BULLET, 77, SCREAMER

Essen, Turock, 08.10.2012

Irgendwie wird das Turock bald zum zweiten Wohnsitz für Konzertbesucher mit besserem Geschmack. In nicht mal einer Woche gaben sich hier Acts wie Onslaught und Marduk die Klinke in die Hand, ganz zu Schweigen von ihren hochkarätigen Supportacts. Dazu nun noch der heutige Konzertabend mit Bullet, deren Line-Up passender gar nicht sein könnte, denn sie machen hier zwischen zwei Holland-Gigs auf ihrer Full Pull Tour halt, und sie haben die Spanier von 77 und die ziemlich geilen Newcomer von Screamer mit im Bus.

SCREAMER git LIVE 2012Mein frühes Eintreffen ermöglichte schon mal eine Guckung beim Merchandise. Bei Bullet kostete ein Shirt zwanzig Euro. Dafür hatten sie aber auch zehn Verschiedene im Angebot. Nur ist das dem Käufer eines Shirts egal, dass es noch neun andere gab, stellte ein Spitzfindiger fest. Die Shirts von 77 und Screamer lagen bei 15 Euronen. Das Turock füllte sich noch, als Screamer auf die Bühne gingen. Unter dem über alles prangendem Riesenlogo von Bullet durften die Schweden durch ihren Set performen. Vor dem ersten Ton begrüsste Shouter Christoffer die Menge: “Good Evening, We Are Screamer…“ und der Opener ihres aktuellen Hammeralbums „Adrenaline Distractions“ sollte auch heute eröffnen. “Can You Hear Me” wurde nicht nur von den ersten Reihen aufgesogen, und bekam mehr als einen Achtungsapplaus. Zum Titeltrack “Adrenaline Distractions” drehten erste Banger ganz vorn schon so durch, dass man beim Fotografieren viele Haare vor der Linse hatte. Christoffer, wie immer stilecht mit Moppedjacke und umgeschnallten Rickenbacker, trug heute sein Maiden-Shirt dazu, und sagte „Keep On Walking“ an. Geschmackssicher gaben sich auch die Gitarreros in Shirts von Rush und Screamer, Eigenwerbung bei so viel Grund dazu ist erlaubt. Der Mitklatschpart des Songs wurde vom Turock mit Bravour gemeistert, denn dazu wurde auch textsicher mitgesungen. Nicht wenigen war das Material der Schweden bekannt, und eine neue Scheibe soll nicht lange auf sich warten lassen. „We Recorded This Fucking Summer”, erklärte Christoffer, und sagte einen neuen Song namens “Phoenix“ an, welches auch der Titel des neuen Albums sein soll, das im Jahre 2013 erscheint, wie mir der Zwei-Meter-Drummer Henrik später erklärte. Und dabei handelt es sich um eine packende Speednummer mit exzellentem Drumwerk. Danach kam „All Over Again“, das Christoffer mit allen SCREAMER vox LIVE 2012Höhen brachte, obwohl es bereits der zehnte Tag der Tour war. Keine Ermüdungserscheinungen ließ auch die Audienz vermerken, die ihre Begeisterung mit „Screamer“-Rufen preisgab, und so hieß auch der nächste Song. Zeichen setzend dafür, dass die Band sich für die schnelleren Songs ihrer Scheibe entschieden hat, wurde der letzte Song „Rock Bottom“ schneller interpretiert, als gewohnt. Leider war schon nach dreißig Minuten Ende, während noch immer „Screamer“-Rufe im gut gefüllten Turock vernehmbar waren. Wow, schwer zu toppen, da kann ich ja jetzt nach Hause fahren, oder?

 

