WACHT - Es geht darum, Gefühle zu vertonen und Texte in ihrer Stimmung und Aussage zu verstärken!


Wacht aus der Schweiz spielen eigentlich Black Metal. Doch auf dem neuen Album „La Mort“ beschreitet man gänzlich neue Wege, denn es handelt sich um ein reines Piano-/Gesangs-Album, also ohne Stromgitarren und Schlagzeug. Wie es dazu kam, berichtet Gründer und Kopf Steynsberg, der seine Antworten ausführlich und sachlich schildert.

logoDaniel: Hallo Steynsberg! Erzähl uns doch zunächst, wie es 2006 zur Gründung von Wacht kam!

Steynsberg: Ich hatte das Bedürfnis, Black Metal zu spielen und nicht nur als Hörer zu konsumieren. Damals war ich der Meinung, dass man Black Metal nur verstehen kann, wenn man ihn auch spielt. Diese Meinung musste ich nach all den Jahren etwas korrigieren. Nichtsdestotrotz hat mir die Band so viel gegeben, dass ich sie bis heute weitergeführt habe. Black Metal ist mein Leben. Dementsprechend ist es für mich eine Selbstverständlichkeit, alles für diese Vision zu geben.

Daniel: Hattest Du zuvor schon in anderen Bands gespielt?

Steynsberg: Nein, Wacht (bzw. die zwei Vorläuferprojekte) war meine erste Band. Bis heute ist es meine Hauptband geblieben.

Daniel: Welche Bands oder Künstler haben Euch beeinflusst?

Steynsberg: Ich beziehe meine Inspiration aus vielen Dingen. Im Petersdom zu stehen und die Kunstwerke darin zu betrachten, gibt mir beispielsweise mehr als viele der heutigen Black Metal-Bands. Es ist eine Frage der Zeitlosigkeit und Vision. Wenn mich etwas packt – ganz egal, was es ist – und für eine längere Zeit nicht mehr loslässt, dann wird es Wacht beeinflussen. Wenn es gesichtslos vor sich hinplätschert, wohl eher nicht. Musikalisch waren es damals wie heute viele Black Metal-Bands wie auch viele szenefremden Musiker. Ich höre eine große Bandbreite an Musik, und Heavy Metal ist definitiv das wenigste davon. Genauso finde ich meine Inspiration aber auch in Büchern, Religion, der Natur, Gesprächen und Auseinandersetzungen sowie in der profanen Welt an sich. Die Straßen einer Stadt sind dermaßen abstoßend wie die Natur der Menschheit selbst. Das kombiniert liefert immer wieder genug Inspiration.

Daniel: Eure Texte sind nur teilweise auf Deutsch verfasst, teilweise auch auf Rumantsch Grischun, was etwas an Französisch erinnert. Worum geht es da genau?

Steynsberg: Wir schreiben einige Texte auf Vallader. Das ist ein Idiom (Dialekt) des Romanischen. Rumantsch Grischun (das Hochdeutsch des Romanischen) hat damit nichts zu tun, da es eine reine Kunstsprache ist, die gar nicht gesprochen wird. Es erinnert an Französisch, weil es eine verwandte Sprache ist. Genauso erinnert es an Italienisch, Spanisch etc. Um was es geht, kommt auf den Text bzw. das Album an. „La Mort“ ist ein Konzeptalbum über den Tod. Dabei werden verschiedene Sichten auf den Tod beschrieben. Einerseits ist er eine mythologische Figur, anderseits ist er allgegenwärtig und dementsprechend in allen Dingen zu finden. Der Tod lauert in den Häusern des Tals, den Händen der Betrunkenen, den Zungen der Lügner und in den Augen der Neugeborenen. Er wird uns alle holen. Einige früher, andere leider viel zu spät.

Daniel: Wenn man sich Eure Discographie anschaut, dann habt Ihr haufenweise Demos veröffentlicht. Waren die alle offiziell? Und sind sie heute alle noch erhältlich?

