ULTIMA RATIO FEST

Oberhausen, Turbinenhalle 2, 15.10.2022

Zum ersten Mal in der zwölfjährigen Geschichte von CROSSFIRE kommt es vor, dass wir gleich zweimal zur einer Tour auf der Gästeliste landen. Zu Beginn sind wir jedoch iritiert. In Halle 1 findet zeitgleich eine Party mit türkischen DJs statt. Auf dem Parkplatz wimmelt es von überschminkten Modepüppchen. Eine rennt zu einem DJ hin, der gerade das Gelände überquert, macht schnell ein paar Selfies und lässt sich von der wartenden Menge feiern wie ein Fußballstar, der gerade ein Tor geschossen hat, haha! Geil! Unsere Warteschlange ist deutlich kürzer, und wir sind schnell in der Halle, die anfangs jedoch noch sehr spärlich gefüllt ist.

Hinayana - live - 2022Den Anfang macht heute die einige Band aus Übersee, Hinayana aus den USA, die ich nicht einmal vom Namen her kenne. Sie sind aber der perfekte Opener. Schleppende Riffs, mystische Keyboards, Slow Motion-Tempo mit Synchron-Headbanging, tiefer Growlgesang, der den Gesamt-Sound melancholisch und verträumt erscheinen lässt, und das alles bei gutem Sound. Mich erinnern an Doom-/Death Metal-Bands, wie es sie Mitte der Neunziger häufig gab. Ein sehr angenehmer Einsteig in den langen Abend!

Wolfheart - live - 2022Besonders neugierig bin ich auf Wolfheart, die ihre Band nach dem Debüt-Album des heutigen Headliners benannt haben und bei denen seit 2019 der Grieche Vagelis Karzis (ex-Rotting Christ) Gitarre spielt und ein paar Vocals übernimmt. Den Gesang teilen sich die Finnen zu dritt. Die Piano-Intros kommen aber leider nur vom Band. Ansonsten liefern sie aber eine tolle Show ab und überzeugen mit eingängigen Melodien und coolen Taktwechseln. Sogar richtig arschtighte Blastbeats gibt es zwischendurch, bei denen Schlagzeuger Joonas Kauppinen, scheinbar völlig relaxt und ohne sich groß abzumühen, hinter den Kesseln sitzt. Dennoch klingt die düstere, typisch finnische Musik wie aus einem Guss. Auch hier ist der Sound gut. Wolfheart sind auf jeden Fall eine Band, mit der ich mich mal etwas mehr beschäftigen werde.  

Borknagar - live - 2022Dann wird es Zeit für die Norweger Borknagar, von denen ich nur die ersten drei Alben aus den Neunzigern kenne. Auch hier ist der Sound gut, was mich schon etwas überrascht, denn die Mischung aus Black Metal, Folk, progressiven Elemente und mehrstimmigem Gesang ist schon echt schwierig abzumischen. Der Stil der Band erscheint im Gesamtkontext heute etwas abgefahren, dennoch bin ich beeindruckt, wie gut die Musik auch auf der Bühne funktioniert. Besonders sympathisch kommt Keyboarder Lars „Lazare“ Nedland rüber, der bei jeder Keyboard-freien Passage den Gitarristen in den Arm nimmt und mit ihm synchron bangt. Auch sein Klargesang kommt hervorragend rüber. „Voices“ vom 2019 erschienenen aktuellen Album „True North“, das sogar fanatisch vom Publikum mitgesungen wird, entpuppt sich dabei als kleiner Hit. Auch die Ansage von Gitarrist Jostein Thomassen, alle Bands des heutigen Abends zu unterstützen und ihre Shirt zu kaufen (O-Ton: „You are Germans. You can afford it.“), nehmen sich viele Fans zu Herzen. Auch mit den Borknagar-Alben nach der Jahrtausendwende werde ich mich wohl mal beschäftigen müssen. Live hat ihre komplexe Musik jedenfalls überraschend gut funktioniert!

