Zweimal wurde die Scorpions-Tour bereits verschoben. Heute ist es endlich soweit. Die Akkreditierungsphase war chaotisch und zog sich ewig hin. Erst einen Tag vor dem Konzert kam die Freigabe. Aber auch vor Ort ging es drunter und drüber: Die Regelung mit dem Fotos machen der beiden heutigen Bands sorgte für Unverständnis. Manche Fotografen durften nur eine Band fotografieren, manche beide Bands, und wir wurden vor der Halle abgeholt und von der Promoterin zum Fotograben gelotst. Zudem mussten nach dem Schießen der Fotos alle Kameras wieder aus der Halle gebracht werden; bei beiden Bands! Dennoch wurde es unterm Strich ein gelungener Abend, bei dem alles gut ging.
Donnermutter am Muttertag, haha! Um 20 Uhr beginnen die Schwedinnen Thundermother, die - mal wieder – mit komplett ausgetauschter Live-Besetzung aufwarten. Gitarristin Filippa Nässil hat sich jedoch ein gutes Team zusammengesucht. Die neue Sängerin Linnéa Vikström, die in blauen Hippie-Klamotten mit schwarzen Fransen auf die Bühne kommt, singt für meine Begriffe deutlich besser und variabler als ihre beiden Vorgängerinnen. Und auch Bassistin Majsan Lindberg ist richtig aktiv. Der Background-Gesang funktioniert heute ebenfalls sehr gut. Hier ist zudem viel Bewegung drin. Es wird synchron gepost, gebangt und rumgerannt. Bei „Hellevator“ fragt Linnéa, ob das Publikum mit ihr „going down“ will. Hier legt sie sich währenddessen auf den Boden und streckt ihre Beine aus. Die Songs sind simpel gehalten, pumpen aber gut und funktionieren live somit hervorragend. Zum Hören zu Hause wäre mir ihre Musik jedoch auf Dauer zu monoton. Dass Filippa die Chefin ist, merkt man heute bei genauem Hinsehen auch: Während Sängerin und Bassistin stets gemeinsam posen und sichtlich Spaß an der Sache haben, steht Filippa meist gesondert irgendwo für sich. Nach fünfunddreißig Minuten ist schon Schluss. Ein kurzweiliger, Energie geladener Auftritt eines guten Anheizers!
Um 21:15 Uhr betreten die Scorpions die Bühne der gut gefüllen, aber nicht ausverkaufen Westfalenhalle. Warum Klaus Meine und Rudolf Schenker bei der Affenhitze auf der Bühne immer noch mit Sonnenbrille und Lederjacke auftreten, wird mir ein ewiges Rätsel bleiben. Mit der gelben (!) Lederjacke und dem Cowboy-Hut macht Rudolf sich auch nicht gerade zur Stil-Ikone, haha! Aber die Hannoveraner sind gut drauf und legen mit „Gas In The Tank“, dem Opener des aktuellen Albums „Rock Believer“, gut los. Danach gibt es mit „Make It Real“ und „The Zoo“ (mit etwas überlangem Talkbox-Solo von Matthias Jabs) gleich zwei Tracks vom 1980er „Animal Magnetism“-Album. Das Instrumental „Coast To Coast“ (von „Lovedrive“, 1979). bei dem Klaus Meine zusätzlich Gitarre spielt, kommt direkt hinterher, bevor mit dem schleppenden „Seventh Sun“, das auf CD hervorragend funktioniert, im Set heute aber irgendwie träge und deplatziert wirkt, ein bisschen der Druck rausgenommen wird. Mit dem Dampfhammer „Peacemaker“ wiird das neue Album ein weiteres Mal abgedeckt. Mit dem hymnischen „Bad Boys Running Wild“ geht man wieder zurück in die Achtziger.
