RAGE AGAINST RACISM

Duisburg, Die Mühle, 17.06. - 18.06.2022

Shuulak - Vorwort - live - 2022Wie jedes Jahr unter dem Motto „Umsonst und draußen“ wird im Stadtteil Friemersheim zur großen Metal-Schlacht aufgerufen. Ein wahrlich arbeitsreiches Unterfangen, was eine Handvoll Leute (Inner Mühle e.V.) in Duisburg mit viel Liebe zum Detail aus dem Ärmel schütteln. Während früher mal eine relativ überschaubare Schar vor Ort war, können die Betreiber heuer bereits hunderte von Gästen begrüßen. Klar, Corona ist halbwegs gebändigt, und das Publikum will bei diesem extrem heißen Sommer wieder etwas erleben. Beste Voraussetzungen! Ich selber bin begeistert, mit welcher Unkompliziertheit die Presse hier empfangen und auch teilweise richtig gut verwöhnt wird. Davon können sich die großen Event-Betreiber mal eine Scheibe von abschneiden! Aber nun zur Musik:

Tag 1:

Daemonesq - live - 2022Den Anfang machen um 16:30 Uhr für die erste halbe Stunde nicht die angekündigte Formation Harkon. Die blieb aus gesundheitlichen Gründen der Veranstaltung fern. Stattdessen entern die Black Metaller Daemonesq, mitsamt handelsüblicher Kriegsbemalung die Bühne. Die zärtliche Fronterin Raegina holt Sounds mit ihrem Kehlkopf an die Sonne, die man ihr gar nicht zutraut. Sechs Tracks werden in der relativ kurzen Spielzeit als Opener zum Besten gegeben, und alle Beiträge vom aktuellen Longplayer „The Beauty Of Letting Go“ sind im Programm. Natürlich ist die grelle Sonne nicht die beste Voraussetzung für eine düstere Black Metal-Show, aber die Formation macht das Beste daraus. Extrem ist hier eher wenig, aber man hat sich dennoch ergreifend in Szene gesetzt. Das Publikum ist, wie anfangs erwähnt, bereits zahlreich am Start und zollt der Truppe gebührend Respekt. Von diesem Act wird in Zukunft noch Manches zu hören sein.

Sic Zone - live - 2022Nach kurzer Umbaupause in der mir der gute Mann am Slush-Stand ein kostenloses Getränk reicht, Danke dafür, kann ich erfrischt in die nächste Runde gehen. Die wird von alten Bekannten bestritten: Sic Zone! Die Kölner spielen seit Jahren einen ziemlich kernigen und trockenen Sound, der sich irgendwo zwischen Thrash-, Death- und modernen Groove Metal wiederfindet. Machine Head und Sepultura lassen des Öfteren grüßen, aber leider sind die Tracks der Band nicht so zündend wie die ihrer Helden. Erstaunlich viele Musiker und Sänger präsentierten sich bei dieser kaum erträglichen Hitze mit Maske und Kostümierten-Outfit. Respekt! So auch Fronter PY, der die Maske samt Fackel ins Geschehen bringt. Sic Zone spielen knüppeldick, erfreuen die Fans und verlassen sich bei ihrem Set auf altes Material. Selbst die Single „Between The Lines“ aus dem Jahr 2020 bleibt außen vor. Nun ja, seit 2019 gab es halt kein neues Album. Deshalb war für persönlich der Gig auch nicht so spannend.

Aeverium - live - 2022Aeverium waren für mich völliges Neuland. Und zum ersten Mal an diesem schönen Tag trafen dezentere Töne auf die Ohren der Meute vor der Bühne. Symphonischer Power Metal samt Gothic-Einschlag lautete die Devise. Und wieder kämpfte stimmlich eine Lady an der Front. Gut, am Outfit würde ich noch feilen, denn die Augen „hören“ mit, und die Konkurrenz pennt nicht. Dafür gab es mit der Musik und dem Gesang richtig Geiles auf die Lauscher. Unterstützt wurde Sängerin Vanessa Katakalos von ihrem Partner in Crime, Marcel „Chubby“ Römer, der gar nicht mehr so chubby ist. Respekt! Auf jeden Fall harmonieren beide Stimme perfekt miteinander, und der Flow der Band ist nahezu unschlagbar und für mich die beste Performance insgesamt des Tages. Ja, auch wenn Flotsam And Jetsam da waren. Isso! Okay, neues Material gibt es, abgesehen von der Single „Safe Harbour“, seit dem Jahr 2017 und dem Album „Time“ nicht mehr. Was aber sinnvoll wäre, denn damals sang noch Aeva Maurelle. Konnte mir jedoch egal sein, denn wie gesagt, ich hatte noch keinen Song auf dem Schirm. Hier freue ich mich die Truppe nochmal als Headliner genießen zu dürfen.

