URIAH HEEP - Wir sehen kein Ende!


Als ich gefragt wurde, ob ich Lust hätte, Uriah Heep in Köln zu interviewen, da musste ich nicht zweimal überlegen. Sie gehören zu den absolut herausragenden Pionieren der harten Rockmusik. In ihrer langen, ehrwürdigen Karriere haben sie sich niemals aufgelöst und sich immer wieder neu erfunden. Mit dem brandneuen Album „Living The Dream” schlägt die Band nun ein weiteres Kapitel ihrer Erfolgsstory auf. Gitarrist und Gründungsmitglied Mick Box sowie sein langjähriger Keyboarder Phil Lanzon beantworteten trotz zweitägigem Interview-Marathon bestens gelaunt meine Fragen. Dafür nahmen sie sich sogar deutlich mehr Zeit als ursprünglich anberaumt war.

logoDirk: Hallo Mick, hallo Phil. Ich freue mich, dass ich mit Euch dieses Interview machen darf. Ihr habt ein hervorragendes neues Album veröffentlicht. Wurden die Songs von Euch beiden alleine komponiert oder waren auch noch andere Mitglieder der Band am Songwriting beteiligt?

Mick: Wir haben 95 % der Songs geschrieben. „Grazed By Heaven" wurde von unserem Bassisten Davey Rimmer in Zusammenarbeit mit Jeff Scott Soto geschrieben. Die Lyrics von „Goodbye To Innocence" hat unser Sänger Bernie Shaw verfasst. Der Rest stammt von uns.

Dirk: Wie macht Ihr das eigentlich mit den Gesangsmelodien? Habt Ihr beim Komponieren dann immer Bernies Stimme im Hinterkopf?

Phil: Wir kennen seine Art zu singen sehr genau und wissen, welche Wörter er gerne singt und welche Wörter er nicht so gerne singt. Es ist sehr wichtig für einen Sänger, ein Gefühl für das Lied zu bekommen. Deswegen achten wir bei den Arrangements schon sehr darauf, dass es auch gut für ihn passt. Bei den Melodien ist Bernie sehr vielfältig und er hat mit allem, was wir ihm vorlegen, keinerlei Probleme.

Mick: Wir schreiben grundsätzlich für ihn und er findet auch immer den richtigen Schlüssel zum Song.

Dirk: Uriah Heep war stets eine Band, wo sich das Bandlogo von Zeit zu Zeit mal geändert hat. Auch dieses Mal bekommen wir ein neues Logo präsentiert.

Mick: Wir mochten das vorherige Logo auch, aber es war mal wieder Zeit für etwas Neues. Ich weiß, andere Bands behalten ihres für immer, aber wir mögen von Zeit zu Zeit mal etwas Erfrischendes.

Phil: Wir sind nicht wie Kiss, die ihr Logo nie verändern. Wir haben auch kein spezielles Markenzeichen wie beispielsweise die Zunge von den Rolling Stones. Wir setzen da eher auf Abwechslung.

Dirk: Ist das neue Album denn genauso geworden, wie ihr es ursprünglich im Kopf hattet oder haben sich Songs während der Aufnahme noch verändert?

Phil: Wir präsentieren unsere Ideen den anderen Jungs aus der Band und dann kann es schon noch kleinere Veränderungen in der jeweiligen Komposition geben. Jeder bringt seinen Teil ein. Es muss für jeden von uns passen. Selbst im Studio wird noch an Feinheiten gearbeitet. Das ist völlig normal und auch gut so. Diese Arbeitsweise benötigen wir einfach und sie ist förderlich für uns. Aber das Grundgerüst eines Songs bleibt im Grunde genommen immer erhalten.

Dirk: Ihr habt dieses Mal nur neunzehn Tage für die Aufnahme im Studio verbracht. Ging das in der Vergangenheit auch immer so schnell vonstatten?

