ATTACK - Das Gefecht des Helden


Lange Zeit war Ricky van Helden mit seiner Band Attack ein treuer, aufrichtiger Kämpfer für den Teutonen Metal. Er hat uns viel gegeben und nur wenig zurückbekommen. Wertschätzung und die verdiente Aufmerksamkeit blieben ihm leider viel zu oft verwehrt. Um diese Gegebenheit ein Stück weit zu ändern, habe ich den sympathischen Bandleader mit meinen Fragen „attackiert" und dabei in der Hoffnung zumindest mal wieder ein wenig Staub aufzuwirbeln, tief in der Mottenkiste gewühlt:

logoDirk: Hi Ricky! Du wirst gemeinhin als Multi-Instrumentalist bezeichnet. Blicken wir mal ganz weit zurück. Mich würde interessieren, wie du zur Musik gekommen bist und welches Instrument du damals an erster Stelle beherrschen konntest?

Ricky: In meiner Kindheit war ich oft mit Freunden in der Wildnis zelten (wir waren damals alle so um die zwölf Jahre alt) und einer dieser damaligen Freunde spielte gelegentlich am Lagerfeuer auf seiner Akustik Gitarre herum. Spontan bastelte ich mir aus zwei Plastikbehältern so etwas wie Congas und die Session begann. Ich glaube nicht, dass es gut war, aber uns hat es damals sehr viel Spaß gemacht. Wir waren zu der Zeit unter anderem beeinflusst von der Band T. Rex, die sich am Anfang ihrer Karriere Tyrannosaurus Rex nannten und als Duo (Marc Bolan Gitarre und Mickey Finn Congas) unterwegs waren. Damals setzte ich mir in den Kopf, mir mal richtige Congas kaufen zu wollen. Zwei Jahre später war es dann soweit und ich wollte mir von meinem Konfirmationsgeld Congas kaufen. Ich wurde jedoch letztendlich von dem Verkäufer in einem Musikgeschäft überredet, mir besser ein Schlagzeug zu kaufen, was ich dann auch tat. Eine einfache Schießbude (Bassdrum, Snare, Hänge-Tom, Stand-Tom, Hi-Hat und drei Becken) reichte damals aus, um meine Familie und die gesamte Nachbarschaft in den Wahnsinn zu treiben, denn ich übte jeden Tag stundenlang ohne Rücksicht auf mein Umfeld. Später sparte ich dann auf ein größeres Schlagzeug und letztlich ging ich auf dem Bau jobben, um mir ein Schlagzeug mit acht Toms, zwölf Becken, Roto-Toms, Timbales, einen Ein-Meter Gong usw. (welchen ich mal in einem Katalog gesehen hatte) zu kaufen. In einem ehemaligen Tonstudio durfte ich damals proben, was ich dann auch tagtäglich tat. Am Wochenende spielte ich dann mit einer Unterhaltungsband, um mir Geld zu verdienen und gleichzeitig in einer Rockband mit Freunden; damals eher so Gitarren Rock a la Wishbone Ash. Ich wurde immer besser und routinierter, was immer mehr Bands aus dem benachbarten Hannover auf den Plan rief, für die ich als Schlagzeuger interessant wurde; darunter auch Bands wie Eloy oder Firehorse mit Jochen Roth. Aber ich hatte schon immer meinen eigenen Kopf und wollte lieber eine eigene Band gründen. So entstand dann auch die Band Lyra. Mein erstes Instrument war also das Schlagzeug.

Dirk: Auf dem 1984er Debüt-Album hattet ihr noch einen festen Keyboarder und der Attack Sound schielte mehr in Richtung Hardrock. Obwohl die Songs durchaus solide waren und Potential hatten, muss ich rückblickend sagen, dass die leicht aufgesetzt wirkenden Keyboards bei mir auch jetzt noch einen etwas „kitschigen“ Höreindruck hinterlassen. Wie siehst du das im Nachhinein?

