BLYH - Es gibt keine Band, der ich nacheifern würde!


Erst letztes Jahr wurde ich erstmal auf die deutsche Black Metal-Band mit dem mystischen Namen Blyh aufmerksam, als sie wie aus dem Nichts ihr tolles Debüt „Transparent To The World" auf die ahnungslose Menschheit losließen. Nur ein Jahr später folgte das ebenso geniale Zweitwerk „Awake To Emptiness" vor knapp einem halben Jahr. Dabei glänzt die Band sowohl mit frostiger Kälte als auch auch mit finsterer Atmosphäre, aber vor allem mit Eigenständigkeit, was in der heutigen Zeit ja leider eher Seltenheit hat. Ich kontaktierte Sänger und Bassist Murul, der ausführlich Rede und Antwort stand.

logoDaniel: HELL-ö Murul! Ich habe zum ersten Mal 2018 etwas von Blyh gehört. Wann genau kam es zur Gründung dieses Projektes?

Murul: Hi Daniel. Mit dem Gedanken an eine One Man-Black Metal-Band habe ich mich schon seit 2007 oder so beschäftigt. Ich hatte allerdings weder Ahnung, wie man Dinge aufnimmt, noch das nötige Vertrauen, dass das eine gute Idee sei. Es hat dann bis 2016 gedauert, dass Absorber und ich beschlossen haben, es einfach mal drauf ankommen zu lassen.

Daniel: Du warst für mich bis dahin ein unbeschriebenes Blatt in der Szene. Warst Du zuvor schon in anderen Bands aktiv?

Murul: Ende der Neunziger, Anfang der Zweitausender waren sowohl Absorber als auch ich parallel in der Hardcore- und Metalcore-Szene unterwegs und haben mit unseren damaligen Bands auch jeder ein paar Scheiben veröffentlicht. Wir hatten aber wenig Lust, dass Blyh als „die neue Band von XY” besprochen wird und hatten deshalb entschieden, dass wir uns als Personen bei Blyh vollständig raus nehmen. Wir haben uns Stage Names zugelegt und auch keine Fotos von uns veröffentlicht. So wollen wir es auch erst mal halten. Wer weiß, vielleicht ändert sich das noch.

Daniel: Wie spricht man Blyh eigentlich aus? Und was bedeutet der Name überhaupt?

Murul: Also ich spreche es „bleich” aus. Thematisch geht es ja bei mir oft um die Entfremdung der Menschen voneinander und die geringe Wechselwirkung, die wir als Individuen mit unserer Umgebung haben. Ich verwende da oft die Metapher „Geister”, um von Menschen zu sprechen. „Blyh” ist ein Kunstwort, das ich vom althochdeutschen Wort für „bleich“ = „blyk” abgeleitet habe. Ich finde, es bringt sehr gut zum Ausdruck, wofür ich textlich stehe.

Daniel: Das Logo sieht sehr abstrakt aus. Von wem stammt es? Und wie bist Du mit dem Künstler in Kontakt gekommen?

Murul: Das Logo stammt von einem italienischen Künstler, der sich View From The Coffin nennt. Der hat auch die Logos anderer Black Metal-Bands, wie etwa Ultha, Sun Worship oder unserer Freunde von Beltez gemacht. Wer Black Metal-Logos liebt, sollte sich unbedingt sein Portfolio ansehen. Der Mann ist der Wahnsinn. Aufmerksam geworden bin ich auf View From The Coffin durch unseren Cover-Maler Timon, der ihn mir empfohlen hat. Ich habe das Portfolio gesehen und wusste sofort: „Der muss das Blyh-Logo machen!”

blyhDaniel: So abstrakt wie das Logo, so abstrakt ist auch die Musik. Welche Bands haben Dich beim Schreiben der Songs beeinflusst?

Murul: Keine. Obwohl ich natürlich gern und viel Black Metal höre, gibt es keine Band, der ich nacheifern würde. In manchen Reviews werden wir schon mal mit anderen Bands verglichen… Aber ich muss dann meist erstmal googlen, was das für Bands sind und wie sie sich anhören. Meist höre ich dann aber keine Ähnlichkeiten raus. Du nennst es „abstrakt”, andere sagen dazu „vertrackt” oder sowas. Ich denke, es ist kennzeichnend für mein Songwriting, dass ich viele, viele musikalische Themen im Laufe eines Stücks durchwechsle. Mir fällt jetzt keine Band ein, die ich mag, die das ähnlich tut. Hinzu kommt, dass ich - wenn ich mich im Songwriting befinde - kaum irgendwelche Musik höre; manchmal über mehrere Monate hinweg. Ich höre dann nur die Demos von den Sachen, an denen ich gerade arbeite; immer und immer wieder… Deswegen fallen mir dauerhaft Sachen ein und auf, die ich ändern möchte. Das führt dann zu den recht abstrakten und schwer nachvollziehbaren Songstrukturen.

