RHYTHMEN DES LEBENS - Mike Rutherford


Label:HANNIBAL VERLAG
Jahr:2014
Running Time:285 Seiten
Kategorie: Neuerscheinung
 

Die erste Genesis-Autobiografie, so der Untertitel der deutschen Ausgabe, stammt – zunächst mal überraschend – nicht von den im Rampenlicht stehenden Sängern Peter Gabriel oder Phil Collins, sondern vom Bassisten/Gitarristen Mike Rutherford. Wie der Leser aber gleich auf den ersten Seiten erfährt, hat das Schreiben von Memoiren durchaus Tradition im Hause Rutherford. Mike findet im Nachlass seines Vaters das Manuskript zu dessen unpublizierten Memoiren, sowie eine zweibändige Autobiografie seines Großvaters. Mike begibt sich auf eine Zeitreise durch das Leben seiner Ahnen und zieht Parallelen zu seinem eigenen Lebensweg. Obwohl er die für ihn vorgesehene Militärlaufbahn nach dem Vorbild seines Vaters und Großvaters nicht einschlägt, sondern sich für eine Musikerkarriere entscheidet, findet er eine ganze Reihe von Ähnlichkeiten – aber auch Gegensätzen –, die er anhand von Zitaten vor allem in die ersten Kapitel seines Buches einstreut. Dieser geschickte Kunstgriff erlaubt es Rutherford, die nicht ganz unproblematische Beziehung zu seinem Vater zu thematisieren, sorgt allerdings in Verbindung mit den zusätzlichen Zeitsprüngen durch die nicht immer chronologische Erzählweise für Unruhe im Lesefluss. Im weiteren Verlauf des Buches werden die Zitate weniger und Mike erzählt in lockerem Plauderton von seinen heimlichen nächtlichen Ausflügen nach London, der Gründung und der Frühphase von Genesis, den ersten Konzerten vor einer Handvoll Leute, den vielen kleinen Erfolgen und Misserfolgen bis zum Durchbruch, dem Ausstieg Peter Gabriels, der folgenden Zeit mit Phil Collins als Sänger und schließlich von seinem Soloprojekt Mike + The Mechanics. Natürlich gibt es auch ein paar Drogen- und Frauengeschichten, doch man gewinnt den Eindruck, dass diesbezüglich alles zusammengeklaubt wurde, was man finden konnte, um die Band aus gut gebildeten und wohlerzogenen, größtenteils früh verheirateten ehemaligen Privatschülern nicht ganz so bieder wirken zu lassen. Dazu passt, dass im Gegensatz zu vielen anderen Autobiografien keinerlei schmutzige Wäsche gewaschen wird. Auf kleinere Streitereien zwischen den Mitgliedern von Genesis blickt Mike schmunzelnd bis selbstkritisch zurück, den Ausstieg von Peter Gabriel schildert er verständnisvoll, und nirgends trifft man auf irgendwelche Schuldzuweisungen. Die Ernsthaftigkeit und Souveränität seines Vaters bestimmt auch hier das Bild.

Der englische Originaltitel des Buches lautet sehr treffend „The Living Years“, der Titel einer Ballade von Mike + The Mechanics, in der es um einen Vater-Sohn-Konflikt geht, der zu Lebzeiten des Vaters nicht gelöst werden konnte. Dieser Bezug geht leider beim willkürlich wirkenden deutschen Titel „Rhythmen des Lebens“ komplett verloren. Insbesondere im Zusammenspiel mit dem Begriff „Genesis-Autobiografie“ wird der Eindruck erzeugt, das Buch handle vor allem von Genesis. So hatte ich persönlich zum Beispiel erwartet, viel über die Entstehungsgeschichte der Alben und über das Songwriting zu erfahren. Stattdessen dienen die Alben aber eher der zeitlichen Einordnung von Mikes persönlichen Erlebnissen. Natürlich nimmt Genesis im Buch einen großen Raum ein und Mike gibt auch eine ganze Reihe von Anekdoten rund um die Band mit feinstem britischen Humor zum Besten, aber dennoch handelt es sich hier eher um die erste Autobiografie eines Genesis-Musikers als um eine Genesis-Autobiografie. Zudem ruiniert die Umbetitelung auch das Ende des Buches, in dem es eben genau um die Enstehungsgeschichte des Songs „The Living Years“ geht. Ich lehne mich wohl nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich behaupte, dass die Absicht des Autoren war, dass sich hier der Kreis zum Buchtitel schließt. Ich denke, man hätte der Zielgruppe – Mikes Fans – durchaus den Originaltitel „zumuten“ können, nein müssen. Das Buchcover, das ein Portrait von Mike Rutherford mit einem Foto seines Vaters in Uniform im Hintergrund zeigt, entspricht hingegen der englischen Originalausgabe und ist sehr passend gewählt. Die Aufmachung des Buches hätte in Anbetracht des Bekanntheitsgrades des Musikers deutlich hochwertiger sein können. Der Hardcover-Einband erinnert an schmutzabweisende, abwaschbare Kinderbuchdeckel, das Papier ist grob und matt, wie man es von Einwegliteratur aus der Bahnhofsbuchhandlung kennt, was besonders auf den Fotoseiten sehr negativ auffällt. Apropos Fotos: Auch die Bilder neueren Datums sind komplett schwarzweiß gedruckt, es gibt keine einzige farbige Seite – schade vor allem, weil Peter Gabriels fantasievolle Kleidung und Masken dadurch einfach nicht wirken. Darüber hinaus ist die Erstausgabe gespickt mit Tippfehlern. Insgesamt hätte man bei einem Verkaufspreis von 23,99 € für die gebundene Ausgabe doch mit etwas mehr Liebe und Sorgfalt an das Projekt gehen können.

Fazit: Das Buch ist ein Muss für jeden Genesis-Fan, der sich für Mikes private Sicht auf die Dinge interessiert. Wer sich ein tieferes Verständnis des Schaffens der Band erhofft, greift besser erstmal zu anderer Literatur.

ISBN 978-3-85445-457-1

Note: Keine Wertung
Autor: Sandra Kallmeyer


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