ADRAMELCH - Gott, das Böse, der König und der Underground


Es ist mir eine Ehre, ein Interview mit den mächtigen Adramelch zu führen. Ihr legendäre Debüt „Irae Melanox“ von 1988 liebe ich schon locker seit über zehn Jahren. Live durfte ich sie auch zwei Mal sehen, was wirklich großartig war. Das neue Album „Lights From Oblivion“ wurde aber längst nicht so episch und progressiv wie seine Vorgänger. Dennoch wollte ich die Chance nutzen und gemeinsam mit Sänger Vittorio Ballerio die gesamte Bandgeschichte von hinten aufrollen. Viel Spaß!

ADRAMELCH logo INTI 2012Daniel: Hallo Vittorio! Lass uns zunächst einmal mit Eurem neuen Album “Lights From Oblivion” beginnen, OK? Das Album ist sehr viel eingängiger und weniger progressiv ausgefallen als seine beiden Vorgänger. Woran liegt das? War das von Anfang an so geplant?

Vittorio: Oh, das ist in der Tat ein sehr interessanter Aspekt! Wir waren nämlich total überzeugt, ein sehr progressives Werk abgeliefert zu haben. Du bist anscheinend anderer Meinung, was wohl an den kürzeren Songs und an den eingängigen Refrains. Und da muss ich Dir sogar Recht geben. Die progressive Seite haben wir aber auch noch beibehalten durch weniger Gitarrenverzerrung und die Melodieführung. Das Schöne an progressiver Musik ist aber, dass ein Konzept nicht immer nur auf einer einzelnen Meinung basiert. Was aber Deine Frage an sich angeht: Nein, es war nicht von vornherein so geplant! Uns war es nur wichtig, Musik aus Leidenschaft ohne kommerzielle Hintergedanken zu kreieren. Uns war es nie wichtig, cool genug für die Masse zu sein!

Daniel: Haben sich Eure musikalischen Einflüsse in all den Jahren so drastisch geändert? Das alte Zeug war ja viel epischer und hat mich z. B. sehr an Warlord erinnert. Auf dem neuen Album ist das überhaupt nicht so…

Vittorio: Oh ja, natürlich haben sich unsere Einflüsse in den letzten 25 Jahren sehr verändert. Das ist doch ganz normal. In den 80ern habe ich sehr viel Mainstream Metal wie Judas Priest, Iron Maiden, Motörhead und Black Sabbath gehört; aber auch solche Sachen wie Rush! In den letzten 25 Jahren habe ich sehr viel neue Musik für mich entdeckt: alten und neuen Progressive Rock, Jazz Rock, Europäischen Jazz im Allgemeinen, Ethnic usw. Aber natürlich auch noch viele Metalbands. Was unseren Hauptsongwriter Gianluca angeht: Er steht hauptsächlich auf Klassik und Barock, liebt aber auch Progressive und neuen Rock. Neuerdings steht er z. B. voll auf Mastodon.

Daniel: Warum sind denn seit Eurem zweiten Album “Broken History” bis heute überhaupt sieben lange Jahre ins Land gestrichen?

Vittorio: Ja, es hat wirklich sehr lange gedauert. Und das tut uns auch echt leid… Da gab es natürlich mehrere Gründe für. Wir haben z. B. monatelang an den Songs gefeilt, bis wir endlich hundertprozentig damit zufrieden waren. Ich glaube, dass wir das deswegen gemacht haben, weil sich „Lights From Oblivion“ für uns wie unser Debütalbum anfühlte. Dies ist die erste richtige Veröffentlichung der zweiten Adramelch-Besetzung. Denn auf „Broken History“ haben noch viele Ideen aus den späten 80ern verwurstet, die Anfang 2005 extra neu arrangiert und dann erst aufgenommen wurden. „Lights From Oblivion” die allererste CD, die auch komplett von der Band produziert wurde.