Daniel: Auf dem Debüt ist ein Coversong von Systral enthalten, die mir gänzlich unbekannt sind. Waren sie auch ein Einfluss? Oder war das nur eine Art Experiment? Der Track ist ja sehr viel kürzer als der ganze Rest…

Murul: Ich hatte Dir vorhin ja schon erzählt, dass ich früher in der Hardcore Szene unterwegs war. Ich hatte immer eine starke Affinität zur Bremer Szene und eben auch ein paar Shows mit Carol, Mörser oder Systral gespielt. Den Coversong selbst hatte ich eher nur als eine Fingerübung aufgenommen. Dass er dann am Ende auf Vinyl gelandet ist, hat eigentlich damit zu tun, dass wir den Coversong „Tigress” von Songs:Ohia, der auf der Demo-Kassette drauf ist, aus rechtlichen Gründen nicht veröffentlichen durften.

Daniel: Eure Songs sind immer recht lang. Ist es immer von vornherein geplant, dass die Songs eine bestimmte Länge erreichen müssen? Oder ergibt sich das von selbst?

Murul: Wenn ich Songs schreibe, dann absorbiert mich das vollständig. Ich höre dann wirklich lange Zeit auch keine andere Musik und beschäftige mich ziemlich intensiv mit dem, was ich da gerade mache. Nicht alles, was ich dabei schreibe, gefällt mir nach ein paar Durchläufen noch… Aber das, was mir gefällt, das will ich dann auch im Song unterbringen. Ansonsten finde ich persönlich jetzt zehn Minuten nicht sonderlich lang. Ich hören gern und intensiv klassische Musik, vor allem die Orchesterwerke des finnischen Komponisten Jean Sibelius - da ist ein Satz in einer Suite oder einer Symphonie problemlos mal zehn Minuten lang. Ich denke, das beeinflusst schon, wie ich über die Laufzeit meiner Songs denke. 

Daniel: Eure Texte sind ebenfalls sehr abstrakt. Worum geht es da genau? Und woher nimmst Du die Inspiration für die Texte?

Murul: Ganz ehrlich: Wenn ich genauer sagen könnte, worum es eigentlich geht, würde ich vermutlich auch anders schreiben. Stilistisch bin ich stark von der Lyrik des Deutschen Expressionismus aus der Zeit vor dem ersten Weltkrieg beeinflusst. Ich schätze hier vor allem die Gedichte von Georg Trakl. Er hat es wie kein Zweiter vermocht, mit sehr einfacher und klarer Sprache tiefe und seltsame Gedankenwelten zu erschaffen, die mich persönlich sehr stark berühren und Gefühle erzeugen, die weit über den Gehalt der Worte hinausgehen. In meinen Texten möchte ich gern ähnliches erreichen. Ich hoffe darauf, dass die Bilder, die ich erschaffe, in jedem eine ganz bestimmte Saite zum Schwingen bringen, die Gefühle von Wehmut, Trauer, Verlust und Schwere auslösen. 

blyhDaniel: Ich mag Eure stimmungsvollen Artworks sehr! Von wem stammen sie? Und wie seid Ihr auf den Künstler gestoßen?

Murul: Der Künstler ist Timon Kokott, der einige Cover in der Black Metal-Szene gemalt hat, unter anderem von Horn, aber auch von unseren Label-Kollegen Tongue oder Äera. Ich bin auf Timon gestoßen, weil ich auf Youtube durch Zufall mal ein Time Lapse-Video von ihm gesehen habe, wie er das „Turm am Hang”-Cover malte. Das ursprüngliche, schwarzweiße Artwork für das Demo zu „Transparent To The World” hatte ich ja selbst gemacht, aber als die Veröffentlichung auf Vinyl anstand, habe ich Timon gefragt, ob er sich vorstellen könnte, das Motiv noch einmal in Farbe zu malen. Von dem Ergebnis bin ich immer noch überwältigt. Deswegen war klar, dass ich für das zweite Album auch wieder mit Timon arbeiten möchte. Auch hier hatte ich im Vorfeld eine ziemlich klare Vision, wie es aussehen sollte, und am Ende ist es auch genauso rausgekommen. 

