Heute ist die Anreise für mich mal etwas weiter als sonst. Bis nach Dormagen muss ich knapp 100 Kilometer fahren. Neben Warrant aus Düsseldorf, von denen ich seit Jahren ein großer Fan bin, steht aber vor allem der Jubiläums- und Reunion-Gig von Axe Victims im Mittelpunkt, deren einziges bislang veröffentlichtes Album „Another Victim" in meiner Heimatstadt Kamen aufegenommen worden war und 2024 sein 40-Jähriges Dasein feiert. In der gut gefüllten Tank-Stelle finden sich zahlreiche Leute ein, unter anderem auch ein paar prominentere Gesichter wie Crystal Ball-Sänger Steve Mageney, Ex-Sodom-Gitarrist Andy Brings oder Regicide-Sänger Paul Dahlmann. Vor dem Konzert gibt es selbstgemachte Pizza, und sogar das ungewohnte Kölsch aus den schmalen „Reagenzgläsern" schmeckt mir heute als Tourist hier richtig gut.
Pünktlich um 20 Uhr geht es los, als Tight die Bühne betreten. Die fünf Charaktere der Band könnten unterschiedlicher nicht sein. Chef-Gitarrist Stephan Georg spielt im ärmellosen Shirt, der andere Gitarrist, Matthias, sieht mit seiner Sonnenbrille und dem Hut aus wie bei den Blues Brothers entsprungen, Sängerin Kerstin trägt eine Lederjacke. Drummer Bernd trägt ebenfalls eine Sonnenbrille. Bassist Jörg ist - von mir aus gesehen - rechts auf der Bühne eher versteckt. Aber die Combo hat richtig Bock! Sie bewegen sich viel, posen auf der Bühne und haben richtig Spaß. Ihr sismpel gestrickter, straighter Rock groovt gut rein und geht sofort ins Ohr. Ob es zu laut ist, fragt Kerstin zunächst. „Ach nee, wir sind ja eine Rock-Band", sagt sie und lacht. Sie wirkt anfangs etwas schüchtern, aber immer sehr sympatisch. „So langsam ist mir warm", sagt sie, bevor sie das Journey-Cover „Seperate Ways" anstimmt. Merkt man, denn den singt sie wirklich super! Der Song reiht sich auch nahtlos in die Setlist ein, obwohl Tight eigentlich nicht im AOR-Sound heimisch sind. Nach knapp einer Stunde (die übrigens jede Band heute Abend hat!), verabschieden sie sich und bekommen vom Publikum sehr positive Resonanz.
Setlist: Deadcity, Part Time Lover, Give Me Trust, Lonely Flower, Here ´n´ Now, Seperate Ways (Journey-Cover), Kickin´ It, Night Of Fate, Journey Into The Past, Heavy Rock Rebel, Nation Of Rock
Danach kommen die Wuppertaler Axe Victims auf die Bühne. Zwei Mitglieder, Sänger Frank Fanfare und Gitarrist Tom Bohn, sind mittlerweile verstorben und werden adäquat von A. H. Son (ex-Universe) am Mikrofon und Cosi Matrigiani (Universe-Aushilfsgitarrist, ex-Enola Gay) an der Klampfe ersetzt. Die anderen drei Mitstreiter sind Original-Mitglieder von damals. A. H. Son, der mich optisch etwas an Axl Rose und von der Mikrofonständer-Akrobatik her an David Coverdale erinnert, ist ein super Frontmann und hat das Publikum im Griff, drängt sich aber nicht zu sehr in den Vordergrund. „Ich hoffe, es dauert nicht noch einmal 40 Jahre, bis die Band wieder zusammenkommt. Das könnte für so manchen hier vielleicht etwas eng werden", witzelt er. Von dem einzigen Album „Another Victim" aus dem Jahr 1984 werden alle Songs gespielt, bis auf „Can´t Stand It". Dafür gibt es als letzten Song das mir unbekannte „Break It", das demnach vom zweiten, immer noch unveröffentlichten Album „Hypnotized" stammen muss. Dem Publikum gefällt´s. Es gibt einige Fans, die mit ihren Spandexhosen und Vokuhilas direkt aus den Achtzigern entsprungen sein könnten und die Band richtig abfeiern. Die Zuschauer werden mit Singsang-Parts einbezogen und haben richtig Spaß. Bassist Holger George wird als „Urviech der Band" vorgestellt, der „einen richtig schweren Unfall hatte, aber das Konzert nicht absagen wollte und sagte, er setzt sich dann einfach in diesen Scheiß Stuhl". Ja, die Stimmung ist sowohl auf als auch vor der Bühne super. Den anderen beiden Urmitgliedern, Gitarrist Roland Hag und Schlagzeuger Martin Rocco, der sogar viel Background-Gesang beisteuert und seine Sache dabei richtig gut macht, sieht man zu jeder Zeit an, dass sie richtig Bock haben nach der langen Pause. Sehr guter Auftritt, vor allem, wenn man bedenkt, dass die Band nur dreimal vorher geprobt haben soll!
