möchte mich nicht darüber auslassen, was wir, die wir vorher nur Musik gemacht hatten, nun für Jobs annahmen, um unsere Familien zu ernähren. Das würde ein Buch füllen! Es haben halt nur die als Band überlebt, die schon zu DDR-Zeiten die Großen waren: City , Puhdys, Karat, Silly etc.

Daniel: 2009 kam es zu dem CD-Re-Release von „Dynamit“. Es war in einer 3CD-Box mit „Live im Stahlwerk“ von Formel I und einem DDR-Sampler zusammen enthalten. Wusstet Ihr damals davon? Hatte das Label, Sony, damals mit Euch Kontakt aufgenommen?

Hubert: Der Paule (Ex-Drummer von Formel I) hat die CD organisiert . Er trommelt ja in unserem Projekt The Travelin´ Band und ist recht aktiv in den Internetforen, was Formel I betrifft. Ich hatte zu der Zeit nur noch selten Kontakt mit Dieter Wiesjahn und wusste bis dahin nichts von dem Sampler. Ich wüsste auch nicht, dass Dieter mit Sony Kontakt hatte...

Daniel: Sind die acht enthaltenen Bonustracks eigentlich alle Aufnahmen, die es noch von Babylon gab (außer dem späteren Promotape)? Oder ist das Archiv für die verrückten Sammler unter uns nun komplett geplündert?

Hubert: Meines Wissens ist es das ganze Material. Ich könnte Dir noch die CD von „Nightfire“ schicken, die wir 1989 in unserem Kellerprobenraum mit `ner Fostex-Vier-Spurmaschine produziert haben.

Daniel: Wie war die Metalszene in der DDR eigentlich so? Ich kenne viele Bands wie Formel I, Prinzip, Biest, Rochus, Hardholz, MCB, M.A.D., Plattform, Metall, Darkland, Moshquito, Manos, Blackout (die später Depressive Age hießen und vielen Leuten bekannt sein dürften), Regenbogen usw. Hatten diese Bands alle untereinander Kontakt? Gab es so etwas wie Metalparties und gemeinsame Konzerte, bei denen man sich gegenseitig unterstützt hat?

Hubert: Irgendwie gingen wir alle unsere eigenen Wege und sahen uns als Konkurrenten. Nur zu wenigen von früher hab ich Kontakt, z. B. zu Matko von Prinzip oder Basti Baur von MCB, der heute bei Knorkator klampft. Die Metalszene war relativ gespalten in Profis, Amateure und nach Härte des Sounds. Als wir 1988 mal ein Konzert mit Biest hatten, und die Leute uns auspfiffen, wussten wir, dass „Geisterstunde" nun bei den Fans als Tanzmusik eingestuft wird!

Daniel: Was macht Ihr eigentlich heute so? Ich habe erfahren, dass Du mit Wolfgang „Wolle“ Densky, der auch Ende der Achtziger bei Babylon Gitarrist war, in einer Creedence Clearwater Coverband namens The Travellin´ Band spielst. Wann habt Ihr diese Band gegründet?

Hubert: Um 2000 herum haben wir beschlossen, wieder auf die Bühne zu gehen; mit Covermugge. Guckst Du hier: http://www.travelin-band.de.

babylonDaniel: Ist es für Euch befriedigend, nur noch Cover Rock zu machen und keine eigenen Stücke mehr zu spielen?

Hubert: Wolle wird nächstes Jahr 60. Wir anderen sind schon drüber. Wer, glaubst Du, will in der heutigen Zeit noch was von alten Säcken aus der „Ehemaligen“ hören? Die Einzigen (auch jünger wie wir), die nach der Wende voll rein gekracht sind, sind Rammstein. Geile Idee - geiles Konzept - geile Umsetzung! Auf Youtube gibt`s ein tolles Video, wo Flake erzählt, wie sie es gemacht haben! Den Drive hatten wir nicht...

Daniel: Hast Du eigentlich heute noch Kontakt zu damaligen Babylon-Mitgliedern?

Hubert: Zu Micha, unserem letzten Sänger, und zu Guido, dem Drummer, habe ich noch Kontakt. Micha war ja auch bis 2013 der Sänger von The Travelin`Band, musste aber nach `nem Herzinfarkt die Segel streichen. Ab und zu treffe ich auch Crissl Weise, den Keyboarder von Babylon vor meiner Zeit. Er orgelt jetzt bei der Coverband Männer.

Daniel: Kann man erwarten, dass Ihr nochmal unter dem Namen Babylon Retro-Konzerte spielt, z. B. auf dem Keep It True Festival, oder gar ein weiteres Album macht? Oder ist dieses Kapitel für Euch definitiv abgeschlossen?

Hubert: Nein! Siehe oben...

Daniel: Na gut, Hubert! Das Schlusswort soll Dir gehören!

Hubert: Babylon war `ne tolle Zeit für mich und die Arbeit mit Dieter hat mir gezeigt, wie intensiv man in diesem Genre ackern muss, um Erfolg zu haben! Aber dieses Kapitel ist abgeschlossen!

http://www.ostmetal.de/ostmetal/babylon.htm

http://travelin-band.de/



Autor: Daniel Müller