CHARLOTTE WESSELS, BLACKBRIAR

Weert (Niederlande), Poppodium De Bosuil, 01.04.2023

charlotte wessels indexEs ist ein deprimierendes Wetter, alles einheitlich grau und ekliger Dauerregen, als wir uns auf recht ruhiger Autobahn Richtung Weert aufmachen. Noch nicht ahnend, dass wir heute der besten Show des bisherigen Jahres beiwohnen dürfen. Die Fahrt geht zügig voran und so haben wir Zeit, vor dem Einlass flott einen Eimer Hühnerteile mit Sweet Chili Sauce beim amerikanischen Marktführer zu goutieren. An der Venue angekommen wunderten wir uns, dass der Presse-Schalter noch geschlossen ist. Nun es gab irgendwie ein wenig Verwirrung, da scheinbar in der örtlichen Kommunikationskette etwas verlorengegangen war. Aber nach wenigen Minuten ist dann alles geklärt und wir dürfen in die Halle rein.

Hier fällt direkt auf, dass ein Teil mit schwarzen Vorhängen abgeteilt war. Also kein ausverkauftes Haus heute Abend. Da wir vom letzten Mal noch die üblichen Munten übrighaben, schnell noch ein Kaltgetränk und es kann losgehen.

 

blackbriar live 2023Schlag zwanzig Uhr erscheint dann mit Blackbriar der Support-Act auf der Bühne. Was direkt auffällt, ist eine Art Leinwand im Rücken der Bühne. Hier wird das Band Logo drauf projiziert. Das habe ich jetzt schon öfter so gesehen. Eine ganz praktische Sache, da es das Backdrop erspart. Die Truppe aus Assen in den Niederlanden, besteht aus Zora Cock als Gesangselfe, René Boxem am Schlagzeug, Bart Winters an der Lead Gitarre, Robin Koezen spielt die Rhythmus Gitarre, Keyboarder Ruben Wijga und schlussendlich Siebe Sol Sijpkens am Tieftöner. Geboten wird feiner Symphonic Rock, den die Musiker mit sichtlichem Vergnügen präsentieren. Man sieht ihnen den Spaß am live rocken förmlich an. Dazu gibt sich Zora mehr als Sirene, die einen in dunkelromantische Szenarien und Phantasiewelten lockt. Insgesamt ist ihre Stimme aber eher dünn und auch das Songmaterial ist wenig abwechslungsreich. So denke ich nach einer halben Stunde, es ist jetzt genug, auch wenn der Rotschopf gegen Ende des Sets Teufelshörner auf dem Kopf trägt. Allerdings spielen sie mit etwa fünfzig Minuten auch ungewöhnlich lange für eine Supportband. Aber die Geschmäcker sind eben verschieden und die Truppe hat, ohne zu übertreiben, einen hochmotivierten Auftritt hingelegt. Immerhin kann man sich einen Tour Support für Epica und einen Vertrag mit Nuclear Blast in die Vita schreiben. Nach dem Auftritt ist Lady Zora dann auch direkt am Merchandise Stand zugegen und erfüllt in ihrer netten und freundlichen Art, die Foto und Autogramwünsche der Fans.

Setlist: Madwoman In The Attic, I'd Rather Burn, The Seance, Arms Of The Ocean, Selkie, Fairy Of The Bog, Deadly Diminuendo, Mortal Remains, Crimson Faces, Lillith B Gone, Until Eternity

 