Daniel: Was habt Ihr eigentlich zwischen “Irae Melanox” (1988) und “Broken History (2005) so getrieben? Gab es die Band da überhaupt noch? Oder wart Ihr einfach nur faul? :-)

Vittorio: Haha! Ja, einige von uns sind tatsächlich ziemlich faul! Aber nicht allzu sehr. Die Band haben wir direkt nach der Veröffentlichung von “Irae Melanox” aufgelöst, weil es speziell zwischen Gianluca und mir einige Spannungen gab. Ausgerechnet zwischen den beiden, die die Band dann 2003 wieder reformiert haben. Komisch, oder? In den 15 Jahren dazwischen haben Gianluca und ich immer mal wieder versucht, gemeinsam etwas auf die Beine zu stellen. Es war ganz andere Musik, funktionierte aber auch nicht wirklich. 2003 haben wir dann mit Franco weiter gemacht, den wir aber Anfang 2004 wieder vor die Tür setzten. Möglicherweise war das im Nachhinein ein Fehler…

Daniel: Nach den Veröffentlichungen Eurer letzten beiden Alben habt Ihr jeweils auf dem Keep It True gespielt. 2005 habe ich Euch da sogar morgens auf dem Campingplatz getroffen. Wie waren denn Eure Eindrücke von den Metalfans hier in Deutschland??

Vittorio: Früh morgens? Bist Du sicher, dass wir das waren? Haha, ich mache nur Spaß! Die Frage gefällt mir. Ich danke den deutschen Fans jedes Mal, wenn ich dort bin, weil ihr uns immer sehr herzlich empfangen habt. Das erste Mal haben wir 2004 in Deutschland auf dem Headbangers Open Air gespielt. Das war unglaublich! Adramelch waren so lange von der Bildfläche verschwunden. Wir hätten eine solche Reaktion niemals erwartet! Ich werde auch nie vergessen, dass ich dort ein Mädel kennenlernte, dass mir erzählte, dass sie extra 900 km gefahren ist, nur um uns zu sehen! Das klang zu schön, um wahr zu sein, stimmte aber tatsächlich. Dieses Jahr auf dem Keep It True habe ich sie sogar wiedergesehen. In unserem Land besteht solch ein großes Interesse, aber für Konzerte leider nicht. Die Unterstützung des Underground und den Willen, neue Undergroundbands für sich zu entdecken, gibt es bei uns einfach nicht… Leider!

Daniel: Ihr habt hier bislang nur auf Festivals gespielt. Wäre es nicht schön, mal hier in Deutschland zu touren; vielleicht auch im Vorprogramm einer etwas bekannteren Band? Ist da irgend etwas in der Richtung geplant?

Vittorio: Na klar wäre das toll! Aber leider ist da im Moment nichts geplant. Es gibt aber in Deutschland geile Progressive Metalbands, die ich gerne mal sehen würde, vor allem Sieges Even und Sylvan. Das sind großartige Musiker, die tolle Musik machen! Mit diesen Bands zusammen einmal bei euch zu spielen, wäre natürlich geil!

Daniel: Du bist, soweit ich weiß, das einzige permanente Mitglied bei Adramelch. War es für Dich klar, dass Du immer nur unter dem Namen Adramelch weitermachen würdest? Und wenn ja: Warum?

Vittorio: Das stand nie zur Debatte, weil Gianluca immer der Hauptsongwriter und ich immer der Sänger bei uns war. Die wichtigsten Bestandteile waren also immer in der Band.

ADRAMELCH band1 INTI 2012Daniel: Was bedeutet der Name Adramelch eigentlich?

Vittorio: Adramelch wird in der Torah und in der Bibel als ein Dämon erwähnt. Später war es der Name einer phönizischen Gottheit, aber auch der Name eines Königs. Der Hauptgrund für diesen Namen liegt wahrscheinlich in der Vielzahl seiner Bedeutungen bedingt durch verschieden Zeitalter und Kulturen. Der wahre Ursprung liegt aber bei den Alten Hebräern und wurde aus den Worten „Ad“ (einem der Namen Gottes), „Ra“ (dem Bösen) und „Melch“ (König) zusammengesetzt. Mögliche Kombinationen geben noch mehr Freiraum für weitere Interpretationen! 

Daniel: Soweit ich weiß, hast Du immer nur gesungen. Ich stelle es mir ziemlich schwierig vor, anderen Musikern zu sagen, was sie spielen sollen. Oder spielst Du auch ein Instrument?

