VANGUARD - Qualität kommt von Quälen!


Manchmal passieren echt komische Sachen bei Facebook: Ich habe per E-Mail Bescheid bekommen, dass ich namentlich von einem Kollegen aus Holland erwähnt wurde. Ich habe dann nachgeschaut und gesehen, dass dieser holländische Freund ein Video einer mir völlig unbekannten deutschen Band gepostet hat und von seinen deutschen Freunden Informationen über diese Band haben wollte. Keiner kannte Vanguard, aber alle fanden sie geil! Bei Metal Archives habe ich dann nachgeschaut und eine alte Adresse von Schlagzeuger Thomas Kirschbaum gefunden, die ich dann gegoogelt habe, weil ich die „neue“, fünfstellige Postleitzahl (seit 1993!) von Lichtenfels wissen wollte. So fand ich zufällig seine Telefonnummer heraus und rief ihn kurzerhand an. Zunächst hielt Thomas das wohl für einen schlechten Scherz. Aber es entwickelte sich ein gutes Gespräch und der Kontakt war hergestellt. Und unser Holländer hat nun auch das wohlverdiente Originaldemo in seiner Sammlung stehen… Wir alle wollten wissen, was aus Vanguard geworden ist. Und so entstand dieses Interview! Viel Spaß!

VANGUARD logo INTERVIEW 2013Daniel: Hi Thomas! Erzähl uns doch zunächst, wie es zur Entstehung von Vanguard kam und welche Bands Euch damals so beeinflusst haben!

Thomas: Vanguards Urbesetzung mit Gerhard Guthy an Bass und Gesang, Dirk Pfadenhauer und Oliver Leidnecker an den Gitarren und mir am Schlagzeug kennt sich bereits seit Kindertagen. Wir sind alle vier in Lichtenfels aufgewachsen und – nicht lachen – das Interesse an Hardrock und Heavy Metal entwickelte sich über unsere gemeinsame Zeit bei den katholischen Pfadfindern. Gehört haben wir quasi alles, von Soft- (Heart) über Hardrock (Scorpions) bis zum Heavy (Accept natürlich!) und Black Metal (Venom). So mit 16-17 Jahren, das muss etwa 1986 gewesen sein, haben wir dann beschlossen eine Band zu gründen. Es gab nur ein Problem, wir hatten weder Instrumente, noch konnte einer spielen. Also anfangs etwas Unterricht genommen, viel geübt und das nötige Kleingeld für das Equipment zusammengespart. Das war als Schüler bzw. Lehrling nicht so leicht. But It’s A Long Way To The Top If You Wanna Rock’n Roll! Wir haben dann sehr viel Zeit in Bandproben investiert, teilweise drei bis vier Tage pro Woche geprobt und versucht, eigene Songs zu schreiben und einen eigenständigen Stil zu entwickeln. Den ersten richtigen Auftritt hatten wir erst 1988. Beeinflusst wurden wir sicher durch damalige Metalgrößen wie Iron Maiden oder Judas Priest, aber auch progressivere Bands wie Queensryche oder Fates Warning haben uns imponiert.

Daniel: Ihr habt 1990 ein Demo namens „Flight 19“ aufgenommen, aber nie wirklich veröffentlicht, soweit ich weiß. Warum nicht? Und wer hat auf dem Tape gesungen? Der Bill kam doch erst vor Eurem zweiten Demo zu Euch, oder?

Thomas: Ja, das Demo „Flight 19“ war unser erster musikalischer Gehversuch, selbst finanziert und in einem Lichtenfelser Tonstudio eingespielt. Man hört aber ganz deutlich, dass wir damals technisch und kompositorisch noch arg limitiert waren. Auf Deutsch: Songideen gut, spieltechnische Umsetzung na ja. Das war auch der Grund, warum es nie wirklich veröffentlicht wurde. Wir haben es an Freunde und Fans verkauft und an ein paar Fanzines geschickt. Das war’s. Auf dem Tape hat damals noch unser Basser Gerhard gesungen, Bill kam glaube ich erst Ende 1990 zur Band.

Daniel: Wie seid Ihr denn auf Bill gestoßen?

Thomas: Soweit ich mich erinnern kann über eine Kleinanzeige. Aber Bill war sprichwörtlich die Nadel im Heuhaufen. Was sich da teilweise als „Sänger“ bei uns gemeldet hat, unglaublich. Was für Typen, haha! Bill war uns dagegen sofort sympathisch und bei unserer ersten gemeinsamen Probe sprang auch gleich der Funke über. Er konnte tatsächlich singen, auch hohe Tonlagen. Für ihn als Amerikaner mit indianischen Wurzeln, seine Großmutter war eine Cherokee, waren die englischen Texte natürlich kein Problem und er war eine „Frontsau“ wie sie im Buche steht.

