LEAVES’ EYES - Von starken Frauen und Heldinnen


Im November 2013 erschien nicht nur der neue Silberling „Symphonies Of The Night“ von Leaves' Eyes, nein, die Truppe um Liv Kristine feierte auch ihr zehnjähriges Bestehen. Vor der Headliner Release Show im Essener Turock begrüßte mich die gut gelaunte und liebenswerte Liv Kristine zum Interview. In einem langen Gespräch stellte sie sich meinen Fragen und plauderte über Leaves' Eyes, ihre Familie, ihre schönsten Momente, über ihre Vergangenheit und über das, was sie bis heute noch nicht begreifen kann...

logoDenise: Liv, gestatte mir die brisante Frage, aber möchtest Du mir erzählen, wie es zu der Trennung von Theatre Of Tragedy gekommen ist? Ich weiß, du hast diese Frage bestimmt schon sehr oft gehört und möchtest vielleicht ungern darüber reden...

Liv: Doch, ich möchte und werde sehr gerne mit dir darüber reden. Also, das war recht kurios. Ich hatte schon Demos, Gesang und Text vorbereitet, und mich mit dem Raymond (Theatre Of Tragedy Gründungsmitglied und Sänger) abgesprochen gehabt. Das ist ja heutzutage überhaupt kein Problem mehr, im Zeitalter von E-Mail und Internet, zu kommunizieren. Und dann kam nichts, außer: „Super! Sehr schön! Joar, dann gehen wir bald mal ins Studio!“ Und dann, eines Abends rief meine Mutter mich an und sagte: „Du musst sofort auf die Homepage von Theatre Of Tragedy gehen!“ Da stand es dann, dass wir uns getrennt haben, wegen unterschiedlicher musikalischer Ansichten und Interessen. Das war absoluter Blödsinn!!! Das gab es nie! Ich habe die Band zusammen mit Raymond gegründet. Da gab es überhaupt keine Differenzen. Ich muss auch sagen, weil sie nie mit mir über diesen Rauswurf, und ich wurde richtig rausgeschmissen, gesprochen haben. Bis heute nicht ein Wort. Warum nicht? Warum kann man nicht mit mir darüber reden?

Denise: Was glaubst Du persönlich könnte ein Grund dafür gewesen sein?

Liv: Also ich denke es ist einfach so gelaufen: Ich war in Deutschland. Da kam halt die Nell (Nachfolgesängerin bei Theatre Of Tragedy, Anm. d. Red.) und die ist auch sehr nett, sehr liebevoll, hübsch und singt super. Die haben sie dann kennengelernt. Sie wohnt halt nur 800 km weit weg und nicht 1200 wie ich, wobei der Unterschied nun auch nicht so riesig ist. Aber dann verbringt man Zeit zusammen und befreundet sich und dann „Warum nicht, das macht alles vielleicht etwas einfacher“, scheinbar, aber das war wirklich der Tod der Band. Ich bin immer noch sehr … nein, nicht aufgeregt, aber ich kann es einfach nicht nachvollziehen, wie man so etwas einfach machen kann?

Denise: Das glaube ich Dir und ich merke das ja gerade auch sehr, wie Dich das immer noch mitnimmt. Man kann mit so einer Geschichte schlecht abschließen, wenn die wichtigsten Fragen einfach offen bleiben.

Liv: Ja, genau! Absolut richtig. Und in dem Moment kamen Nightwish und Within Temptation, sogar Epica und überholen Theatre Of Tragedy, ist ja klar. Logisch, es war nicht anders zu erwarten.

Denise: Wie kam es dazu, dass du Leaves' Eyes gegründet hast?

Liv: Ich habe Leaves Eyes zusammen mit Alex kurz nach meinem Rauswurf bei Theatre Of Tragedy gegründet. Ich dachte, entweder gebe ich komplett auf, oder ich mache jetzt selber etwas. Alex sagte dann sofort: „Ich habe mit meinen Jungs von Atrocity gesprochen, wenn Du möchtest, dann helfen wir Dir“. Das fand ich super! Ja, und so kam es dazu, dass Atrocity ein Teil von Leaves' Eyes wurde. Dann kamen sofort die Ideen und der Deal. Recht zügig haben wir dann angefangen die Platte aufzunehmen, und dann sind wir auf Tour gegangen.

Denise: Gab es daraufhin Reaktionen seitens von Theatre Of Tragedy?