Mick: Ja. Wir arbeiten und funktionieren als Band im Studio. Wenn jemand beispielsweise drei Monate für seinen Drum-Sound benötigen würde, dann verlieren wir gemeinsam das Gefühl und die Emotionen für den Song.

Dirk: Ich stimme dir zu. Aber ich glaube Def Leppard würden das so bestimmt nicht unterschreiben.

Mick: Richtig. Aber das ist ihr eigener Weg, wie sie mit einem Song umgehen. Sie könnten vermutlich gar nicht anders erfolgreich arbeiten. Für uns käme diese Vorgehensweise jedoch nicht in Frage.

Dirk: Dann lasst uns jetzt mal über ein paar neue Songs sprechen: Mit „Grazed By Heaven" habt Ihr einen sehr typischen Uriah Heep-Track als Eröffnungsstück für das neue Werk ausgewählt.

Mick: Dieser Song enthält die komplette Energie und Power, die Uriah Heep immer noch ausmacht. Das wollen wir gleich zu Beginn zeigen. Er fängt perfekt ein, was wir ausdrücken möchten, nämlich, dass unsere Leidenschaft für diese Musik und unser Feuer unverändert groß ist. Danach reisen wir durch die ganzen anderen Parts von Uriah Heep, wie beispielsweise Progressive Rock oder auch die Balladen.

Dirk: „Take Away My Soul" ist für mich ein Highlight des Albums. Eine grandiose Hookline und ein Monster von einem Gitarren-Solo, welches sich zum Ende hin zu einem absoluten Inferno entwickelt.

Mick: Ja, das stimmt. Es hängt mit dem lyrischen Konzept zusammen. Es geht um eine Beziehung zwischen einem Paar. Sie filmen sich beim Sex. Irgendwann bricht die Beziehung im Streit auseinander. Um den anderen zu verletzen, wird das Video in den sozialen Medien, wie beispielsweise Facebook, veröffentlicht. Darum geht es hier. Dieses wilde Gitarren-Solo am Ende soll dieses Desaster für den Betroffenen auf dem musikalischen Weg ausdrücken.

uriah heepDirk: Eine tolle Umsetzung, wie ich finde. Genauso großartig ist auch der längste Track von „Living The Dream". Mit sagenhaften Hammond Parts und sehr abwechslungsreichen Strukturen kann „Rocks In The Road" ganz groß punkten.

Phil: Das Lied war bis zu einem bestimmten Punkt fertig. Es gab da nur noch eine große Lücke in der Mitte, die wir absichtlich noch nicht fertiggestellt hatten. Es sollte kein normales Stück werden. Irgendetwas Spezielles sollte darin passieren. Wir arbeiteten erst einmal an anderen Songs weiter, bis wir die richtige Idee hatten. Mick fügte einen hypnotischen Gitarren-Part hinzu, der sich immer wiederholt. Das war der Anker. Das Lied sollte von da an mehr und mehr Fahrt aufnehmen, Stück für Stück kraftvoller werden und in eine ganz neue Richtung gehen. Am Ende wurde es total heftig und es ist uns positiv aus dem Ruder gelaufen, haha.

Dirk: Im Song „It's All Been Said" geht es um die Beeinflussung von Zeitungen auf die Leser. Sind damit vielleicht die sogenannten „Fake News" gemeint?

Phil: Nein, da geht es um die Realität; das wahre Leben.

Mick: Es geht um die Sucht der Leute nach Schlagzeilen. In den Zeitungen wird selten die Wahrheit geschrieben. Sie nehmen massiv Einfluss auf das Leben der Leute. Schau dir diese ganzen wahnsinnigen Realityshows an. Das ist völlig krank. Aber damit lässt sich leider eine Menge Geld verdienen.

Dirk: Mit „Dreams Of Yesteryear" endet der erstklassige Longplayer. Nach welchem Kriterium wird bei Euch eigentlich die Song-Reihenfolge eines Releases bestimmt?

