Daniel: Hallo Wojciech! Lass uns mal ganz von vorne beginnen: Wie kam der Stein 1980 für Turbo ins Rollen?
Wojciech: Hallo Daniel! Das ist schnell erzählt, genauso wie bei anderen Bands auch, schätze ich. Turbo entstanden aus der Asche der polnischen Rockband HEAM, in der ich von 1977 bis zum 2.Januar 1980 spielte. An dem Tag beschloss Henryk Tomczak, Bassist und Kopf der Band, die Band aufzulösen und etwas neues, Heavy Rock-lastigeres, zu starten. Ich war anfangs noch etwas skeptisch und wollte erst gar nicht an Turbo mitwirken, aber nach zwei Monaten hatte es Henryk dann doch irgendwie geschafft. Seitdem bin ich von Anfang an dabei.
Daniel: War es eigentlich schwierig, in Polen zu der Zeit in einer Metalband zu spielen? Habt Ihr mal Zensurprobleme oder Auftrittverbote bekommen etc.?
Wojciech: Nein, eigentlich nicht. Wir hatten das Glück, dass die ganze Zensur komplett an uns vorbeigegangen ist, aber ich kenne viele Bands aus Polen, die diese ganze Scheiße durchgemacht haben. Was Turbo anbelangt, hatten wir ein anderes Problem: Anfang der Achtziger hatte keiner von uns die Freiheit, ins Ausland zu gehen und dort live zu spielen, aber irgendwie haben wir es geschafft, dass wir im Ausland eine Kultband geworden sind und viele Leute uns dort sehr unterstützten. Jetzt aber haben wir diese Freiheit endlich und die Zensur gibt es zum Glück auch nicht mehr. Allerdings haben die polnischen Medien, die großen Plattenfirmen und die Radiostationen uns und viele andere Bands, die ähnliche Musik gemacht haben wie wir, viel zu lange ignoriert.
Daniel: Wie seid Ihr denn damals mit Tonpress Records in Kontakt gekommen, die 1980 Eure erste 7" EP veröffentlicht hat? Und warum ist sie ohne Coverartwork erschienen? War dafür nicht genügend Geld da?
Wojciech: Ich kann mich ehrlich gesagt nicht daran erinnern, dass wir einen Vertrag bei Tonpress Records unterschrieben hätten. Ich schätze mal, dass das nur mündlich abgesprochen war. Tonpress war das einzige Label, das zu der Zeit bei uns Musik veröffentlicht hat. Warum die EP kein richtiges Cover hatte? Weil in Polen Armut und Kommunismus herrschten... Deswegen wurden Platten immer nur in dünnen Papierschubern veröffentlicht. Es gab einfach kein qualitativ hochwertiges Papier und keine guten Coverzeichner bei uns. Deswegen waren die Alben einfach so schlicht gestaltet.
Daniel: Wusstest Du, dass es in Osteuropa noch zwei weitere Metalbands gab, die Turbo hießen? Eine kam aus Tschechien und eine aus Slowenien. Kennst Du diese Bands? Und kam es da jemals zu Verwechslungen?
Wojciech: Ich weiß, dass diese Bands existier(t)en, aber ich denke, dass wir die erste Band waren, die so hieß. Und bis jetzt sind wir auch nie mit ihnen verwechselt worden. Ich habe die anderen Bands dieses Namens auch nie getroffen und live gesehen... Aber weißt Du was? Ich finde, es wäre eine gute Idee, alle drei Bands einmal zusammen auftreten zu lassen! Wir sollten mal ernsthaft darüber nachdenken!
Daniel: Welche Bands waren bzw. sind die Haupteinflüsse für Turbo? Ich finde, das ist eine sehr interessante Frage, weil Ihr Euren Stil ja über die Jahre auch ständig verändert habt...
Wojciech: Das ist schwierig zu beantworten, weil sich mein Musikgeschmack in viele verschiedene Richtungen verändert hat. Den größten Einfluss haben für Turbo und mich aber ohne Zweifel Deep Purple und Ritchie Blackmore. Er ist immer noch mein größter Held. Aber nach der vorzeitigen Auflösung von Deep Purple Ende der Siebziger, habe ich Iron Maiden und Judas Priest für mich entdeckt. Daher waren diese Bands auch die größte Inspiration in unseren Anfangstagen.