Daniel: Bei Bandcamp sind zwei Tonträger mit dem Titel „Transparent To The World“ erhältlich: ein Demo und ein Album, jeweils mit identischer Tracklist. Wurden die Songs für das Album tatsächlich noch einmal komplett neu eingespielt?

Murul: Na ja, ganz identisch sind die Versionen ja nicht. Die Tape-Version, also das Demo, enthält zumindest einmal noch die Coverversion „Tigress”. Eigentlich wollte ich ja das Demo 1:1 auf Vinyl pressen, aber ich habe mich dann bequatschen lassen, Teile neu aufzunehmen. Das Demo ist damals ziemlich von jetzt auf gleich in den Mix gegangen. Einige Gitarrenaufnahmen, die da zu hören sind noch 1st-Take aus den Songwriting-Sessions. Das habe ich fürs Vinyl dann nochmal neu aufgenommen. Andere Teile habe ich noch umgeschrieben, wo ich der Auffassung war, dass Tonalität und Harmonie daneben waren. Der Mix vom Demo, der übrigens von Gnarl von Graupel/Verdunkeln gemacht wurde, hat einen ganz anderen Charme als der Mix der Vinyl, den Mario von Liquid Aether Audio gemacht hat. Kurz: Es ist schon ein anderes Album als das Demo.

Daniel: Das Demo erschien 2017, das Debüt „Transparent To The World“ 2018 und das zweite Album „Awake To Emptiness“ schon 2019. Trügt der Schein, oder hattest Du bereits ganz viele Songs angesammelt, bevor Du Blyh ins Leben gerufen hattest? Oder geht das Songwriting tatsächlich – trotz Überlänge der Songs – immer recht schnell vonstatten?

Murul: Auf „Transparent To The World” sind tatsächlich ein paar Riffs, die zum Zeitpunkt der Aufnahme schon ihre acht Jahre alt waren, aber nicht viele. Zudem musste ich für die Vinyl-Version von „Transparent To The World” ja nicht noch einmal ins Songwriting gehen, sondern lediglich einige Spuren neu aufnehmen. Ich habe mit den Arbeiten an „Awake To Emptiness” schon im Frühjahr 2017 begonnen, als die Demo-Kassette für „Transparent To The World” noch im Mix war. Die Zeit fürs Songwriting hat nicht immer was mit der Laufzeit der Songs zu tun. Manchmal hänge ich Wochen an einem Übergang fest, manchmal ist auch keine Zeit, zu schreiben. An den zwei Songs „What a Man Can Bear… And Die Not“ habe ich alles in allem etwa sechs Monate geschrieben, wohingegen „Utica Crib“ in unter einem Monat im Kasten war.

blyhDaniel: Bei Metal Archives steht, dass Du zwar mit Absorber einen zweiten Gitarristen mit an Bord hast, aber ansonsten allein für Gesang und die komplette Instrumentierung verambist. Ist Blyh demnach Dein Soloprojekt oder eine richtige Band für Dich?

Murul: Als Soloprojekt habe ich Blyh nie gesehen. Obwohl ich natürlich schon einen gewaltigen Anteil der Kreativ-Arbeit alleine leiste, besteht da für mich gar keine Frage: Sobald noch jemand anderes einen kreativen Beitrag leistet, ist er Teil des Schaffensprozesses - und damit ist es kein Soloprojekt mehr. Meist beginnen wir damit, dass Absorber und ich nur Riffs schreiben und aufnehmen. Mit dem Material gehe ich dann meist allein in die Komposition. Wenn ich dann beispielsweise eine Harmonie zu einem Absorber-Riff schreibe, dann ist sein ursprüngliches Riff zu einem Bestandteil meines Schaffens geworden. Es gibt natürlich auch Songs, die ich alleine geschrieben habe - aber als Solo-Projekt würde ich Blyh nicht bezeichnen.

Daniel: Soweit ich weiß, spielst Du mit Blyh auch live. Greifst Du demnach auf Session-Musiker für die Auftritte zurück? Wer sind diese Session-Musiker? 