Mick: Das Ende eines Albums ist wie der Sonnenuntergang. So ein Song muss gut ausgewählt werden. Du hast die Reise beendet, möchtest sie aber gerne wieder neu beginnen. Das stellt sicher, dass die Leute sich das Album immer und immer wieder von vorne anhören möchten.

Phil: Das Ende eines Songs ist in meinem Kopf auch immer das mögliche Ende eines Albums. Man kann den Schluss nicht in die Mitte verfrachten. Das würde nicht funktionieren. Welches Lied könnte danach noch folgen? Mit diesem Stück haben wir die perfekte Nummer gefunden.

Dirk: Im Oktober und November seid Ihr auf Tournee in Deutschland. Im Vorprogramm gibt es zu meiner Freude mit The Zombies eine Sechziger Jahre Rock- und Beatband zu bewundern. Wählt Ihr eure Vorbands eigentlich selbst aus?

Mick: Nein! Sowas bestimmen Agenten, Promoter oder Manager. Jeder außer uns. Wir bekommen das dann nur mitgeteilt. Eine schöne Sache, The Zombies mit dabei zu haben. Nach der Europ-Tour führt uns unser Weg noch nach Japan, Australien und in die USA.

Phil: Ich glaube, es sind insgesamt zehn Länder, in denen wir zunächst einmal spielen werden.

Dirk: Wie lange könnt Ihr auf Tour sein, bevor Ihr Euch völlig ausgebrannt fühlt?

Phil: Zwei Tage, haha!

Mick: Wir sehen kein Ende! Wir lieben, was wir tun, und machen es solange wir können.

Dirk: Ich vermute, die Reisestrapazen sind der einzig unangenehme Part der Geschichte, richtig?

Mick: Ja, das kann schon verdammt hart werden; ganz besonders im Winter. Die letzte Tour in Amerika und Kanada war wegen der dortigen Wetterverhältnisse wirklich überaus strapaziös.

Phil: Richtig! Im Osten hatten wir Schnee und im Westen litten wir unter großer Hitze. Dazwischen gab es nichts.

Dirk: Ihr versprüht auf der Bühne noch immer eine enorme Power und Energie. Andere Musiker in eurem Alter lassen es da mittlerweile bedeutend ruhiger angehen. Was ist Euer Geheimnis?

Mick: Leidenschaft! Wenn man etwas mit voller Hingabe macht, dann kommt die Energie von ganz alleine. Dann kannst du abliefern. Wir lieben die Kommunikation mit unserem Publikum. Das gilt für jeden einzelnen von uns.

Phil: Ganz egal, wie du dich vor einem Gig fühlst: Sobald du die Bühne betrittst, wirst du zu einer anderen Person. Dann bist du völlig energiegeladen.

Dirk: Gab es in Eurer langen Karriere eigentlich irgendwann mal so etwas wie eine Schreib-Blockade? Eine Zeit, in der einem nicht viel Gescheites eingefallen ist?

Mick: Nein. Dafür war die Inspiration immer viel zu groß. Außerdem hat man für so etwas zur Not ausreichend Songideen in der Hinterhand.

uriah heepDirk: Wie geht man nach so vielen Jahren eigentlich noch mit kritischen Reviews um?

Mick: Kritisieren ist ein Job. Das erwartet man von irgendjemandem. Meistens ist es ja faire Kritik. Aber es darf dir nicht zu nahe gehen und in irgendeiner Art und Weise dein Leben beeinflussen. Ansonsten haben die Kritiker gewonnen.

Phil: Wir sind Kritik gewöhnt. Jeder soll seine Meinung haben und da ist nichts Schlimmes daran. Man kann nicht einfach sagen: „Ich will das nicht hören". Außerdem darfst du nicht vergessen, dass wir aus England kommen, einem Land, in welchem die Musikpresse in den Siebzigern und Achtzigern verheerend war. Sie haben dich innerhalb von einer Sekunde regelrecht abgestochen. Wenn sie dich nicht mehr mochten, dann ließen sie dich ungebremst fallen. Es war der Wahnsinn.