77 gits LIVE 2012Nee, lieber noch nicht, denn es kann ja vielleicht noch besser werden. Während noch „Night Prowler“ von AC/DC aus der Konserve lief, zeigte schon der Bühnenaufbau, dass auch die Iberer von 77, wie schon Screamer zuvor, unter dem Bullet-Logo auftreten sollten. Ihr eigenes Backdrop wurde vor dem Schlagzeug von Bullet befestigt. Mit einem Gitarrensolo a la Angus stürmte LG Valeta die Bühne, dann erst setzten seine Bandkollegen ein, und sie klangen zusammen original wie Australien 1978. Und damit ist das „Powerage“ Album gemeint, das Album „Let There Be Rock“ stammt zwar aus dem Jahr, das sich wie der Bandname beziffert, klingt aber eine Spur rougher. Oft fühlte ich mich an „Powerage“-Songs wie „Down Payment Blues“ und  „What’s Next To The Moon“ erinnert, und auch optisch schlägt man die Richtung ein. Wenn man schon so singen kann, dass man nach Bon Scott kommt, wie der Bon und Malcolm in Personalunion Armand Valeta, dann kann man sich auch an den selben Gibson-Gitarren bedienen. Denn die beiden Valeta Brüder spielten die Gleichen wie die Young Brüder. Mit Ausnahme des Rickenbacker von Mr. Raw, denn ich erinnere mich an kein Bild, dass Cliff Williams mal einen solchen umhängen hatte. Nun aber mal die Vergleiche zu AC/DC beiseite, denn die Spanier haben eigene Songs. Und sogar schon einen Bekannten, nämlich „High Decibel“, der als Beitrag auf einigen Samplern zu finden ist. Drummer Johnnie T. Riot schien der Fellgerber vor dem Herrn zu sein, wie er auf seine Kessel eindrosch. Absolut erwähnenswert die Publikumsreaktionen, von Arme hoch bis zu „Hey“-Rufen wurde das ganze Programm gebracht. Klar, ist auch einfacher als „Seventyseven“ zu brüllen. Der nächste Song „Sex You Can Talk About“ bediente sich vieler Stimmungen, und begann groovig wie Rose Tattoo. Bei den schnelleren Parts jagte LG quer durch Saal, bis oben auf den Balkon und quer durchs Erdgeschoss. Müßig zu erwähnen, wie riesig der Applaus dazu ausfiel. Sänger Armand kann es auch ohne Klampfe, 77 git LIVE 2012dann griff er zu einem Oldschool Modell von Gibson, während Drummer Johnny bereits so durchgeschwitzt war, dass bei jedem Schlag auf die Snare sein dort Hingeflossenes aufspritzte. „Last Song Is Dedicated To All The Bullet Guys“ tönte Armand, und “Big Smoker Pig“ wurde performt. Und von Ende war dann doch noch keine Spur, denn das Anthem der Band “77” schloss sich noch an, dass erst nach einer Dreiviertelstunde Schluss war. Schon Wahnsinn, was die Jungs aus Barcelona hier auf die Bretter gelegt haben. Mehr kann doch jetzt nicht mehr kommen, da kann ich doch jetzt nach Hause fahren, oder?

 

BULLET hell LIVE 2012Nee, lieber noch nicht, denn es kann ja vielleicht noch besser werden. Aus dem Back wurde die Menge mit „Highway To Hell“ und „Hells Bells“ beschallt, bis das Licht ausgeknipst wurde und endlich das Bullet-Logo erleuchtete. Zu einem finsteren Grollen enterten die Schweden die Bühne, und legten mit dem Opener ihres neuen Albums „Midnight Oil“ einen eher ruhigeren Beginn hin. „Rush Hour“ mit den geilen Ripp-Offs im Refrain schloss sich an, und bildete mit „Full Pull“ einen klasse Eröffnungstriple. Vor der Bühne treffe ich natürlich Oberfan Jörg der nicht Uwe heißt, welcher bereits die gesamte Tour mitgefahren ist, und sich immernoch wie ein kleines Kind freut, seine Helden live zu sehen. „Turn It Up Loud“ wurde von Basser Adam angesagt, und die Pyros in Form von Flammensäulen kamen heute erstmalig zum Einsatz, während wir in der ersten Reihe darüber philosophierten, warum auf der einsehbaren Setlist Song 5 und die letzte Zugabe abgeklebt waren. Sind die Top Secret? Nein, die Antwort war so einfach wie ernüchternd: diese Songs wurden einfach nicht gespielt. Welche Songs das waren, hätte mir Jörg der nicht Uwe heißt sagen können. Der hatte aber grad keine Zeit, denn er musste „Pay The Price“ mitgrölen. Hells Umhang, auf dem in goldenen Lettern der Vorname des Sängers aufgenäht worden war, kam pünktlich zu “Roadking” zum Einsatz. Sonst war er natürlich in seinem Muskelrockshirt gekleidet, das inzwischen schon sehr gelitten hat, wie darin Löcher und Farbanhaftungen als stumme Zeitzeugen fungierten. Verändert hat sich auf der Bühne nicht viel, seit Bullet zuletzt mit Grand Magus im Turock waren. Gustav klöppert sein Drum Solo vor „Stay Wild“. Nach “Rolling Home” verließ die Band die Bühne. Eines der Rundumlichter, das die erste Zugabe “Highway Pirates” ankündigen sollte, funktionierte nicht. Das war nicht weiter schlimm, denn der Funke sprang auch so. Nach “Back On The Road” durfte Adam, der heute im Shirt von AC/DC’s “Dirty Deeds…” steckte, noch die Band vorstellen. „Bullet“-Rufe aus dem Publikum hatten “Bite The Bullet” zur Folge, wo wieder die BULLET gits LIVE 2012Gitarren hoch gehalten wurden, dass man auf jedem Korpusrücken ein Wort des Titels lesen konnte. Gut, dass die agilen Hampus, Adam und Erik dabei in der richtigen Reigenfolge standen. Eine Kreuzpose durch Unterarm und Gitarrenhals gebildet, die ich bei ihren Freunden von den schwedischen Wolf schon oft gesehen habe, hat sich auch Erik inzwischen angeeignet. Mit vielen Feuersäulen nahm dann nach 65 Minuten der Auftritt ein Ende. Insgesamt hat man selten so ein Package gesehen, das so musikalisch hochwertig war, denn eigentlich spielte Bullet nach zwei Co-Headlinern.



Autor: Joxe Schaefer - Pics: Joxe Schaefer