Steynsberg: Sämtliche offizielle Veröffentlichungen kann man sich auf unserer Webseite anschauen. Dort kann man auch innerhalb von wenigen Klicks herausfinden, dass die meisten davon nicht mehr erhältlich sind.

Daniel: Es gibt auch unheimlich viele Split-Veröffentlichungen von Wacht. Das ist etwas, was mir auch bei Nunslaughter, den japanischen Sabbat, Moloch aus der Ukraine oder Vinterriket aus der Schweiz immer so ein bisschen auf den Zeiger geht. Welcher Fan soll das alles sammeln? Welcher Sinn steckt dahinter?

Steynsberg: Ich empfinde zehn Splits im Vergleich zu siebenundsechzig (Nunslaughter) und fünfzig (Moloch) eigentlich noch überschaubar. Aber das ist wohl Geschmackssache. Jede Split hat ihre eigene Bedeutung, Zeit und Sprache. Sei es die Idee, zwei ähnliche Bands zusammenzuführen, befreundete Musiker zu unterstützen oder sich einfach auf eine andere Art auszudrücken. Es ist mir prinzipiell egal, ob das jemandem auf den Zeiger geht. Ich veröffentliche keine Tonträger, damit Fans sich damit besser fühlen können. Der Sinn meiner Musik ist ein völlig anderer. Wenn jemand Interesse an meiner Musik hat, kann er sich die Sachen besorgen. Wenn jemand mit einem produktiven Künstler überfordert ist, soll er weiterhin auf ein Burzum-Konzert warten. Ich veröffentliche Musik als Kunst und nicht als Konsumprodukt. Das Bedürfnis, Musik zu erschaffen ist wie ein Feuer. Es frisst einem auf, wenn man es nicht ausleben kann. Wer das nicht versteht, sollte sich einen Bürojob suchen.

Daniel: Wie seid Ihr mit den Split-Bands in Kontakt gekommen? Wart Ihr dafür immer selbst verantwortlich? Oder steckten auch oft die daran beteiligten Labels dahinter?

Steynsberg: Natürlich mache ich eine Split nur mit Bands, die ich selbst aussuche und auch kenne. Ich sehe keinen Sinn dahinter, einem Label irgendwelche Entscheidungsmacht über meinen kreativen Output zu geben. Wir arbeiten mit Labels zusammen, damit diese uns die Vertriebs- und Promotionsarbeit abnehmen. Zu welchen tollen Resultaten dies bisweilen führt, zeigt sich ja gleich selbst. Ich mache keine gemeinsamen Veröffentlichungen mehr mit Personen, die ich nicht persönlich kenne. Das Internet und E-Mails können Intentionen und Eigenschaften von Menschen verstecken oder verzerren. Deshalb funktioniert es für mich nur so oder dann eben gleich gar nicht. Ich verzichte lieber einmal zu viel auf eine Zusammenarbeit, statt sie im Nachhinein zu bereuen.

wachtDaniel: Lass uns mal über das neue Album „La Mort“ reden: Es gibt dieses Mal nur Piano und Gesang! Welche Idee steckt dahinter? Und ist dies nun die Marschrichtung für zukünftige Wacht-Alben? Oder war dies eine einmalige Angelegenheit?

Steynsberg: Das kann ich so nicht beantworten, und ich schließe beides nicht aus. Grundsätzlich ist der Plan, weitere „Black Metal“-Alben zu machen, aber wenn die Inspiration uns zwingt, wieder ein Piano-/Gesangs-Album zu machen, wird es so geschehen. Wir werden sehen. Die Idee dahinter war keine andere als früher bei Gitarren- und Schlagzeug getriebenen Alben. Es geht darum, eine Vision in einen Tonträger zu verpacken. Es geht darum, Gefühle zu vertonen und Texte in ihrer Stimmung und Aussage zu verstärken. Es ist reiner Zufall, dass es diesmal andere Instrumente geworden sind. Vielleicht machen wir mal ein Album mit Kuhglocken und Mistgabeln, wer weiß. Zangentod würden sich bestimmt darüber freuen.