Cypecore - live - 2022Die Formation Cypecore war zumindest was für das Auge. In voller Montur gaben sich die Burschen dem Schwitzen unter Outfit und Masken hin. Das war heuer wohl die extremste Variante und vor allem vom Drummer Johannes Kochs, der unterm Helm noch eine Skimaske auf hatte. Fühlt der denn gar nichts, haha? Die Mannheimer servierten am Abend ihre Version des melodischen Death Metals. Nicht unbedingt mein Geschmack, da einfach zu wenig hängen blieb, aber eine saustarke musikalische Leistung und ein absolut tightes Brett, was abgeliefert wurde. Und sie tragen ihr post-apokalytisches Konzept konsequent durch die Massen vor der Bühne, die noch keinerlei Müdigkeit zeigt. Aber auch hier müssen sich die Fans mit ziemlich altem Material zufrieden geben, denn bis auf die Single „Chosen Chaos“ ist man neue Tracks schuldig geblieben.

Flotsam And Jetsam - live - 2022Als Headliner des ersten Abends hatten es die US-Amerikaner Flotsam And Jetsam aus Phoenix, Arizona, ziemlich einfach. Eine ganze Menge Leute kamen nur wegen ihnen und auch erst, als sie spielten. Tja, kann man machen, wenn es nichts kostet. Aber man sollte trotzdem an die Finanzierung des Veranstalters denken und vielleicht mal etwas mehr Zeit auf dem Gelände verbringen und den einen oder anderen Gerstensaft konsumieren. Bekannt wie ein bunter Hund, konnte die Formation aus Übersee nicht anders als voll punkten. Alle Songs der alten Thrash-Schule wurden lauthals abgefeiert, und die Bewegung vor der Bühne war trotz der nicht abnehmenden Hitze beachtlich. Und Flotsam And Jetsam ließen sich nicht lumpen. Mit sichtlich Spaß in den Backen, insbesondere deutlich bei Fronter Eric A.K. Knutson erkennbar, gab es Evergreens wie „Suffer The Masses“, „Hammerhead“, „Desecrator“, She Took An Axe“ (alle vom Debütalbum „Doomsday For The Deceiver“), als auch „Brace For Impact“ und „The Walls“ von der aktuellen Veröffentlichung „Blood In The Water“ aus dem Jahr 2021. Mit der Nummer „I Live You Die“, gab es dann auch meinen Favoriten der Band. Geiler Scheiß!

Tag 2:

Fabula Rasa - live - 2022Der nächste Tag, genauso sonnig, genauso gut besucht, startete mit dem Musikcorps Hohenbudberg. Die Kapelle ist hier Standard im Programm und glänzt mit Heavy Metal und Hard Rock Coverversionen. Danach enterte die Bühne eine relativ neuen Formation namens Fabula Rasa. Bereits einmal hatte ich das Vergnügen, sie live zu sehen, und zwar vor ein paar Wochen im Vorprogramm von Iron Savior. Wieder zu fünft, im gleichen Line-Up wie bereits im April, versucht man mit traditionelleren Metal und etwas Violine Herr der Lage zu werden. Der Charme von Fronter Achim und Company setzt sich auch hier durch. Sowieso ist der Shouter voller Energie und Euphorie. Das konnte noch nie schaden. Im krassen Gegensatz dazu muss der Sechs-Saiter der Truppe noch ordentlich am Stage-Acting arbeiten. Das ist recht spröde, was der Klampfer abliefert; mittendrin Lady Lucia mit ihrer Power-Violine. Gefiel mir heute auf jeden Fall besser als im späten Frühling zu Herne.