Mick: Zunächst gab es für eine junge Band Lob von allen Seiten und sie haben dich aufgebaut. Sobald sie aber genug von dir hatten, haben sie dich wieder getötet. Erst warst du auf der Titelseite und im nächsten Moment wurdest du sehr böse beschimpft.

Dirk: „Raging Silence" aus dem Jahr 1989 war das erste Studioalbum, an welchem Ihr beide zusammen gearbeitet habt. Auch Sänger Bernie Shaw debütiert auf diesem durchaus soliden Release. Welche Erinnerungen habt Ihr noch daran?

Mick: Es war eine schwierige Zeit. Unsere damalige Plattenfirma löste sich auf und bestand auf einmal nur noch aus einem Mann, seinem Schreibtisch und seinem Parkplatz. Das Geld, welches wir für die Aufnahme des Albums bekommen sollten, war auf einmal verschwunden. Es ist schon bemerkenswert, dass wir dann trotzdem noch ein gutes Album hinbekommen haben. Mit etwas mehr Unterstützung hätte es aber sicher noch besser laufen können.

Dirk: Mick, Du bist ein großer Fan vom Fußball Club Tottenham Hotspur. Das alte Stadion „White Hart Lane” wurde abgerissen und es entsteht nun eine neue moderne Arena. Damit ist auch ein bedeutsamer Teil deiner Jugend beseitigt worden. Wie fühlt sich das für Dich an?

Mick: Es ist gut, dass der Club nach vorne schaut. Wir haben gerade ein richtig starkes Team. Neun unserer Spieler waren bei der diesjährigen Weltmeisterschaft im Einsatz. Das ist absolut großartig und kein anderes Team in der Premier League konnte da mithalten. Es ist einfach ein natürlicher Prozess, dass ein Team irgendwann mal ein neues Stadion bekommt. Auch wenn viele wunderschöne Erinnerungen daran hängen, muss man dennoch sagen, dass die alte Spielstätte ihre besten Tage längst hinter sich hatte. Es ist auch mittlerweile einfach ein bisschen zu klein geworden.

Dirk: Hat der Club euch eigentlich irgendwann einmal gefragt, ob ihr vielleicht eine Vereinshymne schreiben würdet?

Mick: (bekommt glänzende Augen) Nein, aber wenn sie das machen würden, dann wären wir auf jeden Fall bereit dazu. Hundertprozentig!

Phil: Haha. Das ist wirklich keine schlechte Idee. Mich interessiert zwar eigentlich nur die Weltmeisterschaft, aber wenn so eine Anfrage käme, dann wäre das auf jeden Fall eine richtig spannende Sache.

Dirk: Jetzt mal zu einer Platte; die nicht unbedingt in der Champions League gespielt hat. Die Rede ist vom Album „Conquest” aus dem Jahr 1980. Mick, stimmst Du mir zu, dass das der absolute Tiefpunkt der Bandgeschichte von Uriah Heep war?

Mick: Ein klares Ja! Wir brauchten einen neuen Sänger und man hat uns John Sloman von der Band Lone Star empfohlen. Er kam zu uns, überzeugte mit seinem Gesang und sah zudem noch gut aus. Aber schon nach kurzer Zeit hat er seine Wurzeln verloren und wurde zu einem großen Stevie Wonder-Fan. Er versuchte, die Songs in diese Richtung zu lenken, und wir mochten das überhaupt nicht. Das passte nicht zu uns.

Phil: Wie lange war er in der Band?

Mick: Nur für ein Album und eine Europatournee.

Phil: Haha. Das war dann wohl lange genug.

uriah heepDirk: Was habt Ihr damals gedacht, als in der zweiten Hälfte der Siebziger Jahre die Punkmusik populär wurde und Euch ein wenig in den Hintergrund drückte?