Daniel: Worin lagen eigentlich die Gründe für die ganzen Stilwechsel? Ich meine, Ihr habt 1980 als stinknormale Rockband angefangen, dann klassischen Heavy Metal gespielt ("Smak Ciszy", 1985), Thrash Metal ("Kawaleria Szatana", 1986 und "Ostatni Wojownik"/"The Last Warrior", 1987/´88), habt Euch wie Anthrax angehört ("Epidemie", 1989), seid dann zum Death Metal übergegangen ("Dead End", 1990 und "One Way", 1992) und habt zur Jahrtausendwende sogar modernen Groove Metal ("Awatar", 2001) gespielt, bevor Ihr vor ein paar Jahren endlich zu Euren Heavy Metal Wurzeln zurückgekehrt seid. Warum? Warst Du im Nachhinein immer unzufrieden mit den jeweiligen Alben? War das wegen der zahlreichen Besetzungswechsel? Oder war das von Anfang an immer so geplant?
Wojciech: Der Hauptgrund dafür war eigentlich die wechselnde Atmosphäre von Metal Musik in den Achtzigern. Ich wollte mit Turbo nie zweimal das gleiche Album aufnehmen. Mein Ziel war es immer, den Leuten zu zeigen, dass wir uns immer weiter entwickelten und niemals auf der Stelle treten wollten. Dazu gehörten auch neue Techniken und andere Stile des Metal. Ich wollte die Veränderungen immer mit meinem eigenen Stil kombinieren, um etwas zu veröffentlichen, das immer interessant blieb. Nach der New Wave Of Brisitsh Heavy Metal Phase kam der Thrash Metal ganz groß raus und später dann der Death Metal. All das beeinflusste mich und ich wollte den Leuten zeigen, dass Turbo durchaus auch in der Lage sind, mit anderen großen Bands aus den USA oder Westeuropa mithalten zu können. Dann gab es jedoch ein paar Besetzungsprobleme und 1992 nahmen wir uns eine Auszeit von ein paar Jahren. Und auch danach war es so, dass wir den Leuten zeigen wollten, dass wir noch nicht zum alten Eisen gehören und haben mit "Awatar" ein moderneres Album hingelegt. Es kam zwar immer noch recht gut an, aber nicht mehr so, wie unsere Klassiker in den Achtzigern. Daher haben wir uns auch auf unseren letzten drei Alben wieder mehr auf unsere Wurzeln besonnen. Das ist es, was der Großteil unserer Fans erwartet. Und die Fans sind das Wichtigste für uns!
Daniel: Ich kann leider kein Polnisch. Von daher würde ich gerne wissen, worum es in Euren Texten so geht. Geht es nur um die typischen Metalklischees? Oder habt Ihr tatsächlich auch so etwas wie eine Botschaft, die Ihr Euren Hörern vermitteln wollt?
Wojciech: Sowohl als auch. Die Texte auf unseren ersten beiden Alben hat unser verstorbener Freund Andrzej Sobczak (R.I.P.!) geschrieben. Er war einer der besten Texter der polnischen Musikgeschichte. Sie handelten von sozialenkritischen Themen, mit denen wir zu dieser Zeit zu kämpfen hatten. Die Texte sind auch für heutige Verhältnisse noch intelligent und ihrer Zeit voraus. Aber um sie zu verstehen, muss man wohl schon damals in Polen gelebt haben; speziell beim Titelsong des Debüts - "Dorosłe Dzieci" ("Adult Children" = "Erwachsene Kinder") - ist dies der Fall. Später haben wir unsere Texte dann selber geschrieben und waren mehr am Metal orientiert. Textlich gesehen, ging es bei "Kawaleria Szatana" und "The Last Warrior" um den Kampf zwischen Gut und Böse, während es auf den letzten Alben mehr um das alltägliche Leben um uns herum geht. Es geht oft um die Identität des Menschen, ist aber eher in poetischer Form geschrieben. "Strażnik Światła" z. B. ist ein Konzeptalbum über einen Menschen, der über sein Leben vom der Geburt bis zu seinem Tod erzählt. Die neue Turbo-CD "The Fifth Element" handelt vom Mensch im Kontext der vier Elemente auf der Erde. Wir porträtieren die Menschheit als fünftes Element auf dieser Welt, in all seinem Tun: Beim Leben, Lieben, Arbeiten, Töten, Zerstören und Sterben spielt er eine ganz bestimmte Rolle auf diesem Planeten. Uns sind die Texte sehr wichtig und wir sind froh darüber, dass die Fans sie zu verstehen scheinen und sich mit ihnen identifizieren.
