MARILLION - Musik für Generationen


Man schrieb das Jahr 1985, als die Briten mit ihrem Hit „Kayleigh“ weltweit durchstarteten. Bis dato waren die Insulaner mit ihrem Aushängeschild und Sänger Fish, lediglich in der Heimat und in einzelnen Fankreisen bekannt. Im Zeichen des Neo-Prog, der in den frühen 80er-Jahren auftauchte, etablierte sich die Band relativ schnell. Waren ihre Songs teilweise recht sperrig, lieferten sie jedoch immer im richtigen Moment die Auflösung in feinsten Refrains. Bühnenbild, Maskottchen und die Gesichtsbemalung des Fronters waren nur weitere starke Accessoires. Leider kriselte es bereits zum Release des Albums „Misplaced Childhood“, nachdem man bereits zwei Epen und eine Live-Scheibe abgesetzt hatte. Es waren die üblichen Querelen zwischen Sänger und Band über die Ausrichtung der Musik und der Lyrics. Man schaffte mit „Clutching At Straws (1987) und dem dazugehörigen Evergreen „Incommunicado“, zwar noch einen weiteren Meilenstein, aber ein Jahr später ließ Bandgründer und Gitarrist Steve Rothery seinen Sideman von Dannen ziehen. Für viele war das Ende eingeläutet, obwohl man mit Steve Hogarth als Ersatz direkt an dem aktuellen Werk „Season`s End (1989), an dem Fish noch beteiligt war weiterarbeitete, während Fish seine Solokarriere einläutete. Ich muss gestehen, dass ich die Band bis „Marbles“ (2004) selber ignorierte. Der musikalische Wechsel war meiner nicht. Als es die Möglichkeit zu diesem Interview gab, griff ich dennoch zu und unterhielt mich mit Mister Rothery Backstage in der Essigfabrik zu Köln.

logoSteve: Wir sitzen zwar hier zum ersten Interview für CROSSFIRE, aber die Bandgeschichte wäre dann wohl doch zu Umfangreich. Wir haben jedoch viele junge Leser, für die ihr vielleicht kein Begriff seid. Würdest Du Deine Band anhand der Musik und der textlichen Bedeutung erklären und vorstellen?

Steve R.: Yeah, ich bin in der Band seit vierunddreißig Jahren. Seit 1982 veröffentlichen wir Alben unter Vertrag bei der EMI. Es gibt seitdem siebzehn Studiowerke. Unser neustes Opus wurde von den Fans und den Medien gefeiert. Man nennt unsere Musik Progressive-Rock, aber wir nennen es einfach Musik außerhalb folgender Konventionen. Es sind keine drei oder vier Minuten lange Pop-Songs. Wir schreiben eher Filmsoundtracks. Wir erforschen die Musik und Texte gerne in verschiedenen Ansätzen. Man bescheinigt uns den Status, eine großartige Liveband zu sein. Natürlich sind wir sehr vom Glück gezeichnet, in Zeiten einer schwierigen Musikindustrie noch immer erfolgreich zu sein. Leider ändert sie sich unheimlich schnell. Viele Bands und selbst viele Label kämpfen ums Überleben. Da wir regen und engen Kontakt zu den Fans haben, sind wir einigermaßen unabhängig.

Steve: Live konnte ich Euch bis dato nicht erleben, aber ich habe vernommen, dass ihr auf der Bühne keine Fish-Songs mehr spielt.

Steve R.: No! Das ist nicht ganz richtig. Es hängt von der Tournee und den Begleitumständen ab. Normalerweise spielen wir immer einen Song…zum Beispiel „Kayleigh“. Heute Abend wird es „Garden Party“ sein. Ich meine wir haben nur vier Alben mit Fish gemacht, aber dreizehn ohne ihn. Es wäre komisch, wenn wir uns anders verhalten würden.

Steve: Ich verstehe was Du meinst, aber Du verstehst auch was ich meine, oder? Die Songs mit Fish waren und bleiben für fast alle alten und neuen Fans die besten Lieder. Nach einem Jahr habt Ihr das Album „Sounds That Can`t Be Made“ wiederveröffentlicht. „Radiation“ wurde neu aufgelegt und vor einem Monat kam eure letzte DVD auf den Markt. Warum macht ihr so frühe Re-Releases, strapaziert das nicht unnötig den Geldbeutel eurer Anhänger?

Steve R.: Es sind nicht immer die Entscheidungen der Band. Meistens bespricht das unser Manager mit der Plattenfirma. Wenn Du so wie wir jetzt auf Tour bist, kann man alles zum Promoten nutzen. Das ist eine logische und erfolgreiche Weise. Es gibt bestimmt nur eine handvoll Fans, die den ersten Release nicht gekauft haben, und lieber auf das neue Produkt zurückgreifen. An manchen Businessentscheidungen kommt man einfach nicht vorbei.

Steve: Ihr wisst aber schon, dass Ihr in den Progressive-Rock Kreisen die Band mit den meisten Releases genannt werdet, haha?

Steve R.: Na ja, die aktuelle DVD „Brave Live“, haben wir selber auf die Beine gestellt.

marillionSteve: Warum habt Ihr „Radiation“ überhaupt neu aufgelegt? Es mochte sie kaum jemand, vom Verkaufserfolg kann man in euren Margen kaum reden, und der Sound selbst ist jetzt nicht so viel besser.