Liv: Zu meinem ersten Konzert in Norwegen habe ich Theatre Of Tragedy und natürlich Nell eingeladen. Die einzige Person die kam, war Nell.

Denise: Das ist wirklich ein großer und schöner Zug von ihr gewesen.

Liv: Nell ist wirklich super und großherzig, wirklich, und sie hat es nicht leicht gehabt.

Denise: Nein, sie musste sich kontinuierlich dem erbitterten Vergleich mit Dir stellen.

Liv: Der Vergleich war gnadenlos. Nell hat ihren Job wirklich sehr gut gemacht, aber sie kann nun mal niemals ich sein, sowie ich niemals sie sein kann und so sind die Fans mit mir gegangen, weil sie sich an mich gewöhnt hatten. Dafür bin ich meinen Fans natürlich sehr dankbar, ohne die es Leaves' Eyes so nicht geben würde. Wir haben übrigens zehnjähriges Jubiläum, unglaublich!

LEAVE'S EYES livDenise: Schneiden wir mal mehr erfreulichere Themen an. Was waren besondere Momente für Dich bei Leaves' Eyes?

Liv: Zu einem besonderen Moment gehören die Aufnahmen zum ersten Album „Lovelorn“ für mich. In der Entstehungsphase, von den Demos an bis zur Aufnahme, war ich ja auch schwanger. Meine ganze Schwangerschaft arbeiteten wir an diesem Album und ich hatte gerade die letzten Töne eingesungen, kam zwei Stunden später der Leon auf die Welt. Ich habe es also gerade noch hingekriegt. So stehen halt ganz besondere Gefühle von zwei Herzen in diesem Album. Das war wirklich was ganz Besonderes. Das Album erschien und unser Sohn wurde geboren, toll! Genau so wie jetzt! Mit „Symphonies Of The Night“ feiern wir unser Zehnjähriges und ich fühle mich damit sehr, sehr wohl. Mit dem, was ich habe und mit dem, wo ich stehe und mit meinen Jungs, die mit ein Teil meiner Familie bilden. Es fühlt sich einfach toll an. Ich bin den Fans so dankbar, dass wir es bis hierher geschafft haben. Wir haben heute nicht nur Zehnjähriges, nein, ich habe auch noch mein Zwanzigjähriges Bühnenjubiläum und ich bin immer noch da!

Denise: Wie handhaben Alex und Du Euer Familienleben, wenn ihr unterwegs seid? Wer kümmert sich um den kleinen Leon?

Liv: Naja, der Kleine ist ja nicht mehr sooo klein. Er wird bald Zehn und hat seine erste Freundin. Er hat sich auch dazu entschieden, nicht auf die momentan laufende Tour mitzugehen. Er hat seinen eigenen Kopf. Er ist immer sehr gern mit auf Tour gegangen und hat sich sehr schnell an neue Situationen gewöhnt, völlig unkompliziert. Es gab nie Probleme, weder auf längeren Flügen, noch auf anderen Kontinenten – kein Problem. Wir haben ihn immer sehr gerne mit dabei gehabt, aber in Deutschland herrscht ja Schulpflicht. Ich bin zwar auch selbst Lehrerin (ehrenamtlich, hauptsächlich Vollzeitmusikerin) und könnte ihn unterrichten, aber manchmal gibt es halt eben gewisse Leute, die das nicht verstehen, dass man als Vollzeitkünstler arbeitet. Manche verstehen es und sagen „okay“, manche eben nicht und sagen „nö“, logisch, aber ich glaube, da steckt auch viel Neid hinter. Aufgrund dessen haben wir dann gesagt: „Leon, bald steht eine Amerika Tour an und wir treten auf der 70 000 Tons Of Metal auf, fahren quer durch die Karibik. Also, wir sparen uns jetzt mal den Ärger (wenn es überhaupt Ärger geben sollte), aber da solltest du dann mit!“ Man muss ja nicht unnötig provozieren. Momentan ist Leon bei seiner Omi, der Mama von Alex, dessen Vater vor ein paar Tagen verstorben ist und so freut sie sich natürlich so sehr über ihr Enkel und dass sie nicht alleine ist. Das tut ihr gut! Leon ist also immer bestens betreut.

Denise: Wie sind denn so Eure Erfolge im Ausland, wo wir gerade die bevorstehenden Auslandstouren angeschnitten haben?