Daniel: Wie kam es eigentlich dazu, dass es manchmal zwei Versionen Eurer Alben gab? Es gab z. B. "Ostani Wojownik" als polnische und "The Last Warrior" als dazu gehörige englische Version. Wolltet Ihr damit mehr Leute erreichen?
Wojciech: Ja, genau! Ich wollte immer, dass unsere Alben auch im Rest von Europa und auf der ganzen Welt erhältlich sein können. Die erste Gelegenheit dazu bekamen wir mit "The Last Warrior", das auf dem deutschen Label Noise Records erschienen ist. Wir wollten, dass uns alle unsere Fans verstehen. Deshalb hatten wir zusätzlich die englischsprachige Version gemacht. Englisch versteht man auf der ganzen Welt. Seit "The Last Warrior" haben wir es eigentlich immer so gehandhabt, unsere CD's in beiden Sprachen zu veröffentlichen. Die einzige Ausnahme ist "Strażnik Światła" ("Guardian Of The Light" = "Wächter des Lichts"), die nur auf Polnisch erschienen ist. Aber wir hoffen, auch davon eines Tages eine englische Version zu machen.
Daniel: Ist es eigentlich ein Problem für Dich, englische Texte zu schreiben? Oft ist es ja so, dass die Leute in Osteuropa immer noch kaum diese Sprache sprechen...
Wojciech: Das hat sich aber seit dem Ende der Achtziger Jahre drastisch geändert. Mittlerweile sprechen immer mehr Leute in Osteuropa auch recht gut Englisch. Englisch ist die populärste Sprache der Welt und wir sind daran interessiert, so viele Leute wie nur möglich zu erreichen. Deshalb werden wir auch diese Tradition beibehalten, unsere zukünftigen Alben weiterhin in beiden Sprachen zu veröffentlichen.
Daniel: Planst Du denn von vornherein, ob Ihr nun ein neues Album auf Englisch oder Polnisch machen wollt? Ich meine, "Strażnik światła" (2009) und "Piąty żywioł" (2013) hatten ausschließlich polnische Texte, auf "The Fifth Element" seid Ihr wieder zur englischen Sprache übergegangen...
Wojciech: Im Prinzip habe ich diese Frage ja schon beantwortet. Die Welt ist heute ein globales Dorf. Speziell in Europa gibt es heute keine Grenzen mehr und die Leute befassen sich wirklich mit den Texten und wollen wissen, worum es da geht. Und seit eigentlich überall Englisch gesprochen wird, sollten die Alben auch in dieser Sprache erhältlich sein.
Daniel: Ihr spielt dieses Jahr endlich mal auch Festivals außerhalb Eures Landes. Ihr habt auf dem Muskelrock in Schweden gespielt und seid auch auf dem Headbangers Open Air in Deutschland am Start. Wie kam es dazu? Habt Ihr endlich ein besseres Management?
Wojciech: Ja! Zum ersten Mal seit vielen, vielen Jahren und eigentlich auch zum ersten Mal überhaupt, haben wir endlich einen richtig guten Manager, der sich unserer angenommen hat und der uns unter die Arme greift. Leider können sich nicht mehr so viele Leute noch an uns erinnern... Der gesamte Musikmarkt hat sich völlig verändert. Deshalb ist es heute sehr schwierig; vor allem für uns als zwar legendäre, aber fast vergessene Band. Aber ich glaube, dass es für Turbo immer noch Licht am Ende des Tunnels gibt. Selbst ohne uns groß umzuhören, sind wir für das Muskelrock in Schweden und das Headbangers Open Air in Deutschland gebucht worden. Dieses Jahr sind es zwar nur diese beiden Auftritte außerhalb Polens in diesem Jahr, aber im nächsten Jahr werden wir wohl vermehrt im Ausland unterwegs sein und sowohl alte als auch neue Fans nach den Shows treffen. Ich kann es gar nicht abwarten! Danke an euch alle im Westen, die sich immer noch darüber im klaren sind, dass Turbo noch da und stärker als je zuvor sind! Wir wollen euch allen dafür danken!
Daniel: Was können wir denn von der Setlist erwarten? Wird es nun einen reinen Heavy Metal Set geben, jetzt wo Ihr zu Euren Wurzeln zurück gekehrt seid? Oder wird es auch etwas aus Eurer großen Thrash Phase geben?
