TURBO, HELLHAIM

Słubice (Polen), Słubicki Miejski Ośrodek Kultury, 15.03.2019

Turbo - Index - live - 2019Wenn eine der ganz großen Legenden des polnischen Heavy Metal nur 500 Meter Luftlinie von der deutschen Grenze in Słubice Station macht, ist das natürlich auch für den über den Tellerrand hinausschauenden deutschen Headbanger ein Pflichttermin. Die Rede ist von Turbo aus Poznań. Turbo haben es in ihrer mittlerweile 39-jährigen (!) musikalischen Laufbahn geschafft, von Hard Rock über Speed Metal und Thrash Metal bis hin zu Death Metal so ziemlich jede Spielart des schwermetallischen Genres einmal durchexerziert zu haben. Und das nicht etwa in der so oft gesehenen Abfolge hart zu soft, sondern genau umgekehrt. Nachdem das letzte Studioalbum inzwischen schon bald sechs Jahre auf dem Buckel hat, beschäftigen sich Turbo live zumeist mit einzelnen Alben aus der Frühphase der reichhaltigen eigenen, inzwischen elf Studioscheiben umfassenden Diskografie. Aktuell ist das Album dran, das in seiner englischen Fassung vermutlich auch den meisten nicht-polnischen Turbo-Fans ein Begriff sein dürfte: „Ostatni Wojownik“ bzw. in der englischen Version „Last Warrior“. Besagtes „Last Warrior“ erschien noch vor dem Fall des „eisernen Vorhangs“ im Jahr 1988 über das Berliner Label Noise Records und wirbelte auch außerhalb Polens einigen Staub auf. Auf der aktuellen „The Last Warrior 2019“-Tour kommt allerdings – trotz des englischen Mottos –  die polnische Version des Albums zum Einsatz. Als deutscher Fan hat man es zum heutigen Konzert nicht weit. Von Frankfurt/Oder aus muss man nur kurz über eine Brücke gehen, dann rechts abbiegen, ein paar Meter an der Oder entlang laufen, und dann steht man schon vor dem „Słubicki Miejski Ośrodek Kultury“, dem städtischen Kulturzentrum Słubice, wo sich im ersten Stock der „Klub Prowincja“ befindet. An diesem grauen und nasskalten Freitag haben sich dort bei einem Eintrittspreis von umgerechnet 12 Euro etwa 100 Zuschauer eingefunden, darunter auch gut ein Dutzend deutsche Fans.

Hellhaim - live - 2019Während ich mich noch in der angeschlossenen Bar bei einem leckeren polnischen Weizen auf Betriebstemperatur bringe, erscheint auch schon Mateusz Drzewicz, Sänger der Vorband Hellhaim, in voller Konzert-Montur und kündigt den Beginn des Konzert-Abends an. Na dann mal nichts wie rein ins Metal-Geschehen! Nach einigen anfänglichen Soundproblemen schaffen Hellhaim es spätestens mit ihrer kraftvollen Coverversion von „Breaking The Law“, das Publikum auf ihre Seite zu bringen. Auffällig sind besonders die beiden alten Recken  Albert Żółtowski und Piotr Konicki an den Sechssaitern, die locker die Väter der restlichen Bandmitglieder sein könnten (was im Fall des Schlagzeugers Michał Konicki auch tatsächlich so ist). Altersmüde sind die beiden aber keinesfalls, und so legen Hellhaim eine powervolle Show auf die Bretter, aus der besonders der bereits eingangs angesprochene Sänger Mateusz mit seiner facettenreichen Stimme heraussticht. Nachdem dann auch noch die deutschen Fans explizit begrüßt und mit einer „Fast As A Shark“-Coverversion bedacht werden, haben die Jungs endgültig beim Publikum gewonnen.

Turbo - live - 2019Die gute Stimmung können Turbo anschließend mühelos halten und erwartungsgemäß noch einen draufsetzen. Um Przemysław Niezgódzki als zweiten Gitarristen ergänzt, gibt es von der Truppe um die beiden Turbo-Urgesteine Wojciech Hoffmann (Gitarre) und  Bogusz Rutkiewicz (Bass) zu Beginn gleich das komplette „Ostatni Wojownik“-Album in zwar teilweise veränderter Songreihenfolge, aber auch 32 Jahre nach Veröffentlichung in unverminderter Durchschlagskraft auf die Ohren. Und so sehr man als Fan der frühen Tage Ur-Sänger Grzegorz Kupczyk auch vermissen mag, an der  Performance seines Nachfolgers Tomasz Struszczyk (seit 2007) gibt es absolut nichts auszusetzen. Wer denkt, nach diesem Thrash-Feuerwerk gäbe es eine Gelegenheit zum Durchschnaufen, der sieht sich getäuscht. Denn mit „Dłoń Potwora“, „Ostatni Grzeszników Płacz“ sowie „Kawaleria Szatana Cz. I“ vom überragenden „Kawaleria Szatana“-Album (1986) geht es gleich in unverminderter Intensität weiter. Das zwischendurch eingestreute „Na Przekór Nocy“ vom 2009er-Album „Strażnik Światła“ fügt sich nahtlos ein und beweist, dass Turbo auch auf den späteren Alben nichts verlernt haben. Mit der Würdigung des seit 2013 aktuellen Studioalbums „Piąty Żywioł“ in Gestalt von „This War Machine“ (übrigens sowohl auf der englischen als auch auf der polnischen Version des Albums vertreten), findet der Abend dann sein vorläufiges Ende. Aber wer Turbo kennt, der weiß natürlich, dass das noch nicht alles gewesen sein kann.  Denn natürlich möchte das Turbo-Publikum auch an einem der härteren Gangart gewidmeten Abend die Klassiker aus der eher hardrockigen Frühphase hören. Beim unvermeidlichen „Dorosłe Dzieci“ (vom gleichnamigen 1982er-Album), quasi dem Turbo’schen „Smoke On The Water“, dürfen dann auch im Zuschauerraum die Sangeskünste unter Beweis gestellt werden, bevor es mit „Już Nie Z Tobą“ vom zweiten Album „Smak Ciszy“ (1985) den ultimativen Rausschmeißer gibt. Ein in jeder Hinsicht gelungener Abend, der nicht nur bei mir Lust auf noch mehr Turbo gemacht hat!



Autor: Sebastian Thiel - Pics: Sebastian Thiel