STRANA OFFICINA - Metallischer Familienzusammenhalt an einem seltsamen Arbeitsplatz


Strana Officina ist die dienstälteste Heavy Metal-Band aus Italien! Death SS wurden zwar 1977 gegründet, Strana Officina jedoch sogar schon 1975! Leider hatten sie in der Vergangenheit sehr viel Pech... Die beiden Gründungsmitglieder, die Brüder Fabio und Roberto Cappanera (Gitarrist bzw. Schlagzeuger), starben 1993 bei einem Autounfall. Auch Gitarrist Marcello Masi verstarb 2002 an einer Herzattacke. Robertos Sohn Rolando sowie Fabios und Robertos Neffe Dario initiierten eine Tribute-Tour und beschlossen 2006, das Familienerbe der Band weiter zu führen. Auf Metalmärkten ist ihr altes Zeug mittlerweile rar und teuer. So kam es kürzlich zu den Wiederveröffentlichungen ihrer Aufnahmen aus den Achtzigern auf CD über Jolly Roger Records. Rolando hat sich, trotz schwacher Englischkenntnisse, dennoch zu einem ausführlichen Interview hinreißen lassen!

logoDaniel: Hallo Rolando! Lass uns mal mit der Gründung von Strana Officina anfangen! Wann, wie und wo traf sich die Band zum ersten Mal?

Rolando: Strana Officina sind um 1975 entstanden. Die zwei Brüder Roberto und Fabio Cappanera spielten bereits zusammen und suchten nach einem Bassisten. Sie lernten Enzo kennen, der aus dem Süden Italiens in den Norden kam, um nach einem Job zu suchen. Enzo war Metallarbeiter, stieg in Robertos und Fabios Band ein und fing gleichzeitig auch an, in der Firma der Familie Cappanera zu arbeiten. Alle vier Cappanera-Brüder waren Metallarbeiter und ihr Vater war der Inhaber dieser Firma.

Daniel: Welche Bands haben Strana Officina beeinflusst? Und haben sich diese Einflüsse in all den Jahren geändert? Es fällt ja schon auf, dass die alten Alben viel rockiger und epischer waren. “Rising To The Call” (2010) war dagegen sehr viel härter und klang wie ein neueres Ozzy-Album.

Rolando: Am Anfang wollten Strana Officina alles von klassischem Rock- und Power Blues (Hendrix, Robben Ford, B.B. King, Muddy Waters) bis hin zu Hard Rock (AC/DC, Deep Purple, Black Sabbath, Saxon) spielen. Ab dem Ende der Achtziger kamen dann vor allem die Bands der englischen Hard Rock-Szene dazu, wie Van Halen, Ozzy Osbourne, Whitesnake usw.

Daniel: Wovon handeln Eure Texte? Geht es nur um die Erfüllung der typischen Metal-Klischees oder steckt auch mehr dahinter?

Rolando: Es geht hauptsächlich um normale Dinge wie das Leben, Liebe, Freunde, Freiheit, Musik und Familie. In den Siebzigern ging es mehr um die Arbeiterklasse und Drogen. Roberto, Fabio und der erste Sänger Johnny Salani sind nach dem zweiten Weltkrieg in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen. Sie haben das Elend in der Stadt gesehen und miterlebt und ihre Freunde an Drogen und Alkohol zugrunde gehen sehen. Nur sehr wenige Texte handelten von den typischen Metal-Klischees.

Daniel: Was bedeutet der Name Strana Officina überhaupt?