Wojciech: Für die Sommerfestivals haben wir wieder sehr viele Sachen ausgegraben, die wir schon ewig nicht mehr gespielt haben. Ich weiß, dass die meisten Fans aus dem Ausland Turbo vor allem aus der Thrash Metal Phase Mitte der Achtziger bis Anfang der Neunziger kennen. Und obwohl wir oft hören, dass die letzten Alben unsere besten überhaupt sind, konzentrieren wir uns auf dem Headbangers Open Air auf unsere Klassiker. Wir werden vier Songs von "The Last Warrior", drei oder vier Songs von "Kawaleria Szatana", einen oder zwei Songs vom neuen Turbo-Album, einen Song von unserem allerersten Album "Dorosłe Dzieci" und wahrscheinlich auch noch einen obskuren Track vom "Dead End"-Album spielen. Killer Set, oder? Es wird eine sehr energische und tighte Show werden und das Beste von all dem beinhalten, was Turbo immer ausgemacht hat. Das Headbangers Open Air ist ein Kultfestival und eine großartige Gelegenheit für uns, unsere deutschen Fans nach so vielen Jahren endlich wieder zu treffen. Und da freuen wir uns schon sehr drauf!
Daniel: Wie groß seid Ihr in Polen eigentlich? Seid Ihr dort eine Mainstream Band, die große Hallen füllt und auf großen Festivals spielt? Und könnt Ihr von Eurer Musik leben?
Wojciech: Wir gehören in Polen zu den Großen Dreien, so zu sagen, zusammen mit Kat und TSA. Von den drei Bands sind wir vermutlich im Moment die größten. Turbo ist die einzige Band hier, die permanent Alben veröffentlicht und Konzerte gespielt hat. Im Moment spielen wir allein in Polen an die 70 Konzerte im Jahr; meistens in Clubs für 200 bis 400 Mann plus größere Headlinergigs und Festivals. Die ganz großen Events gehören hier der Popmusik. Ich denke, dass das auf der ganzen Welt so ist, und dass viele Rockbands auch unter diesem Mainstream leiden. Das ist ein großes Problem und würde in diesem Interview den Rahmen sprengen. Das ist hier wirklich eine komische Situation. Die Rock- und Metalpresse liebt uns. Viele Fans und Leute aus dem Musikbusiness vergöttern uns seit Jahren, aber wenn Du es nicht ins Radio oder ins Fernsehen schaffst, kommen immer nur dieselben Leute zu Deinen Konzerten. Andererseits ist es aber auch schön zu sehen, dass die älteren Fans mittlerweile auch ihre Kinder mitbringen, damit sie Turbo sehen können! Wir sind nun eine Band, die drei Generationen anspricht, und das ist echt cool!
Daniel: Lass uns mal ein bisschen in der Vergangenheit wühlen, OK? 1992 kam Euer Album "One Way" ausschließlich auf Kassette raus. Warum nicht auch auf Vinyl oder CD?
Wojciech: Das war zu einer Zeit, wo die Plattenfirmen mit möglichst wenig Aufwand möglichst schnell viel Geld scheffeln wollten. Speziell in Polen bauten Labels auf Billigprodukte, die man schnell verkaufen wolIte. Das war ein harte Zeit für die Musikindustrie hier. Im Fall von "One Way" wollte irgendwie niemand eine CD-Version davon veröffentlichen. Wir haben dann viele Streitigkeiten mit der Plattenfirma Metal Mind Productions und der Druck innerhalb der Band staute sich ebenfalls auf. So war es dann unvermeidlich, dass die Erstauflage von "One Way" zunächst nur auf Kassette rauskam...
Daniel: Ich bin ein großer Fan Eures Ex-Schlagzeugers Thomasz Goehs, der von 1986 bis 1991 und kurz im Jahr 1995 bei Euch die Trommelstöcke schwang. Warum spielt er nicht mehr bei Turbo? Und was macht er heute so? Ist er noch aktiv? Weißt Du das?
Wojciech: Tom Goehs ist a großartiger Schlagzeuger und immer noch gut mit der Band befreundet. Zur Zeit spielt er in der polnischen Mainstreamband Kazik Na Żywo, aber wir haben immer noch viel Kontakt zu ihm.
Daniel: Eine weitere wichtige Person bei Turbo war Ex-Sänger Grzegorz Kupczyk, der von 1981 bis 1990 und von 1995 bis 2007 bei Euch sang. Er war sehr vielseitig und war in der Lage, alle neuen Stile der Band problemlos zu bewältigen. Warum ist er nicht mehr dabei? Hast Du zum ihm auch noch Kontakt?