charlotte wessels 1 live2023Nach flottem Umbau ist es dann so weit. Im halbdunklen kann man erahnen, wie die Musiker um Charlotte Wessels ihre Plätze auf der Bühne einnehmen und die Lady herself, sich vor der runden Leinwand positioniert. Ganz sanft wird diese angestrahlt und es hat so ein wenig etwas von einem James Bond Vorspann. Nach einem kurzen akustischen Intro fängt Charlotte an, auf der Klarinette zu spielen, übrigens das erste Instrument, welches sie im Teeniealter erlernt hat, bevor sie mit dem Gesang begonnen hat. Dann steigen auch die anderen Musiker mit ein. Die ganze Mannschaft ist in helle Kleidung gehüllt, die mit Farbklecksern aufgehübscht wurden. Fast so als kämen sie gerade von einer Hausrenovierung, was in diesem Fall sogar durchaus einen tieferen Sinn ergibt. Hier geht es nämlich textlich um eine Abbrechung mit der Vergangenheit und den unschönen Erlebnissen derselben. Wenn man die Texte von Liedern, wie das in Niederländisch gesungene „Afkicken“ oder das wunderschön melodische „Superhuman“, mal auf sich einwirken lässt, spürt man die Wut, die dahintersteckt. Hier gibt es einen mächtigen Arschtritt in die verlogene Realität. Und wer bisher nur ihre Vergangenheit als ex-Sängerin von Delain auf dem Schirm hatte, dürfte mächtig erstaunt sein, was das Mädel aus Zwolle gesanglich zu bieten hat. charlotte wessels 2 live2023Weg vom Einheitsbrei der symphonischen Metal Kapellen, mit Musik von der Stange, oder das ständig plakative zur Schau stellen der weiblichen Reize. Ganz im Gegenteil dazu, trennte sie sich von ihrer einstmals langen Mähne und präsentierte sich kahlgeschoren und fast schon hemdsärmelig. Dafür kann man sie heute guten Gewissens auf eine Ebene mit Szene-Größen wie Anneke van Giersbergen, Eivor oder sogar die Norwegerin Kari Bremnes stellen. Elemente aus Jazz, Klassikanleihen und Elektropop geben sich freundschaftlich die Hand und bilden eine harmonische Einheit. Musikalisch jagt so eine Überraschung die nächste, eine aufregende Reise durch eine facettenreiche Klanglandschaft, die sich mal hell und wie soll ich es beschreiben, ja sogar ätherisch anfühlt. Und im nächsten Atemzug gibt es dann wieder härtere und schwer metallische Momente, die dich regelrecht umhauen. Selbstredend sind auch die anderen Musiker erste Sahne, sei es Schlagzeuger Joey Marin de Boer, der wie ein vom Jenseits Geschickter die Felle verdrischt, oder Otto Schimmelpenninck van der Oije am Basso fantastico. Dazu der Wahnsinns Gitarrist Timo Somers und die gertenschlanke Sophia Vernikov an den Keyboards. Das alles und noch viel mehr sorgt für einen Soundteppich vom Feinsten. Ja und dann habe ich plötzlich die Melodie von Udo Lindenbergs „Cello“ im Kopf, haha. charlotte wessels 4 live2023Richtig, die wunderbare Elianne Anemaat erscheint mit ihrem Cello auf der Bühne. Vor einiger Zeit durfte ich sie mal persönlich kennenlernen und war ganz verzaubert von ihrer unkomplizierten Art. Aber auch Elianne erkennt mich im Publikum und lächelt mir zu. Das sind so die kleinen, eigentlich unscheinbaren Momente bei einer Live-Darbietung, die es letztlich zu einem unvergesslichen persönlichen Erlebnis machen. Bei einem Song kommt noch eine weitere Sängerin mit auf die Bühne und die beiden intonieren ein sehr persönliches Stück.

Überhaupt hat heute Abend die ganze Aufführung eine sehr intime Atmosphäre und man merkt, wie sehr die Musiker und allen voran natürlich die Hauptdarstellerin dieses Gefühl genießen. Und auch die Zuschauer zeigen durch ihr Feedback, wie sehr diese Show unter die Haut geht. Es macht einfach einen Mordsspaß und wäre absolut unverzeihlich gewesen, nicht dabei zu sein. Auch Miss Wessels, die zwischendurch immer mal wieder am Keyboard in die Tasten greift und zusammen mit Sophia abrockt. Selbst die Klarinette war kein simpler Eröffnungsgag, sondern kommt mehrmals wieder zum Einsatz. Zwei Tänzerinnen lockern einige Stücke noch zusätzlich mit akrobatischen Einlagen auf. Und bei manchen Stücken wird die runde Hintergrundbespannung zur Schattenspiel Leinwand. Das hat schon was, wenn Charlotte performend davorsteht und im Hintergrund die Schatten der Mädels schlangengleich die Bewegungen untermalen. Wie die vielköpfige Hydra aus der griechischen Mythologie, was ja auch fabelhaft zu der Thematik passen würde. Schlägt man einen Kopf ab, wachsen zwei neue. Abrechnung und Erneuerung, das ist die Botschaft denke ich und die wird perfekt in Szene gesetzt. Man kennt das, wenn alles ineinandergreift und nicht wahllos zusammengestückelt wirkt. Aber leider ist auch der schönste Konzertabend irgendwann zu Ende, natürlich nicht ohne noch eine Zugabe zu spielen. charlotte wessels 3 live2023Und im Zugaben Teil erwische ich mich dabei, gedanklich einfach in andere Galaxien abzureisen. So schön ist die Ballade „Against All Odds“, in der sich die exzellent gespielte Akustikgitarre mit dem sanften Gesang von Charlotte ergänzen. Gänsehaut pur! Ein ungläubiger Blick auf die Uhr zeigt mir, dass hier gute zwei Stunden Programm geboten worden sind.

Und der letzte Ton ist noch nicht verklungen, da steht die sympathische Sängerin auch schon am Merchandise und ist für ihre Fans da. Keinerlei Allüren oder Berührungsängste, sondern einfach nur ein „Mädche us em Lääve“ wie es in Köln so schön heißt. Liebe Charlotte Wessels, das war ganz großes Kino!

Setlist: Ouverture, Human To Ruin, Superhuman, Afkicken, Venus Rising, Source Of The Flame, Cry Little Sister, Good Dog, Toxic, Alles Wat Ik Wil, I Forget, Victor, A Million Lives, F.S.U. 2020, Combastion, The Phantom Touch, Soft Revolution, The Final Roadtrip, Against All Odds, All You Are, Utopia



Autor: Pistol Schmidt - Pics: Andrea Schmidt