Es ist heute das erste Mal seit 2015, dass ich Phil Campbell mal wieder live auf der Bühne sehe. Das letzte Mal war in Düsseldorf in der Mitsubishi Electric Hall eines der letzten Motörhead-Gigs überhaupt. Seitdem hat sich einiges geändert. Drummer Mikkey Dee spielt seit 2016 bei den Scorpions. Phil Campbell hat mit seinen drei Söhnen eine neue Band gegründet und seitdem eine EP, ein Studio-Album und ein Live-Album veröffentlicht. Die neue Band konnte ich bislang noch nicht live bestaunen. Somit wusste ich auch nicht, ob sie nun zu einer Cover-Band mutieren oder nicht. Diese Frage sollte auch noch eine Stunde unbeantwortet bleiben, denn als Support steht vorher noch eine Punk-Band auf dem Programm. Am Merchandise-Stand fallen sie mir bereits im Vorfeld auf: Fünf muskulöse Typen, von Tattoos am gesamten Körper übersät, mit gegelten Haaren und Elvis-Tollen sorgen sie optisch - nur vom Erscheinungsbild her - schon für Aufsehen. Ich hatte Broilers-mäßige Musik erwartet, vielleicht mit Rockabilly-Einflüssen. Um 19 Uhr wusste ich dann mehr.
Der Bandname sagt mir nichts. Lucifer Star Machine kommen aus Hamburg und haben bereits vier Alben draußen. Sie spielen Punk und machen zu meiner Überraschung richtig Dampf! Nach einem Song der 50er Jahre als Intro vom Band geht es los. Die fünf sind ständig in Bewegung, rennen, springen und posen um die Wette, was das Zeug hält. Das ist richtig Sport, geht voll ab und macht richtig Bock! Vierzehn Songs hobeln sie in einer Dreiviertelstunde runter. Nennenswerte Taktwechsel gibt es nicht. Hier wird ohne Verschnaufpause das Gaspedal ausgefahren. Der Sänger kommt zunächst vermummt auf die Bühne, legt seine Maske aber nach den ersten zwei Songs ab. Und die Musik? Wie gesagt, das geht hier richtig ab! Irgendwo zwischen den Misfits und Mad Sin geht es stumpf nach vorne los. Dabei strahlen alle Musiker über das ganze Gesicht. Man merkt richtig, dass hier fünf gute Freunde das machen, was sie am liebsten tun, nämlich bei ihrer gemeinsamen Lieblingsmusik total auszurasten! Die Hamburger sind eine spielerische Einheit. Der Sänger hat mit seinen unterhaltsamen Ansagen das nicht gerade sehr punkige Publikum voll im Griff. Und auch auf nervige Balladen oder Schunkelhymnen zum Ausruhen wird hier heute Abend verzichtet. „Baby, When You Cry“ in der Mitte des Sets, die darauffolgende Single „Eat Dust“, die es auch als 7“ zu kaufen gibt, und der Raushauer „Hold Me Down“ entpuppen sich zudem als coole Ohrwürmer zum Mitgrölen. Nicht wirklich meine Musik, würde ich mir aber auf jeden Fall immer wieder live ansehen!
Es ist schon irgendwie surreal: Nach über dreißig Motörhead-Konzerten, wo ich die Band niemals persönlich getroffen habe, steht Phil Campbell im kleinen Rockpalast keinen Meter von mir entfernt, und wir haben häufig Blickkontakt. Komisch ist es auch zunächst, ihn allein unter so vielen Jungspunden auf der Bühne stehen zu sehen. Aber er ist die Coolness in Person: Mit einer Wollmütze bekleidet, bewegt er sich nicht besonders viel und kaut die ganze Zeit Kaugummi, verzieht ansonsten aber keine Miene. Trotzdem wirkt er die ganze Zeit über sympathisch und gut gelaunt. Mit seinen drei Söhnen Todd (Gitarre), der seinem Vater am ähnlichsten sieht, Tyla (Bass) und Dane (Schlagzeug) sowie Sänger Joel Peters, der als einziger nicht dem Familienclan angehört, spielen Phil Campbell And The Bastard Sons knapp anderthalb Stunden. Mit „We´re The Bastards“ (ja klar, wie auch sonst?) wird der Reigen eröffnet. Insgesamt gibt es neun Eigenkompositionen, fünf Motörhead-Cover und zwei Songs, die Motörhead mal gecovert haben. Auch wenn Phil nicht mehr weiß, von wann „Going To Brazil" ist („19...whatever!) und „Born To Raise Hell" schneller gespielt ungewohnt punkig rüberkommt, übeträgt sich die gute Laune der Band auch auf das Publikum. Aber auch die eigenen Songs der neuen Band stampfen gut rein und passen ins Konzept. Mal klingt ein Riff nach alten AC/DC, mal gibt es tonnenschweren Bluesrock. Es ist also nicht so, dass Phil Campbell soundtechnisch nur seiner legendären Ex-Band nacheifert, sondern eigene Wege geht. Gitarrist Todd, mit einem ZZ Top-Shirt bekleidet, übernimmt die eine oder andere Ansage und ist viel in Bewegung. Mit Todd gibt es später noch eine lustige Begebenheit: Er rennt zu mir rüber und zeigt mir den Stinkefinger, während er spielt. Als ich anfange zu lachen, lacht er auch und rennt wieder zum anderen Bühnenende zurück. Aber auch Frontmann Joel, der eine prollige Sonnenbrille trägt, ist gut aufgelegt, macht ein paar lustige Ansagen und sorgt für ordentlich Stimmung, vor allem durch das auf deutsch gesagte „Fick Dich, Todd!“ bei der Bandvorstellung, bei der er das Publikum dazu auffordert, ihm dabei den Stinkefinger hinzuhalten. Aber auch die Aufforderung an den Lichttechniker, das Bühnenlicht auszumachen, damit das Publikum Zugaberufe fordert, sorgt für allgemeine Erheiterung im Pit. Seine Stimme passt gut zu den Motörhead-Songs. Und die Coversongs „God Save The Queen“ (Sex Pistols) und „Heroes“ (David Bowie) werden praktisch wie eigene Songs abgefeiert. Bei „Overkill“ als allerletze Zugabe darf sich Schlagzeuger Dane noch einmal richtig austoben, bevor das Set vorbei ist. Da ich am Bühnenrand direkt neben dem Gitarrenroadie stehe, wird mir erstmal bewusst, wie viele Gitarren Phil Campbell dabei hat, denn sie wird tatsächlich nach jedem einzelnen Song gewechselt. Zu meiner Überraschung ist die Band nach dem letzten Ton direkt verschwunden. Zwischen dem Verlassen der Bühne über den Gang durch das Treppenhaus bis hinein in den Tourbus, der direkt vor der Eingangstür der Matrix steht, vergeht keine Minute. Die Band kommt auch später leider nicht mehr raus. Ein bleibender Eindruck ist auch die Lautstärke, denn zum ersten Mal seit Jahren klingeln echt mal wieder meine Ohren nach einem Konzert! Um 22:30 Uhr geht es dann ziemlich früh wieder nach Hause, was mitten in der Woche aber auch nicht gerade verkehrt ist.
Setlist: We´re The Bastards, Schizophrenia, Going To Brazil (Motörhead-Cover), Freak Show, High Rule, Born To Raise Hell (Motörhead-Cover), Hammer And Dance, God Save The Queen (Sex Pistols-Cover), Ace Of Spades (Motörhead-Cover), Strike The Match, Dark Days, Killed By Death (Motörhead-Cover), Maniac, Ringleader, Heroes (David Bowie-Cover), Overkill (Motörhead-Cover)