Rolando: Den Namen kann man ganz gut vom Italienischen ins Englische übertragen: “Strange Workshop”, also “seltsamer Arbeitsplatz”. Denn, wie bereits erwähnt, haben Roberto und Fabio mit Enzo als Metallarbeiter in einer Firma gearbeitet und hatten ihren Proberaum direkt im Hinterzimmer. Nach zehn Stunden harter Arbeit haben sie sich dann dort eingeschlossen und gemeinsam die Sau rausgelassen! Sie zogen sich direkt um und zockten. Es war ein seltsamer Arbeitsplatz für 1975, total verkommen. Ich war dort auch mal in den Achtzigern, bevor sie den Standort wechselten und eine große Firma wurden. Jedenfalls war es faszinierend, aber seltsam dort. Heute wird erzählt, dass 1975 zwei Polizisten wegen Lärmbelästigung in die Werkstatt kamen, die vier verschwitzten Typen sahen, wie sie beim Zocken abgingen und daraufhin meinten: ”Certo che questa OFFICINA è proprio STRANA!”, was so viel heißt wie: “Das ist aber ein seltsamer Arbeitsplatz”. Das bedeutet der Name.

Daniel: Die Band blieb lange im Underground. In den Anfangstagen gab es nur Demos und ein paar EPs. Erst 1989 erschien das erste richtige Album “Rock 'n' Roll Prisoners”. Warum hatte das so lange gedauert?

Rolando: Sie haben immer hart gearbeitet und haben nur in ihrer Freizeit Musik gemacht. Und sie hatten alle Familie. Mein Vater hat immer erst bis 18 Uhr gearbeitet und danach dann mit meinem Onkel Fabio an Riffs und neuen Songs gearbeitet. Sie haben zusammen mit Enzo und Bud zwei bis dreimal die Woche geprobt und aufgenommen. Sie haben also immer ziemlich lange an den Songs gefeilt, bis sie endlich fertig waren. Sie haben aber vermutlich auch viel lieber gespielt, als im Studio etwas aufzunehmen.

Daniel: 1993 sind die beiden Brüder Roberto und Fabio Cappanera gestorben. Was ist genau passiert?

Rolando: Mein Vater Roberto und mein Onkel Fabio sind bei einem Autounfall gestorben, als sie zu einem Konzert nach Florenz unterwegs waren. Ein Motorrad hat sein Gepäck verloren und mein Onkel konnte nicht mehr rechtzeitig ausweichen. Sie starben so, wie sie lebten: zusammen, wie ein Herz und eine Seele...

strana officinaDaniel: Nach ihrem Tod, habt ihr von 1993 bis 1995 eine lange Tour in ihrem Gedenken gespielt, zusammen mit Dario, dem Neffen von Fabio und Roberto. Welche Idee steckte dahinter? Und war es Euch wichtig, dass die Band erneut aus Familienmitgliedern bestand, anstatt Euch völlig neue Mitstreiter zu suchen?

Rolando: Nach ihrem Tod hielt die ganze Familie (zwei weitere Brüder meines Vaters und alle Cousins) zusammen und verbrachte viel Zeit miteinander, um den Familienzusammenhalt zu stärken. Eines Tages beschlossen Dario, Enzo, Bud und ich, in unser Studio zu gehen und Strana Officina-Songs zu spielen. Die ganze Familie und viele Freunde haben zugehört; einige weinten, viele sangen mit. Von da an wussten wir, dass wir in Zukunft weitermachen mussten, um die Erinnerungen an Fabio und Roberto aufrecht zu erhalten. Es war und ist nicht möglich und wird es auch niemals sein, dass Strana Officina ohne einen der Cappaneras weiter laufen würde. Denn Fabio und Roberto gründeten die Band, Fabio schrieb alle Songs und Roberto alle Texte, nachdem der erste Sänger, Johnny Salani, die Band verlassen hatte und Bud in die Band kam. Das Studio, in dem alles begann, wurde von Fabio und Roberto aufgebaut, und nun geht das Spiel mit Dario und mir weiter. Ich weiß gar nicht, ob andere Musiker dazu in der Lage wären, Strana Officina-Songs mit demselben Feeling zu spielen wie Fabio und Roberto. Dario und ich sind quasi in der mittleren Phase der Bandgeschichte aufgewachsen. Wir sind bei den Proben und Songwriting-Prozessen immer dabei gewesen. Ich war immer dabei, wenn mein Vater zu Hause Songs geschrieben hat. Wir haben den Strana Officina-Stil im Blut. Dario und ich sind heute der Motor der Band, so wie es Fabio und Roberto damals waren. Heute sprechen wir mit Booking-Agenturen, Plattenfirmen und Magazinen und halten die Band am Leben.

