MELVINS, SHITKID

Köln, Gebäude 9, 17.10.2018

melvins - live - 2018-1Ich bin schon auf sehr vielen Konzerten gewesen und habe eigentlich schon alles gesehen, was ich sehen wollte. Doch es gibt auch immer noch Konzerte, auf die man sich richtig freut und gar nicht weiß, was einen erwartet. So auch im Falle der Melvins, die ich seit 1993 geil finde, aber noch nie gesehen hatte. Ich kann mich lediglich an Einzelgigs in Berlin oder Hamburg erinnern, aber nie an eine richtige Deutschland-Tournee. Da nehme ich dann auch mal 70 Minuten Fahrt mitten in der Woche auf, auch wenn am nächsten Tag um 5 Uhr wieder der Wecker klingelt, weil man arbeiten muss. Einen Parkplatz gibt es an der Location nicht, die direkt an einer Hauptstraße liegt. Ich wähle also den Supermarkt-Parkplatz schräg gegenüber, der nur eine Stunde mit Parkuhr erlaubt. Das Konzert dauert natürlich  länger. Ein Knöllchen gibt es für mich an diesem Abend aber nicht. Scheißegal! Dafür wird das Konzert aber richtig geil! 

shitkid - live - 2018Beim Betreten des Schuppens bin ich erstmal geflasht: eine runtergekommene Punk-Kaschemme, und der DJ legt kultig noch mit Vinyl auf! Dann betritt die Vorband die Bühne im recht großen Innenraum. Wer die chaotischen, experimentellen Melvins-Alben kennt, die zwischendurch immer mal erschienen waren, der hat eh Nerven wie Drahtseile und ist auf alles gefasst. Shitkid aus Schweden sind Support. Und das ist ganz schön abgedreht! Die Band besteht aus zwei Mädels: einer schlanken Dunkelhaarigen mit einer Gitarre, die sie kaum spielt, sich dabei auch noch wenig bewegt und Leadsängerin ist, und einer Rothaarigen, die einen übersteuerten Bass spielt und ständig in Bewegung ist. Unterschiedlicher könnten die zwei Charaktere kaum sein! Das Schlagzeug kommt von einem mittig postierten, unbemannten (bzw. unbefrauten) Keyboard vorne in der Mitte, das immer zu Beginn und am Ende eines Songs von beiden bedient wird. Das Schlagzeug von Melvins-Drummer Dale Crover ist bereits aufgebaut, wird von den Schwedinnen aber nicht benutzt. Aber Shitkid brauchen als Duo eh nicht viel Platz auf der Bühne. Beide Mädels haben jeweils ein Mikrofon auf Augenhöhe und eines viel weiter unten. Dort wird hin und wieder auf Knien gesungen. Die Musik ist eine eigenartige, basslastige Mischung aus Björk und Indie, mit monotonem und schrägem Gesang, aber ganz viel Groove. Ein Blick durch die Menge der schon sehr gut gefüllten Halle zeigt aber, dass Shitkid hier überraschenderweise echt gut ankommen! 

Setlist: Oh Me I´m Never, All My Fears, Sugar Town, Alright, Oh Please Be A Cocky Cool Kid, Yooouuu, Spring Theory