Insomnium - live - 2022Die Finnen Insomnium sind bereits vor der Tour als Ersatz für My Dying Bride eingesprungen und – zumindest für mich – überraschend Co-Headliner. Sie zeigen aber schnell, dass sie sich diesen Slot wohlverdient haben. Ich kenne die Band nicht, und ich weiß auch nicht, inwieweit sie ihre Diskograpie in der Setlst abgedeckt haben, denn tatsächlich haben sie seit ihrer Gründung im Jahr 1997 schon acht reguläre Alben veröffentlicht. Auch sie klingen irgendwie „typisch finnisch“, dennoch kommt trotz viel Melancholie keine Langeweile auf. Die Band sprüht vor Spielfreude und hat das Publikum im Grif. Das merkt man vor allem daran, dass die Halle erstmals heute Abend richtig gut gefüllt ist und das Publikum viel mitsingt. Insomnium sind auch die einzige Band heute, die einen Zugabenteil spielt, der mit einem kurzen Schlagzeug-Solo eingeleitet wird und in das lange, atmosphärische „While We Sleep“ vom sechsten Album „Shadows Of The Dying Sun“ (2014) übergeht, bevor man mit „Heart Like A Grave“, dem Titeltrack ihres bislang letzen Albums von 2019 entlassen wird. Auch hier werde ich mal in ihre Alben reinhören müssen, denn live haben sie mich heute total überzeugt!   

Moonspell - live - 2022Der Headliner, Moonspell aus Portugal, ist heute die einzige Band, mit der ich komplett vertraut bin. Ich besitze alle ihre Alben und habe sie zum ersten Mal 1996 auf dem Out Of The Dark Festival in Dortmund gesehen. Heute sehe ich Sänger Fernando Ribeiro zum ersten Mal mit kurzen Haaren. 2019 in der Matrix in Bochum gab es, passend zum Konzept-Album „1755“ bei ihm wechselnde Bühnen-Outfits. Heute bleiben Gewandung, Zylinder und Friedhofslaterne zu Hause, und ist die Show völlig bodenständig und stur geradeaus. Schon beim Soundcheck fällt auf, dass das Schlagzeug von Neuzugang Hugo Ribeiro, der 2020 den Original-Drummer Miguel Gaspar ersetzte und mit Sänger Fernando weder verwandt noch verschwägert ist, sehr viel lauter ist als alle bisherigen Bands. Und die Setlist der Südeuropäer deckt den Großteil ihrer Diskographie der Band ab. Lediglich die schwache Phase Ende der Neunziger mit „Sin / Pecado“ (1998), „The Butterfly Effect“ (1999), dem wieder guten Album „Darkness And Hope“ (2001), das etwas sterile „Alpha Noir“ (2012) und das vorletzte Album „1755“ werden heute außen vor gelassen. Der noch etwas träge Einstieg mit „The Greater Good“ wird schnell wieder wett gemacht.

Moonspell - live - 2022Bei „Extinct“ beeindruckt der Wechsel zwischen fiesen Growls und heroischem, tiefem Klargesang. Für „Finisterra“ und „In And Above Men“ wechselt Ur-Keyboarder Pedro Paixão an die zweite Gitarre, was der Band viel mehr Druck verleiht. Neu-Schlagzeuger Hugo Ribeiro zeigt mit seinen Kriegstrommeln und Percussions in „From Lowering Skies”, das er ein würdiger Neuzugang hinter der Schießbude ist. Dann werden mit ihrem Hit „Opium“ und „Herr Spiegelmann“ erstmals zwei Klassiker des 1996 erschienenen Meisterwerks „Irreligious“ ausgegraben. Hier wird auch die Stimmung im Publikum deutlich besser, und es kommt Bewegung in den Pit. „Apophthegmata“ ist der einzige Song des aktuellen Albums „Hermitage“. Zum Schluss gibt es mit einer Ansage über den Ruhrpott, Dortmund und die alten Century Media-Tage noch „Alma Mater“ vom 1995er Debüt „Wolfheart“ und „Full Moon Madness“ von „Irreligious“ (1996). Für den letzten Song holt Sänger Fernando ein Paar Drumsticks ran und betont - mit Blick zum Schlagzeuger und Rücken zum Publikum - die Beckenschläge mit. Das Outro „Chorai Lusitânia!“ von der ersten Mini-LP „Under The Moonspell“ aus dem Jahr 1994 kommt vom Band, als das Licht angeht.

Setlist Moonspell: The Greater Good, Extinct, Night Eternal, Finisterra, In And Above Men, From Lowering Skies, Opium, Herr Spiegelmann, Breathe (Until We Are No More), „Apophthegmata, Mephisto, Alma Mater, Full Moon Madness, Chorai Lusitânia! (Outro)

Völlig ausgelaugt begeben wir uns wieder zum Parkplatz. Unterm Strich sind fünf Bands an einem Abend vielleicht etwas viel, aber wenigstens passten alle Combos gut zusammen, und niemand fiel aus dem Rahmen. Eine sehr gelungene Tour, die heute in Deutschland ihren Abschluss fand, mit fünf guten Bands, die alle einen guten Sound hatten und mit viel Spielfreude glänzten. Das schreit nach Wiederholung! 

 



Autor: Daniel Müller - Pics: Daniel Müller