Mick: Wir hatten keine Probleme damit. Es gab auch einige Bands mit durchaus guten Songs, wie The Clash, The Sex Pistols oder The Stranglers. Am Ende hat sich da auch die Qualität durchgesetzt und es überlebten die Gruppen, die gute Musik vorweisen konnten. Aber eigentlich haben wir von der Punk-Explosion in England überhaupt nicht viel mitbekommen. Zu der Zeit waren wir ganz woanders in der Welt unterwegs. Als wir zurückkamen, begann das bereits wieder etwas abzuebben. Aber ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich in Amerika unseren Manager nach diversen Musikzeitschriften fragte. Ich blätterte die Hefte durch und dachte nur: „Was zur Hölle passiert da gerade in meinem Business?”, haha.

Phil: Ich war zu der Zeit noch nicht in der Band, aber ich erinnere mich noch gut an das Jahr 1976. Ich war zu Hause und im TV lief gerade ein Bericht über diese Punkmusik. Das Erste, was ich sah, waren wilde Typen, die auf die Bühne spuckten. In den ersten Wochen fand ich es einfach nur widerlich. Aber irgendwann realisierte ich, dass hinter der Musik auch irgendetwas Interessantes steckt. Es ist nicht gerade meine Lieblingsmusik, aber das „Never Mind The Bollocks”-Album der Sex Pistols ist beispielsweise fantastisch. Ein Meilenstein! Der Einfluss vom Punk auf nachfolgende Musikrichtungen war riesig.

Dirk: Fehlt der heutigen Rockmusik nicht genau dieser rebellische Input von damals? Ist das vielleicht auch ein Grund dafür, dass für einen großen Teil der heutigen Jugend, Musik nicht mehr dieselbe Bedeutung hat wie für uns?

Phil: Ich denke, daran ist das völlige Überangebot an verschiedenen Dingen schuld. Die Aufmerksamkeit der Jugend wird heute in viele verschiedene Richtungen gelenkt. Es fehlt an Geduld und die Kids werden insgesamt oberflächlicher. Das gilt sicher nicht für jeden, aber für einen großen Teil trifft das zu. Sie machen zu viele Dinge gleichzeitig. Einfach still sitzen und auf eine einzige Sache konzentrieren, fällt ihnen schwer.

Mick: Wir leben in einer Einweg-Gesellschaft. Du kannst im selben Atemzug über den Computer Musik herunterladen und sofort wieder löschen. Es gibt keine richtige Liebe für die Musik mehr. Man hört sich oft nur noch einen einzigen Song eines Albums an und wendet sich dann wieder anderen Dingen zu. Die Leute haben keine Zeit mehr. Die Songs können nicht mehr wachsen. Musik benötigt aber genau diese Aufmerksamkeit und Zeit. Alle sind nur noch mit ihrem Smartphone beschäftigt. Zu unserer Zeit gab es nur Mode, Sport und Musik. Viel mehr Möglichkeiten hatte man nicht und deswegen wurde man auch nicht ständig abgelenkt.

Dirk: Nun zu einer Sache, die mir persönlich sehr missfällt. Ich spreche von den sogenannten „Meet & Greets”, welche die meisten Musiker heute bei ihren Konzerten anbieten. Wenn das preislich im Rahmen bleibt, dann finde ich das absolut okay. Aber teilweise werden hier von einigen Topacts bereits eintausend Euro oder mehr verlangt. Entfernen sich hier die Musiker nicht Stück für Stück von ihren Fans?