melvins - live - 2018-2Dann ist endlich der Headliner am Zug! Man darf auf die Setlist gespannt sein! Schließlich spielen die Melvins leider nur sehr selten in Deutschland, und sie haben auch gleich zwei neue Bassisten mit an Bord! Würden sie demnach den Schwerpunkt auf die neue Scheibe legen? Oder jede Menge Klassiker spielen? Oder gar mit experimentellen Soundcollagen nerven? Ich habe keine Ahnung, da ich sie ja noch nie zuvor gesehen hatte. Zu meiner großen Überraschung gibt es überhaupt keinen Fokus auf ein bestimmtes Album, sondern einen Querschnitt aus allen möglichen hörbaren Alben, soll heißen, dass die Melvins hier auf die experimentellen, anstregenden Sachen verzichten. Sie sehen schon freakig aus! Neuzugang Jeff Pinkus (ex-Butthole Surfers) sieht aus wie ein Althippie mit seinem weißen Vollbart und dem Stirnband. Gitarrist und Sänger King Buzzo erinnert etwas an Messiah Marcolin (ex-Candlemass-Sänger), allerdings mit weißer Sturmfrisur. Er trägt ein orientalisch verziertes Gewand, verzieht keine Miene, macht auch keine Ansagen und post stets gebeugt. Der zweite Bassist, Steven McDonald, trägt eine Art Schlafanzug mit Horrorpunk-Motiven, auf dem Schädel und Grabsteine wie Kinderzeichnungen zu sehen sind. Er hampelt ständig rum, zieht Grimassen und hat sichtlich seinen Spaß. Lediglich Schlagzeuger Dale Crover hinten am Schlagzeug sieht normal aus. Das Set beginnt mit Sesame Street Meat" von 2014er Album Hold It In". Mit At A Crawl" folgt direkt schon ein alter Klassiker vom 1989 erschienenen zweiten Album Ozma". Mit The Kicking Machine" von Nude With Boots" (2008) legen die Melvins mit einem meiner persönlichen Favoriten nach. Es folgen Coversongs von David Bowie (Saviour Machine"), Redd Kross, der anderen Band von Bassist Steven McDonald (What They Say"), James Gang (Stop"), den Butthole Surfers, der Ex-Band des anderen Bassisten Pinkus (Moving To Florida" vom neuen Album "Pinkus Abortion Technician") und den Rolling Stones (Sway"). Dazwischen gibt es das geile Melvins-Stück Anaconda" (vom dritten Album Bullhead", 1991) und das noch recht neue Edgar The Elephant" vom vorletzten Album A Walk With Love & Death" von 2017. Nach "Let It All Be" vom eher unbekannten "The Bootlicker" (1999) kommt in der Mitte des Sets mein Lieblingssong von meinem Lieblings-Album der Band: Honey Bucket" vom legendären Houdini"-Meisterwerk aus dem Jahr 1993 mit seinen wirren, schnellen Tomläufen. Und das sieht die Meute anscheinend ganz genauso, denn auf einmal bricht der Pogo los. Dabei geht es aber respektvoll zu! Keiner wird blöd angerempelt, und selbst auf die Rollstuhlfahrerin in der ersten Reihe vorne rechts wird liebevoll Rücksicht genommen! Hut ab! Gerne hätte ich noch „Hooch" von dem Album gehört. Aber ebenfalls aus der Mitte der Neunziger folgt The Bit" vom ebenfalls sehr geilen Stag"-Album (1996) mit seinem orientalischen Intro. Auch hier geht es richtig ab! Don´t Forget To Breathe" ist heute erst der zweite (und letzte heutige) Track des neuen Albums Pinkus Abortion Technician", "Onions Make The Milk Taste Bad" der zweite (und ebenfalls heute letzte) von Hold It In"; die einzigen beiden Alben, die heute zweimal zum Zuge kommen. Dann folgt ebenfalls noch einer meiner absoluten Favoriten: The Talking Horse", der Opener ihres genialen 2006er Albums (A) Senile Animal". Zweimal hintereinander, aber im selben Part fast an derselben Stelle, verliert Dale Crover seinen Drumstick und muss improvisieren, was bei den zahlreichen Breaks in der Musik der Melvins aber kaum jemandem aufgefallen sein dürfte. Evil New War God" stammt dann von The Bride Screamed Murder" (2010). Eye Flys", der Opener des 1987 erschienenen Debüt-Albums Gluey Porch Treatments", beendet das reguläre Set. Für die Zugabe Rebel Girl", einem mir völlig unbekannten Cover einer Band namens Bikini Kill, welches auf keinem Melvins-Album, sondern lediglich auf einer 7"-Single aus dem Jahr 2015 zu finden ist, kommen die zwei Mädels von Shitkid noch einmal auf die Bühne. Hier übernimmt die dunkelhaarige Frontfrau Åsa Söderqvist den Leadgesang, die am Ende auch noch umkippt. Sie ist sichtlich angetrunken und singt hier viel höher als sonst, was mir persönlich jedoch tatsächlich auch besser gefällt, haha! Die Bands verlassen die Bühne. Lediglich Melvins-Drumgott Dale Crover kommt noch einmal nach vorne bedankt sich beim Publikum und singt zum Abschluss So Long, Farewell" acapella, bevor das Licht angeht und die Musik vom Band ertönt. Um 22:30 Uhr ist sehr pünktlich Schluss, was mir aber sehr wohlgesonnen ist, da ich ja noch 70 Minuten zurückfahren und morgen wieder arbeiten muss. Die Melvins walzen mit ihrem basslastigen, druckvollen Sound alles nieder, haben eine Menge Spielfreude und sind ständig in Bewegung. Es macht einfach Spaß, ihnen beim Zocken zuzusehen! Positiv erwähnen möchte ich übrigens noch, dass das Publikum toll war; wie in den Neunzigern, soll heißen: mit rücksichtsvollem Pogo und gänzlich ohne Handys! Eine völlig abgefahrene Zeitreise! 

Setlist: Sesame Street Meat, At A Crawl, The Kicking Machine, Saviour Machine (David Bowie-Cover), What They Say (Redd Kross-Cover), Anaconda, Stop (James Gang-Cover), Moving To Florida (Butthole Surfers-Cover), Edgar The Elephant, Sway (The Rolling Stones-Cover), Let It All Be, Honey Bucket, The Bit, Don´t Forget To Breathe, Onions Make The Milk Taste Bad, The Talking Horse, Evil New War God, Eye Flys, Rebel Girl (Bikini Kill-Cover), So Long Farewell

 



Autor: Daniel Müller - Pics: Daniel Müller