Shuulak - live - 2022Darf ich jetzt fast alle Mitglieder der niederländischen Formation Shuulak als meine Freunde betrachten? Nachdem wir nahezu den gesamten Samstag unter schallendem Gelächter und coolen Gesprächen verbracht haben, also zumindest immer dann, wenn ich mal eine Verschnaufpause hatte? Da gehe ich mal ganz stark von aus. Die Jungs und Mädels aus dem Nachbarland machen es mit ihrer Lebensfreude aber auch ziemlich einfach. Auf der Bühne kachelt man da eher spezieller. Metal spielen sie, jedoch in ausgeprägter, moderner Form. Bastien Baron neigt zum blutverschmiertem Gesicht als Effekt, während Gitarristin Eve Laetitia im Kreis grinst. Die Gegensätze ziehen sich in dieser Mannschaft kräftig an. Funktioniert ziemlich gut, und die Show, die abgeliefert wurde, ließ keine Wünsche offen; und das, obschon mir das komplette Material völlig unbekannt war. Weiter so!

Ghosther - live - 2022Unsere Bekannten von Ghosther, haben mit „Immersion“ ein neues Album in den Startlöchern. Die Band aus Heinsberg mit Sängerin Jenny am Mikrofon ging vom ersten Ton an in die Vollen. Und ja, wir durften einen aktuellen Song der Truppe hören. Der ging voll ins Blut. So viel kann ich euch verraten. Denn selbst wenn das Outfit im Vergleich zu etlichen anderen Acts relativ leger war, ließ man musikalisch keine Wünsche offen. Welch derber Sound für einen solch sonnigen Tag, haha! Die Songs des älteren Albums „Through Fire“ aus dem Jahr 2019 liegen noch mit guter Erinnerung im Ohr, und es war Balsam, sie live erleben zu dürfen. Es schien, als hätte der Act seinen eigenen großen Fankreis mitgebracht, der vor der Bühne alles erzittern ließ. Zeit das die Mitarbeiter der Crew, den Wasser-Sprinkler vom Dach der Mühle in Gang setzten.

Tragedy Of Mine - live - 2022Tragedy Of Mine-Brüllwürfel Steven Friend sang ebenfalls mit komplettem Kostüm und verhülltem Gesicht. Da wäre ich erstickt, haha! Leider ist dieser Aspekt das größte Aushängeschild der Truppe. Musikalisch ließ mich deren Chose komplett kalt. Der Fünfer aus Osnabrück verpflichtete sich dem melodischen Death Metal der unkomplizierten Art; ohne Spökes direkt in die Fresse. Die Jungs haben mit „Aeon“ seit Februar dieses Jahres nach langer Zeit ein neues Werk am Start. Das galt es heuer zu promoten. Das geht mittlerweile in leichte Core-Elemente über, die live noch brachialer in Erscheinung treten. Das mag für die Band und ihrer Entwicklung durchaus spannend sein. Ich gönnte mir den Luxus, ein Ohr dem Rest des Sets zu schenken, während das andere dem Kellner für ein Kaltgetränk zuhörte.

Ignition - live - 2022Mit Ignition traf ich eine Band, die mal mit einer Bewertung unsererseits zufrieden war. Muss es auch mal geben, haha! „Call Of The Sirens“, das Album aus dem Jahr 2020, ist aber auch ein Brecher für das Gehör. Leck mich am Arsch! Eine etwas rauere Version des hiesigen Power Metals ist genau was das Festival jetzt brauchte, um die angereisten Fans darauf vorzubereiten, was noch bevorstand. Das machte man dann mit aller Energie, die man aufbringen konnte. Hauptverantwortlicher dafür ist niemand Geringeres als Fronter Dennis Marschallik, dem ebenso fröhliche Ansagen von der kessen Lippe gehen. Er hat die Meute definitiv im Griff. Aktives Stage-Acting der restlichen Mitglieder, samt Gesichtsakrobatk des Bassers Andreas Leyer, machen den Kohl fett. So geht Metal!

Fallbrawl - live - 2022Wenn es zu Hardcore in irgendeiner Form kommt, bin ich meist raus. Fallbrawl machen genau den Sound, wovon ich rede. Beatdown ist das Subgenre, mit Songs, die in zweieinhalb Minuten alles auf die Kette kriegen. Natürlich präsentiert man eine geballte Ladung an explodierender Energie, mit einer Brutalität, die stets Programm ist, aber nach mehreren Songs, lass es drei oder vier sein, bin ich überfordert. Wenn dann irgendwelche Bubies vor der Bühne noch ihren dilettantischen Violent Dance ausüben, der mir verdammt nach frustrierten Teenager ohne Freundin aussieht, was ich nicht mehr, was ich sagen soll. Klar kann jeder seinen Spaß haben, aber ohne andere zu verletzen. Doch weiter zur Band: Elfmal treten die Recken mir ihren Shouter Andree Krupski mächtig Arsch. Aggressiv? Yes, aber leider ohne Innovation. Einfach stur knochenhart. Wer es mag!