Steve R.: Der Sound ist so gut wie er sein kann. Er wurde auf einer der ersten digitalen Konsolen gemischt. Wir wollten die Songs nicht einzeln neu erfinden. Wir wollten ihnen nur einen organischeren Klang verpassen. Die Fans nahmen die neue Version ziemlich gut an, und nun hat jeder die Wahl. Wir fanden diese Herangehensweise sehr erfolgreich und werden es vielleicht mit einigen anderen Alben wiederholen.

Steve: Ihr benutzt das Internet, um Euch selber mächtig aufwendig zu promoten. Was habt ihr alles an Möglichkeiten angewandt?

Steve R.: Wir haben sehr oft das „Crowdfunding“ angewandt, also wo der Fan Geld für die Band aufbringt, bevor sie Produkte erhalten. Das fing mit dem Album „Anoraknophobia“ zu den Studio-Sessions im Jahr 1999 an. Mit „Marbles“ agierten wir genauso. Damit haben wir angefangen, es war sehr erfolgreich und vielen Bands machten es nach. Das gleiche Verfahren nutze ich nun für mein anstehendes Soloalbum. Ich habe letztes Jahr in Bulgarien ein Gitarren-Festival gemacht und die Recordings sind so gut, dass wir nun diese als Material für das Solowerk in Betracht ziehen. Auch mein Freund Steve Hackett wird dabei sein.

Steve: was ist der Unterschied zwischen den DVD's „Brave“ und „Brave Live“?

Steve R.: Die Liveperformance hört sich natürlich komplett anders an als das Album. Klar, wie du bereits sagtest, eins ist ein Film das andere das Konzert. Für eine Liveaufnahme gibt es einfach unterschiedliche Herangehensweisen. Zudem haben wir eine sehr theatralische Aufführung für die letzten drei Conventions gewählt. Man muss live Dinge einfangen, die sehr intensiv sind. Das ist bei dem Album nicht sehr einfach.

Steve: Ihr hattet zeitliche Begrenzungen auf Euren Alben, an denen ihr fast gescheitert wärt. Die CD hat mehr Spielraum. Reicht der jetzt aus?

Steve R.: Früher waren die meisten Werke eher vierzig Minuten lang, ergo zwanzig Minuten pro Schallplattenseite. Das hat sich nun verdoppelt, aber ich denke nach knapp über eine Stunde haben die Hörer von einem Werk genug. Ich denke fünfzig bis sechzig Minuten sind ausreichend.

Steve: Du bist seit über dreißig Jahren im Geschäft. Du hast bestimmt alle Höhen und Tiefen erlebt. Aber gibt es etwas, das dich in letzter Zeit noch überraschen konnte? Und gibt es etwas, das du noch erreichen möchtest?

Steve R.: Als Überraschung kann ich die Tour in Südamerika im Oktober 2012 nennen. Dort waren wir seit Jahren nicht mehr. Auf dem ersten Konzert in Sao Paulo, Brasilien, hatten wir circa viertausend Zuschauer. Nicht nur in der ersten Reihe, sondern so weit ich sehen konnte, hatten sowohl Frauen und Männer Tränen in den Augen. So emotional war für sie dieser Auftritt. Wenn Menschen Deine Musik so gefühlvoll aufnehmen, ist es eine komische Sensation und Erfahrung als Musiker. Vieles kann man sich natürlich damit erklären, dass manche Lieder einer Band bestimmte Momente eines Lebens bereichert haben. Man erinnert sich an Dinge aus der Jugend zu genau dem Zeitpunkt, als das Lied eine Rolle spielte.

steve & steveSteve: Ihr habt, abgesehen von Großbritannien, einen großen Markt in den Niederlanden. Wie kommt das?

Steve R.: Das war früher so. Heute nicht mehr wirklich. Keine Ahnung! Es ist ein kleines Land, darüber habe ich mir nie wirklich Gedanken gemacht. Aber heute kriegen wir da bestimmt nicht mehr so viel Radiospielzeit. Da regt sich der Pop nach vorne.

Steve: Was steht demnächst auf Eurem Programm?

Steve R.: Nun, wir haben mit dem Songwriting für das nächste Album begonnen. Wir werden in Mexiko und wieder weiter nach Südamerika touren. Mein Solowerk wird kommen und natürlich sind einige Sachen noch nicht bestätigt.

Steve: Eine Sache biete ich jedem Interviewpartner an: eine Frage zu beantworten, die er noch nie gefragt wurde!

Steve R.: Ich glaub ich bin in all den Jahren alles gefragt worden, haha.

Steve: Ich selber mag keine Interviews mehr. Ich weiß gar nicht mehr wie oft die Leute dasselbe lesen wollen. Wie ist das bei dir? Bist du freiwillig hier oder ist das eine Auflage der Plattenfirma?

Steve R.: Wir sind ein Teil davon. Du arbeitest sehr hart, um ein Album entstehen zu lassen. Und es muss promotet werden, sonst erzielst Du kaum Verkäufe. Man muss darüber lesen. Interviews sind ein essentieller Teil dieses Marketings, und somit erforderlich. Solange man merkt, dass sein Gegenüber sich Gedanken um halbwegs vernünftige Fragen gemacht hat, ist es in Ordnung. Ich habe aber auch Leute dabei,  die nicht wissen, dass Fish die Band verlassen hat, haha. Bei Leuten, die keine Recherche betrieben haben, werde ich sehr schnell müde. Aber selbst nach der Hälfte einer Interview-Promotion Tour komme ich auch manchmal durcheinander, haha.

Steve: Na, dann bin ich ja froh, dass du hier durchgehalten hast. Vielen Dank.

Steve R.: Thank you.



Autor: Steve Burdelak