Mick: Wie bitte? Tausend Euro? Das ist der Wahnsinn! Aber ich will Dir sagen, warum das so ist: Musiker können heutzutage nicht mehr allzu viel Geld verdienen. Alles das, womit ein Musiker früher Geld machen konnte, ist zerstört worden. Bei Spotify wird deine Musik zweihunderttausend Mal angehört und du bekommst zwanzig Euro dafür. Man geht ins Studio und bezahlt einhunderttausend Euro für den absolut optimalen Sound und dann hören sich die Leute die Musik als zusammengequetschte MP3-Version an. Aber die einhunderttausend Euro sind definitiv weg und wollen erst einmal wieder refinanziert werden. Das alles ist eine sehr bedenkliche Entwicklung. Nur auf Tour können die Musiker heute noch Geld verdienen.

Phil: Im Grunde genommen dient eine neue Platte eigentlich nur noch dazu, um Werbung für die nächste Tour zu machen. Vom rein finanziellen Aspekt her lohnt sich eine Neuveröffentlichung gar nicht mehr.

Mick: Musiker suchen nach neuen Wegen. Da gibt es zum Beispiel diese Pledge-Kampagnen, wo die Fans einzigartige Dinge erwerben können, die mit ihrer Lieblingsband zu tun haben. Auch diese „Meet & Greets” gehören dazu. Aber manche Musiker missbrauchen das leider. Das ist das heutige Business und wir können es leider nicht mehr ändern.

uriah heepDirk: Was sich leider ebenfalls geändert hat ist, dass Musik in der heutigen Zeit in immer mehr Spalten und Genres unterteilt wird. Als Uriah Heep angefangen haben, da gab es diese ganzen verschiedenen Puzzleteile noch nicht, richtig?

Mick: Ja, zu der damaligen Zeit gab es nur gute und schlechte Musik. Earth Wind & Fire hatten uns früher mal supportet. Wir haben zusammen mit Ike & Tina Turner gespielt. Es gab eine große Vielfältigkeit und beide Seiten haben Fans aus dem anderen Lager für sich gewinnen können. Das gibt es heutzutage leider kaum noch, denn die Promoter sind meist darauf bedacht, die Rockbands unter sich zu halten. Das ist wirklich eine Schande, weil die Fans so ihren musikalischen Horizont nicht mehr erweitern können.

Phil: Wir haben vor kurzem auf einem großen Festival in Holland gespielt. Da spielten neben uns noch Bands wie beispielsweise Bananarama oder Bryan Ferry. Das war wirklich eine sehr ungewöhnliche Zusammenstellung. Leider sind solche Festivals extrem selten. Wir mochten es sehr und es war hilfreich um neue Fan-Lager zu erreichen.

Dirk: Ich hätte eine Frage zum genialen Uriah Heep Live-Album „January 1973”, welches in der Town Hall in Birmingham aufgenommen wurde. Warum wurde damals genau dieser Ort für die Aufnahme ausgewählt?

Mick: Eigentlich wurden damals drei verschiedene Shows unserer Tour in England aufgezeichnet. Bei allen gab es aber irgendwelche technischen Probleme. Da sind dann Mikrofone hingefallen oder ähnliche Missgeschicke passiert. Die ausverkaufte Show in Birmingham sollte nicht mitgeschnitten werden. Wir waren völlig entspannt und spielten ohne Stress, von der ersten bis zur letzten Note einen wirklich großartigen Gig. Nach der Show hat man uns mitgeteilt, dass diese aufgezeichnet wurde. Alles klang absolut hervorragend. Es ist ein echtes Live-Album! Es wurde lediglich noch gemixt und veröffentlicht.

Dirk: Ihr werdet zusammen mit Deep Purple, Led Zeppelin und Black Sabbath als „The Big Four” des siebziger Jahre Hardrocks betitelt. Mal angenommen, Ihr müsstet daraus nun „The Big Five” machen: Welche Band hat ebenfalls Pionierarbeit geleistet und hätte es verdient aufgeführt zu werden?