Liv: Das ist sehr unterschiedlich. Japan ist super, das ist unser bestes Exportland. Trotzdem haben wir leider noch nie dort gespielt. In Norwegen beispielsweise, meinem Heimatland, ist sehr wenig Werbung gemacht worden. Da kennen uns nicht so viele, aber nun habe ich es geschafft, dort auf das Cover des größten Metalmagazins zu kommen, und wir haben sechs von sechs Punkten für die neue Platte erlangt. Vielleicht werden die Norweger nun neugieriger.

Denise: Ich habe das Review zu „Symphonies Of The Night“ für CROSSFIRE geschrieben und 8,5 von 10 Punkten vergeben. Das Album ist super gelungen und es läuft derzeit bei mir rauf und runter. Den Vorgänger „Meredead“ fand ich etwas seichter und habe ein bisschen was vermisst. Doch als ich „Symphonies Of The Night“ einlegte, überfiel mich die gewohnte Leaves' Eyes Gänsehaut. Ich finde, gesanglich hast du eine Schüppe drauf gelegt. Nehme nur ich das so wahr, oder hast Du wirklich etwas verändert?

Liv: Vielen Dank für dein Review, Denise. Ich habe mich sehr gefreut. Was den Gesang angeht muss ich sagen, ich habe so ein Riesen Glück. Meine Stimme ist mir gegeben worden. Ich singe seit ich Kind bin und hatte noch nie Gesangsunterricht. Es hat sich noch nie ergeben, dass ich die Möglichkeit bekam, viel mit Noten zu arbeiten. Ich habe einfach ein einmaliges Gehör entwickelt und kräftige Stimmbänder, auch wenn ich mal ein bisschen heiser bin, macht mir das nichts aus. Meine Stimme macht bis jetzt alles mit, toi toi toi! Ich bin auch echt froh, dass ich noch nie eine Show canceln lassen musste. Und eines Tage hatte ich Besuch im Studio, Maite Kelly, die Frau von John Kelly von der Kelly Family, sie ist eine fantastische Sängerin. Sie hat es studiert und sie hat es wirklich einfach drauf. Ich liebe ihre Stimme und zugleich ist sie mir auch eine sehr gute Freundin und so habe ich sie mal gefragt: „Hey Maite, do you know any dirty tricks?“ und dann sagte sie „Okay, i show you!“ und dann hat sie mir eine Weile zugehört und zugesehen und hat mir ein paar Sachen gezeigt, die ich einfach mitgenommen habe. Und das hat mich wahnsinnig inspiriert, nochmal die Gesänge für das Album aufzunehmen und noch mehr dran zu arbeiten. Natürlich kriege ich einen Arschtritt von Alex, wenn er merkt, ich bin gesanglich noch nicht ganz da, oder da könnte ich noch mehr geben, da geht noch was. Dann bin ich auch erst einmal beleidigt, er solle mich nicht so anmachen, aber naja...

Denise: Kritik möchte schließlich niemand wirklich gerne hören...

Liv: Natürlich und ich nehme es persönlich, denn es kommt ja von meinem Mann. Aber er kitzelt immer den Rest und das Beste aus mir heraus. Das ist super und alles andere ist vergessen. Ich habe auch gemerkt, dass Maites Tipps mir auf der Bühne helfen. Wir haben einfach so, bevor wir die Songs aufgenommen haben, ein Lied live gespielt und ich habe gemerkt, die Tipps funktionieren. Das macht Spaß! Darauf habe ich aufgebaut. Für mich ist es auch wichtig, an sich zu arbeiten. Stillstand ist furchtbar.

Denise: Wer arbeitet hauptsächlich neben Dir mit an den Songs?

Liv: Alex, Tosso und ich sind das Leaves' Eyes Komponisten Team. Wir sind drei Dickköpfe und Perfektionisten. Da geht es nicht darum, gemütlich vor sich her zu trällern und gemütlich Gitarre zu zupfen, hier und da und nette Leaves' Eyes Lieder zu komponieren, nein, es gibt immer wieder neue Einflüsse. Tosso übt Zuhause auf seiner spanischen Gitarre genau so wie jeder andere von uns, nach Feierabend, bevor er ins Bett geht und ich träller meine Songs und entwickle neue Ideen und hole mir Inspirationen und gebe dabei Gas im Auto. Da gibt es immer was neues zu entdecken und zu lernen.

Denise: Kommen wir zum aktuellen Longplayer „Symphonies Of The Night“. Worum geht es?