Daniel: 1991 habt Ihr dann das Demo „Valley Of The Kings“ veröffentlicht, das mit Cover erschien und wohl offiziell war. Das Booklet und die Kassettensticker waren professionell gedruckt. Wer hat die Demos gemacht? Oder verlief das alles in Eigenregie? Und ist dieses beiliegende Infoheft bei jeder Kassette dabei gewesen?

Thomas: Wir hatten damals mit einer Produktionsfirma aus Grevenbroich einen Vertrag über die Aufnahme eines Demos, ohne weiteres Management oder so, da haben wir uns selbst kümmern müssen. Das Studio war in Wilster hinter Hamburg, also eine halbe Weltreise für uns fränkische Landeier. Dort waren wir 1991 eine Woche zu Tonaufnahmen, heraus kam das Demo „Valley Of The Kings“ mit dem gleichnamigen Titelsong, dem schnellen „The Warrior“ und der Ballade „Too Late“. Booklet und Kassettensticker entstanden in Eigenregie, einschließlich Bandlogo und Artwork. Das Front-Cover hat z. B. Dirk gezeichnet! Unser zweites Demo war also auch keine „offizielle“ Veröffentlichung, wir haben das Demo selbst vertrieben, an Magazine wie Metal Hammer geschickt und Auftritte organisiert. Wir hatten zu keiner Zeit ein professionelles Management. Natürlich haben wir auch bei unseren Auftritten Demos und T-Shirts verkauft!

Daniel: So wie ich das verstanden habe, hat Euer Sänger Bill erst auf „Valley Of The Kings“ gesungen.

Thomas: Ja, das stimmt. Hat unserem Bandsound aber sehr, sehr gut getan.

VANGUARD coverDaniel: Die drei Songs auf dem Demo waren super arrangiert und technisch gut gespielt. Habt Ihr viel Wert darauf gelegt, dass Eure Musik anspruchsvoll war? Oder hat sich das eher zufällig ergeben?

Thomas: Wie schon gesagt, nach dem Motto “Qualität kommt von quälen“ haben wir uns durch die vielen Bandproben mit der Zeit weiterentwickelt. Das hört man an den Arrangements auf „Valley Of The Kings“ und das machte sich auch Live bemerkbar. Ob unsere Musik anspruchsvoll und technisch gut gespielt war, mag ich nicht beurteilen. Aber sicher ist unser eigener Anspruch nicht zufällig gewachsen. Das geht doch jeder Amateurband so, wenn sie über Jahre zusammenbleibt und sich technisch und kompositorisch verbessert.

Daniel: Wie kommt es eigentlich, dass Ihr kein Label an Land gezogen und ein komplettes Album eingespielt habt? Rein musikalisch gesehen hättet Ihr doch auf jeden Fall eine Chance gehabt…

Thomas: Gute Frage. Da fehlte damals sicher ein professionelles Management, aber vielleicht auch das nötige musikalische Selbstvertrauen und die letzte Konsequenz.

Daniel: Habt Ihr viel live gespielt? Und wie viele Leute kamen früher immer so zu Euren Konzerten?

Thomas: Zu einer richtigen Tour kam es leider nie, aber wir sind regelmäßig bei uns in der Gegend und vereinzelt überregional aufgetreten. So im Nachhinein betrachtet, haben wir sicher zu wenig live gespielt. Fans und Konzertbesucher, das war so eine Sache. Wir hatten Gigs mit zehn bis zwanzig zahlenden Besuchern, das war teilweise richtig hartes Brot. Aber Konzerte vor 200 bis 400 Leuten gab es auch. Das hat dann schon Spaß gemacht.

Daniel: Vanguard war leider nur sehr kurzlebig. Warum war alles so schnell wieder vorbei? Was lief schief?

Thomas: Na ja, so kurzlebig war Vanguard nun auch wieder nicht. Ein paar Jahre gab es uns schon (1988-1997), für eine Amateurband nicht mal so schlecht. Nachdem Bill und ich die Band 1994 verlassen hatten, ging es mit wechselnden Besetzungen noch weiter bis 1997. Dann war endgültig Schluss. Dafür gab es natürlich die üblichen privaten Gründe (Beruf, Studium, Familie, usw.). Aber mal ehrlich, wer wollte Anfang bis Mitte der 90er Jahre noch traditionellen Heavy Metal hören? Da klang doch jede lokale Rockband nach Nirvana und Pearl Jam!