Wojciech: Das war eine sehr schwierige Entscheidung für die Band. Grzegorz verließ uns, weil er die Leidenschaft für Turbo verloren hatte und ihn alles ankotzte, was um die Band herum geschah zu der Zeit. Und Du kannst niemanden dazu zwingen, etwas zu tun, wenn er damit nicht mehr glücklich ist. Er ist zwar nicht mehr bei uns, aber die Band hat überlebt. Wir haben es geschafft, in Tomasz Struszczyk einen geeigneten Ersatz zu finden. Er ist ein sehr guter Sänger und wir haben bereits zwei gute Alben mit ihm aufgenommen. Nächstes Jahr werden wir anlässlich unseres 35-jährigen Bestehens das nächste Album in Angriff nehmen. Zu Grzegorz haben wir heute nur noch flüchtig Kontakt, meistens über Facebook.
Daniel: Warum musstest Du eigentlich bei Turbo so viele Leute austauschen? Was war los? Ist es schwierig, mit Dir zurecht zu kommen? Hast Du immer klare Vorstellungen davon, wie es mit der Band laufen sollte? Waren Deine Mitmusiker mit den vielen Stilwechseln nicht immer einverstanden?
Wojciech: Viele Leute sehen mich hier als eine Art polnischen Richie Blackmore. Mir wird of nachgesagt, dass es sehr schwierig ist, mit mir zusammen zu arbeiten. Aber man muss auch verstehen, dass jede Band eine treibende Kraft braucht, die sie nach vorne treibt! Wenn man der Hauptsongschreiber ist, dann muss man halt auch mal Entscheidungen treffen, mit denen nicht immer jedes Bandmitglied einverstanden ist. Mein oberstes Ziel war es immer, die bestmöglichen Musiker für Turbo an Bord zu haben. Aber nicht jeder teilte mit mir diese Version. Nicht jeder wollte sich so sehr reinhängen wie ich. Manche Musiker hatten andere Vorstellungen und mit manch anderem war man halt nicht immer auf einer Wellenlänge. So ist das Leben, aber das passiert in allen Lebenslagen. Aber es muss jemanden geben, der die wichtigen Entscheidungen trifft. Und so kam es, dass leider immer wieder Leute gehen mussten... Ich persönlich hasse es eigentlich, solch ein Diktator zu sein, aber mit Turbo muss es immer einen Schritt weiter gehen!
Daniel: Es gab in den Achtzigern und Neunzigern sehr viele Metalbands, wie Kat, Destroyer, Wilczy Pająk (später Wolf Spider), Dragon, Hammer, Open Fire, Stos, Non Iron, CETI, Lord Vader usw. Gibt es diese Bands alle noch? Weißt Du das?
Wojciech: Die meisten Bands lösten sich während wegen der schlechten Zusammenarbeit mit Metal Mind Productions auf, aber für einige Bands gab es dafür auch andere Gründe. Wir hatten eine recht große Metalszene hier in Polen, aber die Plattenfirmen sollten nur das große Geld verdienen, ohne die Bands großartig zu promoten... Einige Bands haben dies erkannt und hatten die Schnauze voll. Sie haben gemerkt, dass sie ohne Promotion nicht sehr weit kommen. Viele von ihnen lösten sich dann auf. Manche, so wie Wolf Spider, kamen zwar wieder zurück, aber von den meisten Bands hat man nie wieder etwas gehört.
Daniel: Gibt es ein paar neue Metalbands aus Polen, die Du uns weiter empfehlen kannst? Die einzige "neue" klassische Heavy Metalband, die mir spontan einfällt, ist Crystal Viper...
Wojciech: Es gibt schon ein paar neue Bands hier in Polen, aber die meisten sind völlig unbekannt, weil sie von Funk und Fernsehen komplett ignoriert werden. Aber einige von ihnen sind recht gut, z. B. Scream Maker.
Daniel: Es gibt zur Zeit sehr viele Death Metalbands in Polen, wie Vader oder Behemoth. Magst Du solche Bands? Und was glaubst Du, warum es ausgerechnet in Polen so viele brutale Bands gibt?
Wojciech: Es sind hauptsächlich junge Leute, die den weltweiten Markt und die Platenverkäufe bestimmen. Sie suchen nach allem, was sich am besten verkaufen und vermarkten lässt, um als Band zu überleben. Und es kristallisierte sich heraus, dass Death und Black Metal in Polen einfach am besten laufen. Sie sehen Bands wie Behemoth oder Vader als musikalische Vorbilder und versuchen deshalb, ähnliche Musik zu machen.
