H.E.A.T. - LIVE IN LONDON


Label:EAR
Jahr:2015
Running Time:67:21
Kategorie: Liverecording
 

Mit Live-Alben ist das heutzutage so eine Sache, denn mit den Möglichkeiten der modernen Technik stellt sich oft die Frage, was denn überhaupt noch live sein soll an einem solchen Album. Nun kommen die Melodicrocker H.E.A.T. aus Schweden nach gerade einmal vier Studioalben mit ihrem ersten Live-Mitschnitt „Live in London“ um die Ecke, und es stellt sich die Frage, wieviel vom Charme ihrer energiegeladenen, wilden und verschwitzen Clubshows es auf den Rundling geschafft hat. Doch sofort nach dem Intro, wenn Erik Grönwall mit dem Kampfschrei „Londooon! Let`s Go!“ das Publikum anheizt, fühlt man sich in die erste Reihe gebeamt, reckt die Faust in die Luft und grölt „Point Of No Return“ mit. Grönwall liefert live hundertprozentig ab, schleudert jede Silbe mit voller Wucht in die Menge, trifft dabei präzise jeden Ton und hat ganz nebenbei die Meute vor der Bühne voll im Griff – und das ohne irgendwelche peinlichen, forcierten Mitsingparts, die beim Konzert vielleicht noch ganz lustig sind, aber auf einer CD nur nerven. Auch kommen H.E.A.T. komplett ohne überlange Soli aus. Ein kleines Gitarrenintro von Eric Rivers hier, ein paar perlende Keyboardtupfer von Jona Tee da, und ein Mini-Drumsolo von Crash. Eigentlich fast schon schade, da jeder der jungen Herren sein Instrument hervorragend beherrscht, aber im Hause H.E.A.T. wird eben zurückhaltend und songdienlich soliert. Und Songs können sie. Oh Mann, können die Songs schreiben! Hier gibt es nur Knüller und keine Füller auf die Lauscher und live entfaltet das Material erst sein volles Potential. Stadionrock vom Feinsten und Volldampf von der ersten bis zur letzten Minute. Wer einmal bei einem H.E.A.T. Konzert war, weiß, dass hier kein Studiopfusch im Einsatz war. Die Jungs sind wirklich so gut, da sitzt einfach alles. Jimmy Jays Bass pumpt, was das Zeug hält, die Backingvocals, die übrigens sämtliche Instrumentalisten beisteuern, harmonieren, das Timing stimmt – typisch schwedische Perfektion eben.

Das kurzweilige Album bringt einen authentischen Clubsound in die gute Stube und wirkt keinesfalls überproduziert. Glücklich können sich all jene schätzen, die die Chance haben, H.E.A.T. auf ihren derzeitigen Konzerten hautnah zu erleben, denn allzulange werden sie bei einer solchen Leistung bestimmt nicht mehr die kleinen und kleinsten Hallen bespielen. Umso erfreulicher, dass dieser Abschnitt ihrer Karriere nun für die Nachwelt konserviert wurde. Die Songauswahl weiß zu überzeugen. Vom rotzigen „Inferno“ über das poppige „In And Out Of Trouble“ und das nachdenkliche „Downtown“ bis zur Über-Hmnye „Tearing Down The Walls“ und dem Stampfer „Breaking The Silence“ bekommt man einen guten Überblick über das Schaffen der sympathischen, stets gut gelaunten Jungs. Zwar kommt die Ära vor 2010 mit dem Beitrag für den schwedischen ESC-Vorausscheid „1000 Miles“ sowie „Late Night Lady“ vom Erstlingswerk vergleichsweise etwas zu kurz, aber das ist insofern gerechtfertigt, dass man seit dem Weggang des ehemaligen Sängers Kenny Leckremo im Grunde eine völlig andere, komplett entfesselte Band vor sich hat. Apropos Besetzungswechsel: Die Entscheidung, den ausgeschiedenen zweiten Gitarristen Dave Dalone nicht zu ersetzen, sondern die Songs für nur eine Gitarre umzuarrangieren, verleiht der Musik nochmals eine etwas schroffere Kante, die den Live-Charakter des Albums positiv unterstreicht. Und wenn Grönwall dann doch mal die Akustikklampfe hervorzaubert, um seinen Mitstreiter Eric Rivers an den Saiten zu unterstützen, kommt auch die Lagerfeueratmosphäre nicht zu kurz.

Fazit: Eine klare Kaufempfehlung für alle, die sich melodischem Rock mit Ecken und Kanten verschrieben haben und ein gutes Live-Album zu schätzen wissen. Wer sich vorm Kauf einen Eindruck verschaffen möchte, schaue sich auf YouTube die beiden Promovideos zu „Live in London“ an. Und hier kommt auch der einzige Kritikpunkt: Im Grunde hätte aus dem Mitschnitt eine DVD werden müssen, denn die Bühnenperformance insbesondere von Erik Grönwall ist durchaus sehenswert. Der Mann kennt keine Erschöpfung, turnt auf Lautsprechertürmen herum, schlägt Räder, landet dabei auf dem Hintern, crowdsurft und trinkt auch schon mal dem Publikum das Bier weg. Ganz zu schweigen von seinem psychopathischen Grinsen, das Jack Nicholson in „The Shining“ alle Ehre gemacht hätte. Leider alles auf der CD nicht zu sehen. Ergo: Ticket kaufen und hingehen!

Note: Keine Wertung
Autor: Sandra Kallmeyer


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