The Other - live - 2022The Other waren wegen meines 2012er Reviews und einem älteren Livebericht nicht unbedingt begeistert. Aber mit Kritik muss man leben. Heuer brauchen sie sich aber nicht das Hirn zu zermartern, denn was die Mannschaft am frühen Abend ablieferten, kam ganz gut durch die Boxen. Wie die anderen Acts auch, hatten The Other aus Nordrhein-Wesfalen das Problem, in der Corona-Phase ihre Musik live zu servieren. Deshalb bekam ich die Songs ihrer letzten Veröffentlichung „Haunted“ (2020) erst heute zum ersten mal live zu Gehör. Ihr Horrorpunk, unterstützt durch die bemalten Gesichter sowie der Maske des Gitarristen, hat einiges an Potential aufgestockt. Mit „Was Uns Zerstört“ gibt die Formation auch einen deutschsprachigen Songtitel zum Besten. Obwohl man im Rahmen ihres üblichen Genre bleibt, haben die Jungs ein paar neue Ansätze, die sie nicht leugnen können und mit „On My Skin“, „Vampire Girl“ und „Absolution“, klarstellen. I like!

Visions Of Atlantis - live - 2022Es gibt Bands, da bleibt die Kamera des Fotografen nicht still stehen. Visions Of Atlantis, zum ersten Mal vor meiner Linse, sind eine solche. Dabei spielt das Piraten-Outfit, mit dem man das Konzept der letzten Platte „Pirates“ aufgenommen hat, nur bedingt eine Rolle. Die Präsentation und das Zusammenspiel der Besetzung ist es, was auf der Bühne die homogene Show ausmacht. Die Interaktion aller Beteiligten ist hier absolut professionell. Sie kommen aus Österreich und sind stets auf dem Weg nach ganz oben. Die Stimme zum Erfolg kommt sicherlich von der seit 2013 hinzugekommenen Fronterin Clémentine Delauney – ex-Serenity - (die mir kurz vor dem Gig noch ein Interview gab), die zusammen mit Sänger Michele Guaitoli (seit 2018 im Team) die Hits zum besten gibt und eine ordentliche Show abzieht. Die französische Sopranistin ist ganz klar das Aushängeschild der Band, die ihr gerne den Platz einräumt. Fünf Songs des aktuellen Rundlings fanden ihr Ziel bei diesem Auftritt, aber natürlich verlangten die gierigen Fans ebenso die Klassiker. Eine tolle Show!

Borknagar - live - 2022Und dann kamen um 21:50 Uhr die Headliner des zweiten Abends: die norwegische Folk-Progressive Extrem Metal Band Borknagar, die vom Rage Against Racism, für eins ihrer doch leider seltenen Deutschland-Konzerte verpflichtet wurde. Die etwas längere Umbaupause aus technischen Gründen - geplanter Beginn war schon 21:30 Uhr - hat die Vorfreude beim Publikum aber nicht geschmälert, im Gegenteil: Schon mit dem Intro und dem Opener „The Fire That Burns“ ging die Menge steil. Und das zurecht: Die Mannen um Sanges-Ikone und Bassist ICS Vortex zeigten sich extrem spielfreudig und wühlten sich mit „Frostrite“ und „Oceans Rise“ durch ihre eigene Historie, ehe man mit „Up North“ und „Voices“ zwei der stärksten Stücke vom aktuellen Album „True North“ zelebrierte. Dabei fielen besonders Keyboarder Lars Nedland - der heute seinem Frontmann gesanglich in nichts nachstand - und Drummer Bjørn Rønnow, der einen perfekten Teppich für die Musik des Quintetts legte, auf. Mit „The Rhymes Of The Mountain“ und dem alten Klassiker „Dawn Of The End“, beendete man nach sechzig Minuten ein starkes Set, ehe man nach massiven Zugaberufen für zwei Bonus-Stücke zurückkam. „Ruins Of The Future“ vom 2000er Werk „Quintessence“ und das brillante Titelstück des vorletzten Albums „Winter Thrice“, beendeten unter tosendem Applaus einen der viel zu seltenen Gigs der Norweger, die sich gerührt beim Publikum bedankten, und hinterließen Tränen der Freude bei allen Fans. Chapeau. (Dirk Schneider)

 

 



Autor: Steve Burdelak; Dirk Schneider - Pics: Steve Burdelak; Dirk Schneider (Borknagar)