Daniel: Warum hattet Ihr Euch denn 2006 dazu entschlossen, die Band mit einem komplett neuen Line-Up weiter zu führen? Neben den beiden Cappanera-Brüdern starb ja auch noch Ex-Gitarrist Marcello Marsi 2002... Wieso handelt es sich bei Strana Officina für Dich immer noch um dieselbe Band?

Rolando: Strana Officina ist die legendärste und meist geliebte Band in Italien. Das ist wahr! Jeder, egal ob Metalfan oder nicht, kennt die Band hier. Die Leute wollen Enzo, Bud und zwei Cappanera-Brüder zusammen auf der Bühne sehen, so wie es in den Achtzigern war. Das ist das Beste, was wir für die Fans tun können.

Daniel: Was habt Ihr denn zwischen 1995 und 2006 so gemacht? Habt Ihr noch in anderen Bands gespielt?

Rolando: Enzo hat fast zehn Jahre gar keine Musik mehr gemacht. Er hat mir erzählt, dass er mit Freunden versucht hat, eine Bluesband zu gründen, aber das hatte nicht funktioniert. Bud hatte eine neue Band mit dem Namen Bud Tribe gegründet, in der sein Bruder Bid Bass gespielt hatte. Das ist eine Hard 'n' Heavy-Band, die sogar drei Alben veröffentlicht hat. Dario und ich haben täglich alles Mögliche von Metal bis Pop-Rock gemacht. 1995 waren wir noch sehr jung, 18 bzw. 22 Jahre alt, und wir mussten viele Dinge ausprobieren, um Musikverständnis aufzubauen. Von 1993 bis 1995 haben wir mit Strana Officina eine Tribute-Tour für Fabio und Roberto gespielt und die Fans haben uns richtig abgefeiert. Danach haben Dario und ich aber erstmal nicht weiter gemacht, weil wir noch nicht bereit für ein neues Strana Officina-Album waren. Wir waren noch zu jung und zu weit entfernt vom Heavy Metal Achtziger. 2006 waren wir erwachsen und wussten besser als früher, was das Beste für Strana Officina sein würde. Enzo und Bud warteten so lange auf uns, weil sie wussten, wie wichtig Dario und ich für Strana Officina sind. Ursprünglich kamen wir erst nur für ein einziges, letztes Konzert auf dem Gods Of Metal Festival 2006 zusammen, eines der größten und wichtigsten Metal Festivals zu der Zeit, um den Kreis dieser Tribute-Tour zu schließen. Aber einen Tag danach spielten wir erneut vor 5000 Zuschauern und sowohl alte als auch junge Leute sangen alle lauthals mit. Deshalb entschlossen wir uns dann doch, weiter zu machen.

Daniel: 2007 erschien das Album “The Faith”, das ausschließlich Neuaufnahmen alter Songs enthielt. War es Euch wichtig, dass die Fans hören, wie die Klassiker mit der neuen Besetzung klingen würden?

Rolando: “The Faith” wurde veröffentlicht, um den Fans zu zeigen, dass Strana Officina wieder da sind, und um zu zeigen, wie stark die Band auch nach dieser Tragödie war. Das Album war ein Weg, um den Fans zu sagen, dass der Neubeginn damit eingeläutet war. Wir wollten die alten Songs mit einer zeitgemäßen Produktion haben, um zu zeigen, dass die alten Songs den Test der Zeit bestehen würden, und dass wir endlich dazu bereit waren, ein neues Kapitel der Band aufzuschlagen.

strana officinaDaniel: Kürzlich wurde eine Menge altes Zeug der Band über Jolly Roger Records wiederveröffentlicht: die “Strana Officina” EP (1984), die “Ritual” EP (1987), das Debüt “Rock & Roll Prisoners” (1989) und “Rare & Unreleased” mit Aufnahmen von 1979 bis 1989. Es gab aber 2008 schon mal eine Box mit all dem Material. Warum kam es also gerade jetzt zu diesen Wiederveröffentlichungen? Sind die alten Versionen alle vergriffen?

