PYOGENESIS - Wir treten nicht an, um jedem zu gefallen!


Mit ihrem neuen Album „A Silent Soul Screams Loud“ beenden Pyogenesis in diesen Tagen ihre drei Alben umfassende Inszenierung über technische und gesellschaftliche Umbrüche des 19. Jahrhunderts. Obwohl alle Teile dieser Trilogie ausnahmslos zu empfehlen sind, stellt der nun veröffentlichte letzte Teil, in ganz besonderem Maße, einen musikalischen Leckerbissen da. Wer dazu bereit ist, dieses Album tiefgründig zu erkunden, wird regelrecht in ein Gefühlsbad aus Emotionen eintauchen. Mit den großartigen Melodien der Songs im Kopf und Papier voller Fragen in der Hand, machte ich mich auf dem Weg zur Düsseldorfer Kultkneipe „Tube“. Dort stand mir Frontmann Flo V. Schwarz, im Vorfeld zum dortigen Pyogenesis-Gig, Rede und Antwort.

logoDirk: Hallo Flo. Glückwunsch zum bislang besten Pyogenesis-Album überhaupt! Auf der jetzigen Tour steht Ihr bei einigen ausgewählten Gigs als Eure eigene Vorband auf der Bühne. Dabei spielt Ihr ein spezielles „Twinaleblood“-Programm. Was ist der Anlass dafür?

Flo: Danke Dir, Dirk! In diesem Jahr feiern wir das 25-jährige Jubiläum vom „Twinaleblood“-Album. Das empfinden wir als guten Anlass, mal ein paar extra Songs von dieser Scheibe zu spielen. Üblicherweise spielen wir ungefähr drei Lieder von dieser Platte. Bei diesen speziellen Shows gibt es dann ein paar Stücke mehr zu hören. Das Album wird in diesem Jahr auch noch als Doppel-LP im Gatefold-Cover veröffentlicht. Diese wird remastert sein und zudem auf einem dreifarbigen Splatter-Vinyl erscheinen. Als Zugabe gibt es noch zwei bislang auf Vinyl unveröffentlichte Lieder.

Dirk: Coole Sache. Bist Du eigentlich selbst auch Vinyl-Sammler?

Flo: Nein, nicht mehr. Meine Platten hatte ich bei meiner Mutter im Keller gelagert. Seit einem Umzug ist aber alles verschwunden. Da waren echt teilweise rare Sachen dabei, beispielsweise eine Originalpressung der Black Sabbath „Paranoid"-Scheibe oder Depeche Mode Maxi-Singles in verschiedenen Farben. Seitdem bevorzuge ich MP3-Downloads, aber kein Streaming. Ich möchte die Datei besitzen.

Dirk: Mit dem Album „Unpop“ habt ihr im Jahr 1997 einen komplett anderen musikalischen Weg eingeschlagen. Viele alte Heavy Metal-Fans konnten damit nicht wirklich etwas anfangen. Warum gab es diesen drastischen Stilwechsel?

Flo: Weißt Du, wir haben schon immer einfach das gemacht, worauf wir Lust hatten. Das hat uns auch schon immer einige Fans gekostet. Mit jedem Album kamen wiederum auch neue Fans hinzu. Es gibt aber einen roten Faden durch alle Pyogenesis Alben. Das ist die Melodie und die Melancholie. Die Art und Weise, wie wir Melodien schreiben. Wir treten nicht an, um jedem zu gefallen! Wir machen das für uns. Ich bin nicht bereit, Kompromisse einzugehen, in der Hoffnung, dass dann vielleicht zweitausend Fans vor der Bühne stehen.

Dirk: Gibt es denn ein Album von Euch, mit dem Du nicht mehr so zufrieden bist?

Flo: Ich verstehe vieles als Zeitgeist. Vielleicht würde ich heutzutage den ein oder anderen Song auf einem Album weglassen. Im CD-Zeitalter wurde die verfügbare Spielzeit gerne auch mal etwas ausgekostet. Unser neues Album hat ungefähr 40 Minuten Spielzeit, und das finde ich vollkommen ausreichend. Ich mag zum Beispiel Metallica sehr. Aber ob deren letztes Album wirklich 70 Minuten Spielzeit benötigt? Ich finde, sie hätten sich lieber nur auf die Hits beschränken sollen. Dann kommt man vielleicht nicht erst in sechs Jahren wieder mit einem neuen Album um die Ecke, sondern schon in drei Jahren.

pyogenesisDirk: Ihr habt nun Eure Steampunk-Trilogie vollendet. Zwischen 2015 und 2020 erschienen drei Alben, die musikalisch nicht ganz so weit auseinander liegen. War das so beabsichtigt?