Setlist: Shoot From The Stars, Heartbreaker, I´ve Got The Power, Young And Wise, For The Ladies, Man Of The Dark, Soldier Of Life, Turn It Loud, Break It
Zum Abschluss kommen dann Warrant auf die Bretter. Leider ist es vor der Bühne schon ziemlich leer geworden. Dennoch legen auch sie sich richtig ins Zeug und liefern einen energiegeladenen Gig ab. Das letzte Mal hatte ich sie 2014 im Lükaz in Lünen gesehen. Urgestein Jörg Juraschek, der Bass und Gesang bedient, musste aber seitdem seine komplette Hintermannschaft austauschen. Dennoch ist Gitarrist Adrian Weiß, der ebenso wie Schlagzeuger Marius Lamm erst seit 2022 dabei ist, mir kein Unbekannter und mir schon einige Male auf Konzerten über den Weg gelaufen. Die Band startet mit „Come And Get It" vom 2014 erschienenen Comeback-Album „Metal Bridge". Danach wird aber tief in der Klassiker-Kiste gewühlt: Mit „Satan", „Scavenger´s Daughter" und „Bang That Head" gibt es gleich der der fünf Songs ihrer ersten Mini-LP „First Strike" von 1985. Bis auf „Send Ya To Hell" und „Die Young" gibt es zudem das komplete Debüt „The Enforcer" zu hören, das ebenfalls aus dem Jahr 1985 stammt. Apropos „The Enforcer": Der Merchandiser kommt immer mal wieder als maskierter, Axt schwingender Henker, eben der „Enforcer", als zusätzliches Show-Element auf die Bühne. Beim letzten Song nimmt er sogar seine Kapuze ab und entblößt einen Totenschädel. Ungefähr in der Mitte des Sets gibt es einen neuen Song mit dem Titel „Demons", der mir noch nicht geläufig ist. Dieser wird als Zugabe am Schluss auch noch einmal gespielt, weil die Band keine weiteren Songs einstudiert mehr hat. Die Spielfreude ist groß und das Zusammenspiel groß. Die Leute, die sich vor der Bühne tummeln, rasten aus und gehen richtig ab.
Setlist: Come And Get It, Satan, Nuns Have No Fun, Falling Down, Demons, Betrayer, Torture In The Tower, Scavenger´s Daughter, Ordeal Of Death, The Rack, The Enforcer, Bang That Head, Demons
Unterm Strich konnte man heute drei Bands sehen, die sich stilistisch voneinander unterscheiden: Tight spielen Hard Rock, Axe Victims Heavy Metal und Warrant Speed Metal. Dennoch hat alles sowohl musikalisch und menschlich gepasst, und es herrscht den ganzen Abend eine entspannte und freundschaftliche Atmosphäre. Großes Lob muss ich auch dem Tonechniker aussprechen, der allen drei Bands einen hervorragenden Sound geliefert hat. Ein sehr gelungener Abend! Ein besonderer Dank geht zudem an Jörg Schnebele für die Live-Bilder!