Steynsberg: Wie lange hat es gedauert, die Songs für „La Mort“ zu schreiben und aufzunehmen?

Steynsberg: Wie im Booklet der CD vermerkt ist, haben wir praktisch ein Jahr daran gearbeitet. Natürlich waren wir nicht Tag und Nacht am Aufnehmen. Vom ersten Ton, den ich für dieses Album eingespielt habe, bis zum letzten Gesangspart, den Evangelion mir abgeliefert hat, sind 364 Tage vergangen. Verhältnismäßig ist es ziemlich schnell und problemlos über die Bühne gegangen. Songwriting kann man nicht erzwingen, und Ideen kommen, wann sie eben kommen wollen. Deshalb lasse ich mir immer mehr als genug Zeit dafür. Ich habe keine Deadlines, da ich für niemand anderen Musik mache. Ein Album ist fertig, wenn ich es als solches empfinde. Es kann durchaus auch sein, dass ein Tonträger über Jahre auf der Festplatte bleibt, obwohl er schon fast fertig aufgenommen wurde. Manchmal fehlt das gewisse „Etwas“. Darauf kann man wohl nur warten. Unsere (hoffentlich) nächste EP ist so ein Fall. Dafür haben wir die Schlagzeugspuren vor bald zwei Jahren im Studio aufgenommen. Alle anderen Instrumente sind auch bereits aufgenommen, aber die Texte wollen mir noch nicht gefallen. Also dauert es eben noch etwas.

Daniel: Seit 2018 ist Evangelion (von der Melodic Black-/Doom Metal-Band Evangelion) für die Clean Vocals bei Euch zuständig. Wie kam dieser Kontakt zustande? Und war er bereits im Songwriting involviert? Oder stieß er erst später hinzu?

Steynsberg: Er singt seit 2013 bei uns. Wir haben „La Mort“ zusammen geschrieben, und er hatte völlige Freiheit darin, den Gesang so aufzunehmen, wie es ihm gepasst hat. Einige Kommentare und Korrekturvorschläge musste er sich natürlich anhören, aber grundsätzlich betrachte ich seinen Beitrag als gewichtiger wie meinen. Ohne seinen Gesang hätten wir das Album nicht gemacht. Da wir beide im Engadin aufgewachsen sind, kenne ich ihn seit rund zwanzig Jahren. Wir hatten damals allerdings einen eher flüchtigen Kontakt. Als ich für „Indigen“ einen Romanisch sprechenden Sänger gesucht habe, kam mir sein Name als erstes in den Sinn. Ich kannte seine Band, und wie es der Zufall will, betrachte ich deren Album als das beste Bündner Metal-Album, das es gibt (so viele sind es allerdings nicht). Sein Gesang darauf ist gigantisch, also habe ich über gemeinsame Freunde seine Kontaktdaten aufgetrieben und ihn kontaktiert. Er war sofort begeistert, und seither haben wir einige Mal zusammengearbeitet. Nachdem wir Auric Records das Pianoalbum gezeigt haben, waren sie gleich Feuer und Flamme dafür, seine EP auch auf dem Label zu veröffentlichen.

Daniel: Wo habt Ihr aufgenommen? Und wer hat produziert?

Steynsberg: Wir haben uns selber aufgenommen und produziert. Gemischt und gemastert wurde das Ganze von unserem gemeinsamen Kollegen von Liquid Aether Audio.

Daniel: Ihr seid neuerdings bei Auric Records unter Vertrag. Wie kam dieser Kontakt zustande? Und warum seid Ihr bei BergStolz weggegangen, wo 2017 Euer letztes Album „Korona“ erschienen war?

Steynsberg: Wir haben keinen Vertrag; weder bei Auric noch bei BergStolz. Wir sind befreundet, und meine Freunde helfen mir dabei, meine Musik zu vertreiben.

Ein Album wie „La Mort“ passt meiner Meinung nach gut zu einem Label wir Auric Records. Da wir uns schon über fünfzehn Jahre kennen, war eine Zusammenarbeit mit Wacht fast schon überfällig. Auric Records haben ja früher bereits Tonträger von mir veröffentlicht, und es gab an der Zusammenarbeit nie etwas auszusetzen. Wir werden sehen, was in Zukunft daraus wird.