Flo: Ich gebe Dir da recht. Aber wenn Du Dir jedes Album einzeln anhörst, dann wirst Du feststellen, dass innerhalb der Alben trotzdem ganz viele unterschiedliche Sachen verarbeitet wurden. Es ist einfach nicht mein Anspruch, eine vorhersehbare Platte zu veröffentlichen.

Dirk: Stand vor dem ersten Album der Trilogie eigentlich schon das komplette lyrische Konzept fest? Oder wurden die Texte erst vor jeder einzelnen Platte geschrieben?

Flo: Es gab eine irre lange Liste an Ideen, worüber wir schreiben wollten. Die Trilogie beschäftigt sich ja mit dem Wandel der Gesellschaft im 19. Jahrhundert. Das ist so ein riesiges Feld! Mit unseren drei Alben konnten wir das Thema maximal anreißen. Die ausformulierten Texte entstanden dann aber immer erst zu der jeweiligen Veröffentlichung.

Dirk: Welches war denn für Dich die absolut wichtigste Erfindung im 19. Jahrhundert?

Flo: Die Dampfmaschine. Die hat einfach die Welt revolutioniert. Ich weiß zwar grob, wie die funktioniert, bin aber kein Nerd, der sich damit irgendwie in der Freizeit beschäftigt.

Dirk: Gab es für das neue Album auch Lieder, die aus irgendwelchen Gründen nicht verwendet werden konnten?

Flo: Ich finde, so ein Album muss eine Dramaturgie haben. Wie ein Theaterstück braucht es da einen Aufbau, eine Spannung und am Ende ein Finale. Ja, wir haben Songs runter genommen, die da nicht reingepasst haben. Durchaus gute Songs, aber es hat einfach nicht gepasst.

Dirk: Wie entsteht eigentlich ein Pyogenesis-Song? Nach welchem Muster arbeitest Du da?

Flo: Ich sitze zuhause und spiele Gitarre. Wenn ich dann der Meinung bin, dass irgendetwas gut klingt, dann arbeite ich das aus. Die Texte entstehen aus Ideen, während ich beispielsweise etwas lese oder Dokumentationen schaue. Auch historische Filme können mich zu neuen Lyrics animieren.

Dirk: Kommen wir mal auf das Cover-Artwork zu sprechen. In der Vergangenheit fand ich Eure Cover immer schrecklich. Mit Beginn der Trilogie arbeitet ihr nun diesbezüglich mit dem Zeichner Stan Decker zusammen. Die letzten drei Außenhüllen waren allesamt fantastisch. Wie seid Ihr auf ihn gestoßen?

Flo: Ja, da gebe ich Dir zum Teil recht. Ich finde unsere damaligen Cover auch nicht besonders gut. Bei „Twinaleblood" bin ich allerdings anderer Meinung. Das hat etwas Düsteres und Melancholisches. Außerdem finde ich die Farben toll. Stan Decker wurde uns von der Plattenfirma vorgeschlagen. Ich habe mich mit ihm über meine Visionen der Cover unterhalten. Er war begeistert und hat sich ans Werk gemacht. Musik, Texte, Cover und Videos sollten eine Einheit bilden. Stan Decker hat mit seinen Zeichnungen seinen Teil dazu beigetragen und das absolut perfekt umgesetzt. Ich wüsste nichts, was er irgendwie hätte besser machen können.

pyogenesisDirk: Ist er also auch für Euer nächstes Cover eine Option?

Flo: Er ist auf jeden Fall als Zeichner für das nächste Album im Gespräch. Wenn er unsere Vorgaben umsetzen kann und da auch Feuer und Flamme für ist, dann könnte das durchaus passieren.

Dirk: Gibt es denn noch irgendwelche Instrumente, die den ohnehin schon sehr farbenfrohen Stil von Pyogenesis in Zukunft noch erweitern könnten? Wie wäre es denn mal mit einer Hammond-Orgel?