Rolando: Ich hatte zwei Ideen diesbezüglich: Zum einen waren wir gerade auf Tour und hatten nichts Aktuelles draußen, und zum anderen gab es die ganzen Aufnahmen aus den Achtzigern nur noch in dieser Box. Ich wollte aber, dass sie alle auch einzeln erhältlich sein würden. Zusätzlich wurden alle CDs noch mit Bonustracks versehen, die vorher noch nicht erhältlich waren. Die Fans sollten auch nach dem Konzert die Möglichkeit haben, die Songs auf der Rückfahrt hören zu können. Heutzutage hört man ja auch nicht mehr ausschließlich nur Vinyl... Darum ging es eigentlich bei diesen Wiederveröffentlichungen.

Daniel: Es gab außerdem noch drei Strana Officina-Demos, eins 1983 und zwei 1986. Warum sind sie hier nicht als Bonus vertreten? Sind die Originalaufnahmen verloren gegangen? Oder war der Sound einfach zu schlecht?

Rolando: Die Demos von 1983 und 1986 waren Vorproduktionen der beiden EPs “Strana Officina” und “Ritual”, und die meisten Songs davon sind auch letztendlich auf diesen EPs gelandet. Der Rest, der dort nicht verwertet wurde, wurde dann auf “Rare & Unreleased” gepackt. Das Komische an Strana Officina ist, dass wir nicht hundert Songs haben, sondern vielleicht sogar weniger als dreißig... die meisten mit italienischen, statt mit englischen Texten. Aber dass die Band wichtig für die italienische Metalszene ist, ist Fakt! Es gibt also nur wenige Songs von uns, die den Metalfans in Erinnerung geblieben sind. Wenn wir live spielen, warten die Fans immer nur auf die alten Klassiker wie “Non Sei Normale”, “Officina”, “Sole Mare Cuore” (alle von 1978), “Autostrada Dei Sogni”, “Piccolo Uccello Bianco” oder “Viaggio in Inghilterra” (alle von 1982).

Daniel: Ich habe noch eine Frage speziell zu “Ritual”, da es zwei verschiedene Veröffentlichungen mit diesem Titel gibt: Es gab nämlich das Promotape von 1986 mit neun Songs und die 12” EP von 1987 mit nur vier Songs. Warum wurden die restlichen fünf Songs nicht auch nochmal aufgenommen? Ich könnte mir vorstellen, dass es Sammler gibt, die verzweifelt nach den verlorenen fünf Tracks suchen...

Rolando: Ich bin mir gar nicht sicher, ob es wirklich neun Songs waren... Was ich aber sicher weiß, ist, dass es tatsächlich eine Tapeversion mit Bonustracks gab. Einer davon landete später auf “Rock & Roll Prisoners”, ein anderer war “Vittima” mit italienischem Text.

Daniel: Wie sehen Eure Zukunftspläne mit Strana Officina aus? Werdet Ihr endlich wieder ausgiebiger auf Tour gehen und vielleicht sogar auch mal Konzerte bei uns in Deutschland spielen?

Rolando: Wir arbeiten gerade an einem neuen Album mit italienischen Texten. Unsere Fans lieben die Songs in der Landessprache und verstehen sie natürlich auch viel besser. Deshalb werden wir auch so weitermachen. Es wäre toll, einmal in Deutschland zu spielen! Wir werden unser Möglichstes tun. Falls Du ein paar Promoter kennst oder sonst jemand anders, der das hier liest, daran interessiert ist, italienischen Metal nach Deutschland zu bringen, kann man uns gerne auf unserer offiziellen Facebook-Seite kontaktieren!

https://www.facebook.com/StranaOfficinaBand



Autor: Daniel Müller