Vittorio: Gianluca war auch immer dabei. Von daher gab es da nie Probleme. Ich spiele aber auch ein bisschen Bass und habe da auch Spaß dran!

Daniel: Lass uns mal tief in Eurer Vergangenheit wühlen, OK? Euer Debütalbum „Irae Melanox“ ist ein absoluter Klassiker! Es gab aber, bis auf einige teure Bootlegs, lange keine reguläre CD-Version. Und die originale LP war immer sauteuer! Wie seid Ihr den damals mit dem Label Metal Master Records in Kontakt gekommen? War das überhaupt ein richtiges Label? Und wie viele LP wurden damals davon gepresst?

Vittorio: Viele Versionen, die im Umlauf waren, waren ein Mysterium. Die bekannteste Version hatte eine Auflage von 3000 Exemplaren. Aber die meisten haben sich nicht verkauft und wurden wieder eingestampft! Ja, Metal Master war ein richtiges, wenn auch sehr kleines Label. Sie waren ein Unterlabel einer etwas größeren Firma, die viel kommerzielles Zeug rausgebracht hat. Seitdem waren sehr viele Bootleg-Versionen von „Irae Melanox“ im Umlauf, alle mit sehr schlechter Sound- und Bildqualität. Wie Du wahrscheinlich weißt, gibt es mittlerweile eine richtig gute, hochwertige Version von Underground Symphony als Doppel-CD mit vielen Bonustracks und sogar der Demoversion des Albums. Da war z. B. auch eine komplett andere Version von “Was Called Empire” drauf; ebenso wie einige unveröffentlichte Instrumentalstücke aus den 80ern und sogar die allererste Ballade von uns, die wir 2010 neu arrangiert und aufgenommen haben. Und um noch einmal kurz zu der langen Wartezeit von „Lights From Oblivion“ zurückzukommen: Diese Wiederveröffentlichung hat auch einiges dazu beigetragen. Es war nicht unbedingt nur das Songwriting und die Aufnahme, sondern vor allem auch das Wiedererwerben der Rechte an den Songs und das Artwork für “Irae Melanox”. 

Daniel: Besitzt Du überhaupt Eure rare Original-LP?

Vittorio: Haha, ja! Jedes Bandmitglied hat tatsächlich eine in seinem Regal stehen.

Daniel: “Irae Melanox” war totaler Underground und hatte eine sehr demomäßige Produktion. Ist das etwas, was Dich heute stört? Oder warst Du immer zufrieden mit der LP, so wie sie letztendlich erschienen ist?

Vittorio: Ich finde eigentlich den Gitarrensound am schlimmsten. Aber das lag nicht an uns, sondern an den Umständen und dem geringen Budget. Italienische Studios waren damals nicht besonders gut. Und es wusste auch niemand, wie man eine Metalplatte vernünftig produziert. Aber die Fans lieben das Album so, wie es ist. Wir werden es deshalb auch niemals mit einem moderneren Sound neu aufnehmen oder so, weil dieser dünne Sound halt das Album ausgemacht hat!

Daniel: Bevor Du bei Adramelch eingestiegen bist, hast Du bei einer Band namens Anathema gesungen, die 1989 nur ein einziges Demo (“Salem Lunacy”) aufgenommen hat. Der heutige Adramelch-Gitarrist Fabio Troiani hat dort auch gespielt.  Warum habt Ihr Euch denn nach nur einem Demo schon wieder aufgelöst?

Vittorio: Da muss ich Dich berichtigen: Das war nicht vorher, sondern etwas später. Fabio kannte uns schon, da er das Demo im Metal-Radio gehört hatte. Ich war übrigens nie fester Sänger in der Band!  Sie nahmen gerade ein Demo auf und hatten keinen Sänger zu der Zeit. Ich hatte ihnen dann angeboten, das Demo als Gastsänger einzusingen. Und ich denke, dass das für beide Seiten eine interessante Erfahrung war.

Daniel: Wie Du wahrscheinlich weißt, sind deutsche Metalfans sehr fanatische Sammler. Werden wir jemals die Chance bekommen, das alte Anathema-Demo und die Adramelch-Demos als CD oder LP ins Regal stellen zu können? Das wäre echt geil!