Daniel: Habt Ihr Euch danach aus den Augen verloren? Oder hattet Ihr noch Kontakt?

Thomas: Mit Dirk und Olli aus Vanguards Urbesetzung bin ich nach wie vor befreundet, zu unserem ehemaligen Basser Gerhard besteht auch noch loser Kontakt. Bill ist mit seiner Familie nach Amerika gezogen und wohnt wohl irgendwo in Ohio.

VANGUARD bandDaniel: Was habt Ihr in den letzten 22 Jahren so getrieben? Habt Ihr noch Musik gemacht? Und habt Ihr die Metalszene später noch verfolgt? Oder verlief nach der Trennung alles im Sand?

Thomas: Wir, d.h. Dirk, Olli und ich, machen immer noch gemeinsam Musik, allerdings hat das im Moment nichts mit Metal zu tun. Mehr wird nicht verraten, ist zu peinlich. Darüber hinaus spielen Dirk und ich noch zusammen in der  Soul-Rockband Y-Not. Rockfans sind wir nach wie vor, verfolgen auch die Metalszene und gehen auf Konzerte. Aber unser Musikgeschmack ist sicher breiter geworden. Ich z.B. gehe dieses Jahr nach Frankfurt zu Iron Maiden!

Daniel: Was treibt Ihr sonst heute noch? Was arbeitet Ihr? Seid Ihr alle ruhige, kurzhaarige Familienväter geworden? Plaudere mal ein bisschen aus dem Nähkästchen!

Thomas: Da es mit der Musikerkarriere und dem internationalen Durchbruch nicht so recht geklappt hat, blieb uns ja gar nichts anderes übrig, als einen ordentlichen Beruf zu lernen. Ja, wir arbeiten natürlich alle, leben brav monogam in Beziehungen mit und ohne Kinder. Und die langen Haare sind auch ab. Bei Olli und mir war’s der Friseur, bei Dirk Mutter Natur, haha!

Daniel: Ich habe Dich telefonisch kontaktiert, um Euer Demo zu bekommen, nachdem ein Freund aus Holland (!) bei Facebook einen Song („The Warrior“) von Euch auf seine Pinnwand gepostet hat. Von seinen deutschen Freunden kannte Euch niemand, haha! Werdet Ihr heute noch oft auf Vanguard angesprochen?

Thomas: Ab und zu von ein paar mitgealterten „Edelfans“, ja. Des Öfteren werden wir mal gefragt, ob wie wieder mal mit Vanguard auftreten würden und dass unsere Konzerte heute noch in Erinnerung sind.

Daniel: Habt Ihr noch Zukunftspläne mit Vanguard? Werdet Ihr Euch noch einmal zusammenraufen? Kommt da noch mal was (Re-Releases, Gigs)? Es wäre doch schön, wenn beide Demos offiziell auf CD erscheinen würden oder so.

Thomas: Hmm, wir haben 2013 25jähriges Bühnenjubiläum, das müsste man schon feiern. Wir haben überlegt, ein paar der alten Songs neu einzuspielen, „Vanguard Reloaded“ quasi und auf eine CD zu pressen. Vielleicht geben wir für Freunde und Fans auch ein Konzert. Das ist aber noch nicht ganz raus. Das Hauptproblem dabei ist, dass wir keinen Kontakt mehr zu Bill haben und einen passenden Sänger bräuchten. Aber mal schauen, was die Zukunft noch so bringt. Wir halten Euch auf dem Laufenden!“

Daniel: OK, Thomas! Die letzten Worte gehören Dir!

Thomas: Es war schon etwas eigenartig, nach so vielen Jahren mal ein Interview zu geben. Was hätten wir damals dafür gegeben?! Aber zu dieser Zeit gab es ja auch noch kein Internet, wo man seine Musik in die ganze Welt verschicken kann. Damals war alles leider etwas schwieriger und wer nicht die richtigen Kontakte hatte, ist leider nicht groß raus gekommen. Umso schöner, dass es nun zu diesem sehr netten Kontakt mit Dir gekommen ist und wir restlichen Vanguards noch einmal in der „alten Zeit“ stöbern durften. Ich werde Dich auf jeden Fall auf dem Laufenden halten, wenn sich mal wieder was Neues ergibt.

http://www.metal-archives.com/bands/Vanguard/3540261508

http://www.youtube.com/watch?v=0HJj0HKVAjM

http://www.youtube.com/watch?v=8hRl919eIhU



Autor: Daniel Müller