Mick: Da muss ich überlegen. Ich würde sagen, die Band Free wäre eventuell ein Kandidat. Das war aber eher härterer Bluesrock. Jethro Tull würden auch zum Teil in Frage kommen. Oder Alice Cooper, wenn wir rüber nach Amerika blicken. Mehr fällt mir aber gerade nicht ein.

Dirk: Mir würden da beispielsweise noch Nazareth in den Sinn kommen.

Mick: Oh ja, absolut richtig! Wenn es um Hardrock geht, dann definitiv Nazareth!

Dirk: Wie sehr seid Ihr damals eigentlich von Vanilla Fudge beeinflusst gewesen?

Mick: Sehr viel, zumindest in Bezug auf die Hammond-Sounds und den mehrstimmigen Gesang. Vanilla Fudge waren wirklich gut, aber sie spielten hauptsächlich Cover-Songs. Wir wollten lieber unsere eigene Musik machen.

Phil: Sie sind großartige Musiker und sie haben immer die richtigen Songs ausgewählt. Wundervolle Lieder.

uriah heepDirk: Nun zu einer Sache, die mich wirklich ärgert: Im Mai dieses Jahres war ich in einem Plattenladen in Chicago. Dort fand ich eine Uriah Heep-Scheibe mit dem Vermerk: „Zeitgenossen von Deep Purple”. Auch in diversen Gesprächen mit amerikanischen Landsleuten werdet ihr gerne mal als „Deep Purple für arme Leute” bezeichnet. Ich finde das sehr respektlos und ich kann das auch nicht wirklich nachvollziehen. Natürlich gelten diese Aussagen nicht für jeden Amerikaner, aber insgesamt gesehen ist euer Ansehen dort nicht so hoch wie auf anderen Kontinenten. Warum ist das so?

Mick: Ich weiß nicht, warum man uns immer wieder mit Deep Purple vergleicht. Die einzige Übereinstimmung, die wir haben, sind die Hammond-Sounds und dass wir alle Rockmusik spielen. Deep Purple haben einen einzigen Sänger, bei uns gibt es mehrstimmigen Gesang von fünf verschiedenen Musikern. Deep Purple spielen eher virtuos, wir spielen dagegen Song-dienlicher und sind sehr auf die Melodien bedacht. Es gibt so große Unterschiede, aber die Leute vergleichen uns immer nur aufgrund der gemeinsamen Hammond-Orgel. Wir haben unsere eigene Identität! Es war schon immer so, dass europäische Bands es in Amerika schwerer haben und für viele amerikanische Bands gilt dasselbe in Europa. In der Vergangenheit hatten wir riesigen Erfolg in Amerika. Wir wohnten in den besten Hotels, hatten Bodyguards und fuhren in Limousinen umher. Wir spielten jeden Abend vor zehn- bis zwanzigtausend Leuten. Es waren berauschende Zeiten. Das beweist doch eigentlich schon, wie dumm diese Aussagen sind, welche uns mangelnde Eigenständigkeit vorwerfen. Wir sind dankbar, dass wir nach wie vor eine solide Fan-Basis in Amerika haben, um dort regelmäßig touren zu können.

Phil: Amerikaner und Europäer sind grundverschieden. Sie haben in vielen Dingen nicht die gleiche Meinung. Das wird sich auch niemals ändern und das muss man so akzeptieren.

Dirk: Warum wurden die ersten beiden Uriah Heep-Alben in Amerika eigentlich mit einem völlig anderen Cover veröffentlicht?