Murul: Ja, inzwischen spielen wir auch live. Die Gelegenheit dazu hat sich überhaupt erst dadurch ergeben, dass ich die passenden Mitmusiker dafür gefunden habe. Insbesondere Schlagzeuger, die zuverlässig 200bpm runterprügeln, findet man nicht so ganz problemlos. Auch muss man erst mal einen Gitarristen finden, der Lust hat, sich die zwanzigtausend Parts und Melodien drauf zu schaffen. Ich bin ziemlich froh, dass ich mit Entreri (Schlagzeug) und Ánarr (Gitarre) zwei Jungs aus unserem direkten Freundeskreis begeistern konnte, mitzumachen.

Daniel: Könntest Du Dir vorstellen, dass aus dieser Besetzung mal eine richtige Band entsteht, mit der Du demnächst auch ins Studio gehen würdest?

Murul: Die Frage war nach dem ersten gemeinsamen Auftritt eigentlich nur noch eine Formalität. Ohne Ánarr wären wir ohnehin inzwischen alle verloren - der Mann kennt die Songs besser als ich. Welche Auswirkungen das auf Songwriting oder die Studioarbeit hat, wird sich zeigen. Obwohl im Augenblick bei mir privat ziemlich viel los ist, habe ich vor kurzem das Material für eine EP geschrieben, die hoffentlich im Frühjahr 2020 erscheint und bei der auch Ánarr bei einem Song mitgewirkt hat. Das Ganze wird Ende des Jahres noch von Entreri eingetrommelt. Das heißt: Klassische Studio-Sessions gibt es bei uns immer noch nicht, aber die beiden sind bereits voll involviert.

Daniel: Die Musik von Blyh ist sehr düster und atmosphärisch. Kann man diese Stimmung live überhaupt adäquat rüberbringen?

Murul: Dieses Urteil überlasse ich dem Publikum… Live können wir manche Passagen, bei denen auf Platte beispielsweise drei- oder vierstimmige Gitarrenmelodien zu hören sind, natürlich so nicht spielen. Ich musste die Songs für Live also zum Teil neu arrangieren. Ich glaube aber, sie funktionieren immer noch ganz gut. Wir sind dadurch live viel roher und nicht ganz so verspielt.

Daniel: Eure beiden Alben sind – neben der herkömmlichen CD – auch auf Vinyl, das  neue Album sogar auf Kassette erschienen. Wie wichtig ist es Dir, diese alten Kultformate am Leben zu erhalten? Und was hältst Du – im Gegensatz dazu – von den modernen Formaten wie MP3, Downloads und Streamings? Ist es für einen Musiker nicht viel schöner, einen richtigen Tonträger in den Händen zu halten, anstatt nur irgendwo leblose Dateien auf dem Rechner hochzuladen?

Murul: Digitale Medien ermöglichen natürlich eine schnelle Verbreitung von Musik - und ich will da ganz ehrlich sein: ohne Bandcamp und YouTube wüsste wahrscheinlich heute noch niemand, was wir so für Musik machen. Das ist schon ein Segen. Auf der anderen Seite ist natürlich eine Kassette oder eine Platte immer noch was ganz anderes. Ich persönlich bevorzuge Tapes und Vinyl. Ich bin kein so großer Freund von CDs.

blyhDaniel: Wie bist Du mit Eurem Label The Crawling Chaos Records aus Köln in Kontakt gekommen?

Murul: Offengestanden: Ich bin The Crawling Chaos so lange auf den Sack gegangen, bis sie uns gesigned haben. Die Suche nach einem Label war frustrierend. Die meisten wollten sich das Demo noch nicht mal anhören… Am Ende war es D. K. von Beltez, der The Crawling Chaos Records dazu gedrängt hat, „Transparent To The World“ einfach mal anzuhören.

Daniel: Was steht in Zukunft noch bei BLYH an? Wird man auch weiterhin alljährlich mit einem neuen Tonträger rechnen können?

Murul: Das kann ich nicht versprechen, aber ich arbeite gegenwärtig an neuem Material. Wie schon gesagt: Unsere EP „L'appel Du Vide"  ist fast fertig und kommt vermutlich Anfang des kommenden Jahres als Split mit Ius Talionis auf The Crawling Chaos Records raus.

Daniel: Na gut, Murul! Du bist von dem Marathon erlöst, haha! Dir gebührt noch das Schlusswort!

Murul: Oh, ein Schlusswort… Da fällt mir nur ein: Geht mehr auf Konzerte!

http://www.blyh.de/

https://www.facebook.com/blyhblackmetal

https://blyh.bandcamp.com/



Autor: Daniel Müller