Bei „Delicate Dance“ gönnt sich Klaus Meine eine zweite Gesangspause. Auch Rudolf Schenker geht mit ihm von der Bühne, und ein lockiger Gitarrist mit einer roten Klampfe, den scheinbar niemand im Publikum kennt (ich auch nicht) hat bei dem Instrumental einen Gastauftritt. Danach werden erstmals ruhige Töne angeschlagen. „Send Me An Angel“, „Wind Of Change“ (mit geändertem Ukraine-Text, den man von der Leinwand ablesen kann, um mitzusingen) und „Tease Me, Please Me“ bilden einen Block mit drei Songs ihres 1990 erschienenen Erfolgsalbums „Crazy World“. Danach spielt man mit „Rock Believer“ den letzten neuen Song an diesem Abend. Mit „New Vision“ gibt es das insgesamt dritte Instrumental am heutigen Abend; für meine Begriffe etwas zu viel. Der polnische Bassist Pawel Maciwoda und der schwedische Drummer Mikkey Dee spielen zunächst zusammen und geben sich dabei überraschend progressiv, bevor es in das Schlagzeug-Solo übergeht. Der Kern des Solos ist im Grunde genommen derselbe wie damals zu seiner Zeit bei Motörhead. Ein paar neue Variationen gibt es aber dennoch. Besonders geil ist am Schluss des Solos das „Rock Believer Jackpot“ auf der Leinwand. Denn bevor fünf Skorpione in einer Reihe den Sieg einläuten, gibt es als vorletzte Station ein Pik-Zeichen mit der Aufschrift „Rock And Roll Forever“ und vier Bilder von Lemmy von Motörhead zu sehen, was mit tosendem Beifall applaudiert wird. Mikkey Dee hängt noch sehr an seiner langjährigen Vergangenheit, und ich persönlich finde es toll, dass Lemmy von ihm immer noch gewürdigt wird und er nicht in Vergessenheit gerät. Witzig ist übrigens auch, dass man während seines Solos auf der Leinwand erkennen kann, dass der Firmenname Sonor wie das Scorpions-Logo aussieht. Bei Motörhead hatte er das mit der Aufschrift „Sonör“ ebenfalls. Voll geil!
Klaus Meine kommt noch einmal auf die Bühne, und der Hammer wird wieder ausgepackt. Mit „Blackout“ und „Big City Nights“ geht es noch einmal richtig ab, bevor der reguläre Set beendet wird. Die Ballade „Still Loving You“ und das unvermeidliche „Rock You Like A Hurricane“ am Schluss bilden die beiden einzigen Zugaben, bevor nach nur anderthalb Stunden um 22:45 Uhr bereits Schluss ist. Songs wie „Dynamite“ oder „Holiday“, die sie eigentlich immer gespielt haben, bleiben heute aus. Die Lichtshow und die LED-Leuchten sind dieses Mal nicht so penetrant wie zuletzt. Der Sound ist super. Aber auch die Scorpions kommen so langsam in die Jahre. Klaus Meine trifft zwar noch jeden Ton, wirkt in seiner Mimik aber angestrengt und benötigt anscheinend viele Pausen. Wie gesagt; Es gibt heute drei Instrumentals. Und mit nur anderthalb Stunden Spielzeit ist dies auch mein mit Abstand kürzestes Scorpions-Konzert überhaupt. Dennoch scheinen Band und Fans zufrieden zu sein. Rudolf Schenker wischt Mikkey Dee, der übrigens ganz schön zugelegt hat, den Schweiß aus dem Gesicht und wirft das Handtuch anschließend ins Publikum, bevor sich die Band verbeugt und die Bühne verlässt. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass wir die Scorpions nicht mehr so super lange live sehen werden. Dennoch haben die Hard Rocker heute einen mehr als soliden Gig hingelegt.
Setlist: Gas In The Tank, Make It Real, The Zoo, Coast To Coast, Seventh Sun, Peacemaker, Bad Boys Running Wild, Delicate Dance, Send Me An Angel, Wind Of Change, Tease Me Please Me, Rock Believer, New Vision, Blackout, Big City Nights, Still Loving You, Rock You Like A Hurricane