Mick: Das Artwork von unserem ersten Album „...Very ´Eavy... Very ´Umble...” (es zeigt den von Spinnennetzen umwobenen Kopf des Uriah Heep-Sängers David Byron) fand man dort schlicht zu gruselig. Auf dem zweiten Album „Salisbury” ist ein Panzer und eine zerquetschte Blume zu sehen. Das war ein typisches Hippie-Denken: eine widerliche Tötungsmaschine und eine wunderschöne Blume, die zerquetscht wurde. Aber in Amerika hatte man gerade mit dem Vietnam-Krieg zu tun und man wollte keine Referenzen, die irgendetwas mit der Armee zu tun hatten. Also tauschte man auch dieses Cover aus. Die europäischen Artworks sind jedoch die ursprünglichen Versionen und die gefallen mir auch besser. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass wir zu der Zeit viele wundervolle Briefe von amerikanischen Soldaten aus dem Vietnam-Krieg bekommen haben. In diesen schwierigen Zeiten haben unsere Songs ihnen Kraft und Zuversicht gegeben. Das war wirklich fabelhaft.

Dirk: Kaum eine Band hat so viele Erfahrungen im Musik-Geschäft sammeln können wie Ihr. Könnt Ihr mir beantworten, ob Drogen einen Musiker besser beziehungsweise produktiver machen können?

Mick: Leute nehmen Drogen, weil sie hoffen, es fördert ihre Kreativität. Aber es dauert nicht lange, bis daraus eine Krücke wird. Die Kreativität verschwindet schneller als man denkt.

Phil: Man geht dann viel zu schnell in den Party-Modus über. Alles ist zunächst einmal großartig und bevor man sich versieht, steckt man in wirklich großen Schwierigkeiten.

Dirk: Mick, ich habe vor längerer Zeit mal irgendwo gelesen, dass Du ein Buch mit lustigen Geschichten aus deinem Tour-Leben schreiben wolltest. Wie ist da der Stand der Dinge?

Mick: Ich versuche das immer noch fertig zu bekommen, haha. Fast ein halbes Jahrhundert Uriah Heep – das ist eine verdammt lange Reise.

Dirk: Könntest Du Dir ebenfalls vorstellen, ein Buch über Deine Karriere zu veröffentlichen, Phil?

Phil: Nein, es ist schwierig, über sich selbst zu schreiben. Man braucht jemanden, der es aus seiner Sicht sieht und es dann für Dich aufschreibt.

Dirk: Wie versorgt Ihr Euch eigentlich mit Musik von anderen Künstlern? Kauft ihr online ein oder geht Ihr lieber in den Plattenladen?

Phil: Wir beide besuchen bei jeder Gelegenheit gerne Plattenläden. Vor zwei Monaten waren wir in einem unglaublich riesigem Shop in St. Louis in Amerika. Es war gewaltig. Sie hatten wirklich alles da. Eine unfassbar große Auswahl.

Mick: Aber auch zu Hause in London haben wir ein paar tolle Plattenläden. Manchmal fühlt man sich vor lauter Schallplatten wie in einer Höhle. Überall steht Vinyl herum. Ich liebe das!

uriah heepDirk: Welches Konzert würdest Du auswählen, wenn Dich eine Zeitmaschine zu einem Gig aus der Vergangenheit zurückbringen könnte?

Mick: Meine Frau hatte mir zu meinem Geburtstag mal ein Ticket für ein Jeff Beck-Konzert geschenkt. Da war auch Roger Waters als Gast dabei. Ich liebe das Album „Amused To Death” von Roger Waters. Auf dieser Scheibe spielt Jeff Beck auch die Lead-Gitarre. Die Zusammenarbeit der beiden ist hervorragend. Das war ein magisches Konzert. Jeff Beck spielte seine alten Lieder. Dann kam Roger Waters als Gast hinzu. Es gab keine große Lichtshow oder irgendwelche Explosionen. Einfach nur pure Musik. Einmalig!

Dirk: Okay, dann sagt mir bitte noch, welches Uriah Heep-Album ihr jemandem empfehlen würdet, der noch nie eine Note von euch gehört hat.

Mick: Unser neues Album „Living The Dream”, haha. Er sollte schließlich „Up To Date” sein. Danach kann er ja noch weitere vierundzwanzig Uriah Heep-Alben für sich entdecken, haha!



Autor: Dirk Determann