Daniel: Spielt Ihr eigentlich auch live? Oder handelt es sich bei Wacht um ein reines Studio-Projekt?

Steynsberg: Ist das eine ernsthafte Frage? Auf unserer Homepage sind zwei Duzend vergangene Konzerte aufgelistet. Es gibt sogar einen Menüpunkt „Live“. Hast Du Dich überhaupt mit Wacht auseinandergesetzt? Natürlich spielen wir Konzerte. Auf der Bühne zu stehen, ist für mich sehr wichtig.

Daniel: Lass uns mal kurz über die Black Metal-Szene in der Schweiz reden, die ja doch recht unbekannt ist. Klar gibt es große Bands wie Triptykon, Samael und Alastis, aber auch Underground Black Metal wie Eisenwinter oder Menegroth und Ambient Black Metal-Projekte wie Paysage D´Hiver, DarkSpace oder die aus Baden-Württemberg eingewanderten Vinterriket. Steht Ihr in Kontakt mit einigen dieser Bands und Projekte? Und welche Black Metal-Bands aus Eurem Land könntest Du uns ebenfalls empfehlen?

wacht Steynsberg:Da ich bei Menegroth gespielt habe, stand ich logischerweise ab und zu mit denen in Kontakt. Allerdings ist das nach der Bandauflösung auch etwas eingeschlafen. Wir sind alle älter geworden, und andere Menschen haben andere Prioritäten. Einige sind das geworden, was sie immer verabscheut haben, andere machen weiterhin Musik. Grundsätzlich kenne ich die meisten Leute, die im Schweizer Black Metal-Untergrund verkehren. Viele der aufgezählten Bands zähle ich aber nicht dazu. Ich bin auch nicht unbedingt ein Mensch, der auf Biegen und Brechen mit allen befreundet sein muss. Ich arbeite lieber für mich an meinen eigenen Sachen, und das scheint mir in der Schweiz eine verbreitete Arbeitsweise zu sein. Abgesehen von den zwei Pop-Bands in deiner Liste wäre ich der Meinung, dass alle mehr oder weniger unter sich bleiben. Sowas wie eine verschworene „Metal-Bruderschaft“ wollen nur Manowar-Fans und Vollidioten. Das brauche ich nicht. Grundsätzlich kann ich leider nicht allzu viel Positives über die Schweizer Black Metal-Szene berichten. Ich habe zu viele Egos durch die Decke gehen sehen und zu viele Eifersuchtsszenen erlebt. Die meisten Leute, die sich zum Schweizer Black Metal zählen, sind solche, die um jeden Preis Aufmerksamkeit erhalten wollen. Die Selfie-Kultur hat mittlerweile auch den Black Metal für sich eingenommen. Für mich ist das keine Kunst, sondern einfach unnötiges Geschleime/Gehabe. Es gibt leider nur wenige, die sich den Arsch aufreißen, um ohne Rücksicht auf Verluste ihre Visionen durchprügeln. Es geht immer um Geld, große Bühnen, mehr Likes, Akzeptanz, Machbarkeit und potentielle Auswirkungen auf seinen Ruf. Schade eigentlich. Aber vielleicht bin ich auch nur zu „verbittert wie verwittert“, denn ich scheiße auf solche Kriterien.

Daniel: Wie sehen Eure Zukunftspläne mit Wacht aus?

Steynsberg: Ich werde wohl weniger generische Interviews beantworten und mehr Zeit in Wichtiges, wie Musik, investieren. Damit kann ich meinen Herzinfarkt hoffentlich um ein paar Jahre nach hinten verschieben.

Daniel: Na gut, Steynsberg! Die letzten Worte gehören Dir!

Steynsberg: Viva la Grischa

S. – Januar 2020

http://indigen.ch/

https://wacht.bandcamp.com/



Autor: Daniel Müller