Daniel: Du bist das einzige permanente Mitglied der Band. Warum handelt es sich für Dich bei Turbo heute immer noch um dieselbe Band, trotz der zahlreichen Besetzungs- und Stilwechsel?
Wojciech: Turbo ist mein Kind, das ich über alles liebe. Ich kann der Band einfach nicht den Rücken zukehren. Hinzu kommt, dass ich immer noch liebe, was ich hier tue. Ich liebe die Musik und lebe sie bei Turbo, aber auch in anderen Projekten aus. Ich habe 2003 mein erstes Soloalbum veröffentlicht. Es heißt "Drzewa" ("Trees" = "Bäume"). Im Moment nehme ich gerade das zweite auf, das "Outside The Window" heißen soll. Dafür habe ich mir ein paar Freunde aus Amerika mit ins Boot geholt: Gitarrist Nil Zaza, den berühmten Schlagzeuger Atma Anur, der in den späten Achtzigern ein paar der wichtigsten Gitarrenalben mit Marty Friedman, Jason Becker oder Ritchie Kotzen gemacht hat. In den letzten Jahren habe ich viel progressive Musik gemacht, bei der ich richtig aufblühe.
Daniel: Jedes einzelne Turbo-Album klingt anders. Gibt es Alben, die Du heute besonders, vielleicht aber auch überhaupt nicht mehr magst? Und wenn ja: Warum?
Wojciech: Der Sound, der am Ende bei einem Album rauskommt, ist immer auch vom Mix, dem Equipment, der Vision, den Programmen oder dem Mann hinterm Mischpult abhängig. Bei uns in Polen haben wir nicht gerade die weltbesten Produzenten, die für ihre originelle Soundqualität oder Visionen auf Metalalben bekannt sind. Ich finde schon, dass sich die letzten beiden Turbo-Alben im Nachhinein doch sehr ähneln, aber da gefällt mir die Produktion sehr. Welche Platte ich vom Sound her überhaupt nicht mehr mag, ist "Epidemic" von 1989. Auch da hatten wir wieder eine völlig andere Einstellung zu, die eher zu Bands wie Wolf Spider gepasst hat, aber nicht unbedingt zu Turbo. Das war sehr technischer Heavy Metal und ich empfinde heute nicht mehr so viel für dieses Album...
Daniel: Du bist jetzt 59 Jahre alt. Was können wir in Zukunft noch von Turbo erwarten? Und was glaubst, wie viele Turbo-Alben noch in Dir schlummern?
Wojciech: Ich habe immer noch sehr viele musikalische Ideen, die ich umsetzen will, sowohl für Turbo, als auch für mein Soloprojekt. Ich glaube, dass es auf jeden Fall schon nächstes Jahr, pünktlich zum 35-jährigen Bestehen von Turbo, ein neues Album geben wird. Ich verspüre immer noch dieselbe Leidenschaft wie eh und je für Heavy Metal. Ich will immer noch harte Musik spielen, die dabei aber auch immer melodisch ist. Und ich denke, ich werde noch bis zum Ende meiner Tage rocken!
Daniel: Du heißt Wojciech Hoffmann. Hast Du deutsche Vorfahren? Und sprichst Du vielleicht auch ein bisschen Deutsch?
Wojciech: Nein, ich habe keine deutschen Wurzeln. Meine ganze Familie stammt aus Grodzisk Wielkopolski. Das war einst deutsches Territorium. Wenn man also die Geschichte bedenkt, dann kann es gut möglich sein, dass das daher kommt. Leider spreche ich kein einziges Wort Deutsch. Ich versuche nach wie vor permanent, meine Englischkenntnisse zu erweitern.
Daniel: Na gut, Wojciech! Dann bist Du jetzt endlich erlöst, haha! Du hast das letzte Wort!
Wojciech: Liebe Freunde und Fans aus Deutschland und der ganzen Welt: Ich danke Euch sehr für Euer immer noch bestehendes Interesse an Turbo! Bitte hört Euch unsere Musik im Netz an und kommt zu unseren Konzerten, wenn sich das in Eurer Nähe ergibt! Denkt immer daran, dass Turbo immer noch am Leben und dazu bereit sind, euch ein zweistündiges Set zu präsentieren, das den Großteil unserer Discographie berücksichtigt. Seid gegrüßt und ich hoffe, dass wir uns auf den zukünftigen Festivals und Konzerten sehen werden! Vergesst nicht, auf unserer offiziellen Homepage und bei Facebook rein zu schauen. Wer uns buchen will, schreibt eine E-Mail an: turbo.epidemic@gmail.com. Prost!