Flo: Für das neue Album haben wir zum Beispiel auch mal eine Mandoline verwendet. Aber im Grunde genommen sind die Hauptinstrumente Gitarre, Bass und Schlagzeug; dazu Streicher und vor allem Chöre. Ich brauche keine Hammond-Orgel, wenn ich das auch mit einem schönen Chor hinbekommen kann. Das gefällt mir persönlich einfach viel besser.

Dirk: Beim Song „Modern Prometheus“ gibt es mit Chris Harms von der Band Lord Of The Lost auch einen Gastsänger zu hören. Mit welchen anderen Musikern würdest Du, wenn Du die freie Auswahl hättest, gerne mal etwas zusammen aufnehmen?

Flo: Ich würde mit Lars Ulrich von Metallica gerne mal etwas aufnehmen. Einfach nur um mal zu sehen, ob der im Studio wirklich so schlecht spielt, haha! Oder ich schließe ihn zusammen mit Ozzy Osbourne und Fat Mike von NOFX in einen Raum. Die sollen sich dann einfach nur unterhalten, und ich sitze daneben und höre nur zu. Fat Mike ist der einzig wahre Punker, dem wirklich alles scheißegal ist. Das wird bestimmt super unterhaltsam, haha!

Dirk: Ihr seid bei Facebook recht aktiv. Dazu gehört unter anderem auch die Kommunikation mit Euren Fans. Wie wichtig sind denn solche Plattformen heutzutage?

Flo: Bei uns ist Facebook auf jeden Fall wichtiger wie Instagram. Wir haben viele Fans, die uns von früher schon kennen. Die etwas ältere Generation ist eher bei Facebook unterwegs. Es ist ein Marketing-Tool, und es wird von den Bands heutzutage erwartet, dass sie selber ganz viel machen. Es gehört einfach dazu, genau wie die Tournee zum Album.

Dirk: Bevorzugst Du denn eher die Studioarbeit? Oder magst Du lieber Konzerte spielen?

Flo: Durch mein eigenes Studio bevorzuge ich in der Tat eher die Studioarbeit. Ich kann arbeiten, wie es mir gefällt, auch an verschiedenen Stücken parallel.

Gitarrist Thilo ruft aus dem Hintergrund: „Das darf man doch nicht sagen, dass man Studioarbeit bevorzugt, haha."

Flo: Stimmt. Live ist geil! Schreib das! Live! Haha!

Dirk: Ich finde, das neue Album ist von vorne bis hinten harmonisch und rundum perfekt. Das habe ich ja auch schon im entsprechenden Review, wo Ihr von mir die Höchstpunktzahl bekommen habt, ausgeführt. Merkt man während des Schreibprozesses für ein Album bereits, dass man gerade dabei ist, etwas Großes zu erschaffen?

Flo: Nein. Ich merke nur, es gefällt mir oder es gefällt mir nicht. Ob das jetzt ankommt oder nicht, darüber mache ich mir eher weniger Gedanken. Wir haben heute erfahren, dass wir mit dem neuen Album auf Platz 33 in die Charts eingestiegen sind. Ich freue mich total darüber, aber wenn wir jetzt nicht gechartet wären, dann würde ich die Platte dadurch keineswegs schlechter finden.

pyogenesisDirk: Was treibt Dich an, immer weiter Musik zu machen?

Flo: Zum einen kann ich durch meine eigene Firma, Hamburg Records, das Ganze nun etwas entspannter angehen. Ich habe meine eigenen Angestellten und kann dadurch mit meinen Kumpels auf Tour gehen. Es macht einfach immer noch Spaß, Musik zu machen. Das ist der Grund, warum wir jetzt in fünf Jahren drei Alben veröffentlicht haben. Es ist Selbsterfüllung für mich. Andere schrauben vielleicht an einer Märklin Eisenbahn, und ich mag es einfach, Musik zu machen.

Dirk: Wohin wird die musikalische Reise nach Eurer langen, bevorstehenden Tournee gehen? Gibt es da schon irgendwelche Pläne oder sogar fertige Songs?

Flo: Ja, an den ersten Songs wird schon gearbeitet. Aber es gibt jetzt noch keinen Masterplan oder ein Release-Date. In welche Richtung das Ganze gehen wird, das möchte ich aber noch nicht verraten. Es soll ja schließlich spannend bleiben.

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Autor: Dirk Determann