Liv: Es geht um Frauen! Starke Frauen, tolle Frauen – Heldinnen! Frauen, die auch viel bewegt haben, wie Jean D'arc zum Beispiel, die auch ungerecht behandelt worden ist. „Saint Cecilia“ wurde zum Beispiel auch geköpft und dann haben wir noch „Eleonore“. Das war eine französische Prinzessin, die ins britische Königshaus eingeheiratet hat. Sie war halt Französin, ein bisschen zickig und hatte ihre Familie und Sippe mit. Es gibt eine Zeile in dem Mittelteil des Liedes Eleonore „In her barge upriver in the dark. They seized her from the bridge. Dirt stained red silk damask. In vain a mother in her heart torn apart...“ Die Londoner haben sie mit Schmutz und Dreck beschmissen, als sie mit ihrem Boot über die Themse fuhr. Das ist nur eine Szene. Dann haben wir die Ophelia, die Arme, von Shakespeare's Hamlett, die dann ertrinkt oder ertrunken worden ist, wir wissen es nicht. Dann haben wir „Nightshade“. Da geht es um eine Barbarin, die sich entscheiden muss zwischen dem Mittelalter, also Familie, Mutter, Hausfrau sein oder eine Kriegerin zu sein. In ihrem Herzen ist sie eine Kriegerin und entscheidet sich so gegen ihre Liebe und reitet fort. Das sind nur ein paar Beispiele von tollen Frauen. Das ist etwas, was nicht geplant war, sondern die Musik hat mich dazu inspiriert diese Texte zu schreiben. Ich hatte bereits zwei Songs und beide gingen in dieses Thema, da war es klar. Und vor allem, bei Theatre Of Tragedy hatte der Raymond damals ja auch schon so ein Album Thema, aber seine Frauen waren alle böse. Meine Frauen sind ein bisschen anders, die sind gut, stark und tapfer!

LEAVES EYES livDenise: Und wie kam es bei so viel positiver Frauenpower zu dem Albumtitel „Symphonies Of The Night“?

Liv: Während der Demoproduktion haben Alex und ich an einem Samstagabend einen meiner Lieblingsfilme „The Swan“ geguckt, und da erinnerte ich mich an meine Kindheit und meinen Ballettunterricht zurück. Ich habe das aber nur vier Jahre, bis ich Zehn war, gemacht, weil meine Füße nach den Aufführungen so blutig getanzt waren. Meine Lieblingsaufführung war natürlich von Tschaikowski „Schwanensee“. Das ist seine bekannteste Symphonie und so fing das dann an zu rollen mit „Sympohnies Of The Night“. Plötzlich sagte Alex: „Symphonies Of The Night, das sind Symphonien der Nacht!“ Die Stücke haben so etwas. Das stimmt, die sind groß und haben etwas düsteres in ihren Erzählungen über diese tapferen, starken Frauen und deswegen „Symphonies of the Night“. Hat er toll gemacht, der Alex.

Denise: Heute Abend ist hier in Essen Eure Release Show, Du bist sicherlich sehr aufgeregt, oder?

Liv: Ja, ich bin sehr aufgeregt, aber freue mich auch unwahrscheinlich auf die Bühne zu gehen. Im Vergleich zu den anderen Shows haben wir heute Abend fünf neue Lieder mit dabei vom neuen Album und sind gespannt, wie sie den Fans gefallen werden.

Denise: Liebe Liv, wir sind tatsächlich am Ende der großen Fragestunde angelangt. Deine letzten Worte darfst Du an Deine Fans richten:

Liv: Ich bedanke mich bei allen meinen treuen Fans, auch bei Dir Denise, dass ihr immer noch da seid und mich immer unterstützt habt, durch die Theatre Of Tragedy Zeit und dann Leaves' Eyes oder auch solo. Ohne Euch hätte ich das nie geschafft und niemals durchstehen können. Es gab Tiefen, wie auch Höhepunkte. Gott sei Dank überwiegen die Höhepunkte. Ihr wart immer da und das gibt mir Kraft. Das gibt mir die Kraft, um immer weiter zu machen, egal, was passiert! Danke!

Denise: Ich bedanke mich nochmals ganz herzlich bei Liv Kristine, für das Opfern ihrer Zeit vor dem Auftritt und ihre herzliche und ausführliche Beantwortung meiner Fragen. An dieses Interview werde ich noch lange zurück denken. Es hat mir sehr viel Freude bereitet. Dankeschön!



Autor: Denise Schokolowski