Vittorio: Also, soweit ich weiß, gibt es da tatsächlich einen Verrückten, der dieses Projekt eines Tages in Angriff nehmen will. Ich hoffe, dass das Demo eines Tages offiziell auf CD erscheinen wird!

Daniel: Fabio Troiani stieß erst vor dem zweiten Album “Broken History” zu Adramelch, soweit ich weiß. Auf dem Debüt hat er, glaube ich, nicht gespielt. Bist Du denn all die Jahre immer mit ihm in Kontakt gewesen?

Vitorio: Oh nein, ganz und gar nicht! Nach Anathema habe ich Fabio gefragt, ob er bei der Progressive Metalband Enter einsteigen wollte, die gerade einen Gitarristen suchten. Ich hatte dort eine Weile gesungen, während Franco Avalli, der auch mal bei Adramelch war, und dort Bass spielte. Die Band hat dann aber ohne mich weiter gemacht. Und ich habe Fabio von 1990 bis 2004 überhaupt nicht mehr gesehen, bis es dann zur Reunion der Band kam. Ich rief ihn an und fragte ihn, ob er wieder bei Adramelch einsteigen wollte, und er hat zugesagt!

ADRAMELCH band2 INTI 2012Daniel: Lass uns einmal kurz über die italienische Metalszene sprechen, OK? Ich kenne von dort eigentlich nur okkulte Bands wie Death SS und Mortuary Drape oder Symphonic Speed Metalbands wie Rhapsody Of Fire, Skylark, Labyrinth und Pandaemonium. Seid Ihr mit anderen Italienischen Bands in Kontakt? Unterstützt Ihr Euch gegenseitig? Gibt es bei Euch so etwas wie einen Zusammenhalt in der Szene?

Vittorio: Ja, mit einigen sind wir schon in Kontakt. Allerdings ist der Zusammenhalt hier sehr schlecht. Hier unterstützt leider kaum eine Band die andere…

Daniel: Was hältst Du eigentlich von diesen ganzen kitschigen, symphonischen „Happy Metal“-Combos aus Eurem Land? Und woran liegt das, dass es bei Euch so viele davon gibt?

Vittorio: Häufig sind das wirklich tolle Musiker und Sänger, so wie Roberto Tiranti zum Beispiel. Aber ich mag diese Musik auch nicht so besonders. Jemand aus Deutschland hat uns einmal als die Vorreiter für diese Szene bezeichnet. Ich kann dem aber nicht zustimmen, um ehrlich zu sein! Das einzige, was wir mit diesen Bands gemeinsam haben, ist das Herkunftsland!

Daniel: Gibt es den Bands aus Eurem Land, die Du uns empfehlen kannst?

Vittorio: Na klar! Dark Quarterer fallen mir spontan ein. Sie spielen Epic Metal und haben viel Anerkennung hier in Italien. Dann Helreid, eine sehr talentierte Progressive Metalband. Unsere Freunde von Holy Martyr, die von Sardinien nach Rom gezogen sind und sich heute mit uns den Proberaum teilen! Und natürlich Doomsword. Aber die kennst Du wahrscheinlich schon. Eine weitere Band, die nicht so bekannt ist, ist Fury ‚N’ Grace, eine unheimlich powervolle Band.

Daniel: Wie sehen Eure Zukunftspläne mit Adramelch aus? Wird es noch weitere Alben geben? Und werden wir schon wieder so lange darauf warten müssen?

Vittorio: Haha, das will ich nicht hoffen, mein Freund! Weißt Du, als wir an „Lights From Oblivion“ gearbeitet haben, kamen uns schon wieder neue Ideen. Wir haben schon wieder sechs neue Songs komplett im Kasten und hoffen, dass alles in Zukunft etwas schneller geht. Wir haben aber auch noch andere Verpflichtungen wie Jobs und unsere Familien.

Daniel: OK, Vittorio! Die letzten Worte gehören Dir!

Vittorio: Es gibt eigentlich nichts mehr hinzuzufügen! Wir können es nicht erwarten, wieder nach Deutschland zu kommen! Dieses Mal werden wir dann auch Sachen von unserem neuen Album spielen. Danke für Dein Interesse an unserer Musik! Ich hoffe, wir sehen uns bald mal wieder!

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Autor: Daniel Müller