Ricky: Na ja, zunächst war gar nicht geplant, ein Album zu machen. Die Band Lyra hatte sich nach drei Jahren aufgelöst und ich wollte damals, aus Frust darüber, gar nicht mehr Schlagzeug spielen. Ich kaufte mir also eine Bassgitarre und machte zusammen mit einem Gitarristen und einem Schlagzeuger hobbymäßig etwas Musik im Stil von Rush. Dabei spielte ich auch bei zwei bis drei Songs Keyboards. Schon nach den ersten kleinen Gigs in irgendwelchen Jugendzentren fühlte ich mich aber überfordert. So kam es mir gerade recht, als ich mal nach einer Session mit einer anderen Band, deren Keyboarder die gleiche Straßenbahn für den Heimweg nahm wie ich, mich mit ihm näher zu unterhalten. Zwei Tage später kam er vorbei und war mittendrin statt nur dabei. Unserem damaligen Soundmixer kam dann die Idee, das ganze Attack zu nennen. Was wir nun noch brauchten war ein Demo-Band, um auch überregional an Gigs zu kommen. Also buchten wir für ein paar Tage das billigste Studio, was wir in Hannover finden konnten. Aber meistens kommt es anders als man denkt. Der Schlagzeuger stieg aufgrund seiner Drogenprobleme zwei Tage vorm Studiotermin aus der Band aus. Also habe ich dann Schlagzeug gespielt und den Bass drüber gedudelt und bin nach Hause gefahren. Inzwischen hatte sich der Gitarrist an der Hand verletzt und einfach die Gitarren über einen Rockman (Gitarrensimulator) statt über einen Amp eingespielt. Ich spielte auch noch ein paar Gitarren drauf und der Keyboarder seine Parts, bevor mich eine Grippe erwischte. Chaos pur! Ich habe dann trotzdem noch versucht, etwas drauf zu singen. Irgendwer kam dann wohl darauf, aus alledem eine LP zu machen, aber diese Worte erreichten meinen Geist nicht mehr. Whisky-Cola war damals meine Medizin gegen Grippe.

Dirk: Auf eurem (nur ein Jahr später erschienenen) Zweitwerk „Return Of The Evil“ bewegt ihr euch dann deutlich mehr in der Heavy Metal-Zone. Stagnation konnte man euch also beileibe nicht vorwerfen. Wie kam es zum damaligen Richtungswechsel in härtere Gefilde?

Ricky: Ein Richtungswechsel war es eigentlich nicht. Nach einigen Gigs fiel dann die Entscheidung: Keyboarder raus, zweiter Gitarristen rein! Wir sind aus finanziellen Gründen wieder in das billige Studio, haben aber statt dem Rockman-Quatsch ordentliche Marshall-Amps benutzt. Das war schon alles.

attackDirk: Attack waren unumstritten zu einem nicht ganz unerheblichen Teil an der deutschen Heavy Metal-Erfolgsgeschichte beteiligt. Den Triumph haben aber andere, zeitgleich gestartete Bands eingeheimst. Woran lag es deiner Meinung nach und was würdest du rückblickend vielleicht anders machen?

Ricky: Vielleicht waren die anderen einfach besser. Zumindest hatten sie Unterstützung durch die richtigen Labels und Printmedien, was wir nicht hatten. Es gab damals Rockmagazine - nicht alle - aber einige, die den Bands nur Beachtung schenkten, wenn die entsprechenden Label dahinter auch geldbringende Anzeigen geschaltet haben. Da konnte es dann schon mal passieren, dass eine gute Band ohne Anzeigen verrissen wurde und eine schlechte Band mit Anzeigen gelobt wurde und damit auch die entsprechenden Noten erhielt. Die Welt ist halt käuflich.

Dirk: Verwirrung schafft bei mir eine vereinzelt aufgelistete LP mit dem Namen „Beastkiller“ aus dem Jahr 1986. Auf einschlägigen Seiten wie beispielsweise Discogs oder Musik-Sammler ist diese jedoch überhaupt nicht verzeichnet. Was genau hat es mit dem anscheinend raren Stück Vinyl auf sich?

Ricky: "Beastkiller" ist, entgegen anderslautenden Aussagen, nie erschienen. Wir haben das Album damals aufgenommen, aber noch bevor wir zum Endmix erschienen, hatte sich der Produzent aus dem Staub gemacht. Genaueres kann ich dazu auch nicht sagen. Es war traurig genug.

Dirk: Weitaus mehr Beachtung konntet ihr 1989 für euer Nachfolge-Album „Destinies Of War“ erlangen. Dieser Release wurde unlängst bei Metalizer Records als schicke CD und LP wiederveröffentlicht. Wie kam das zustande?

Ricky: 1987 bin ich in die Nähe von Osnabrück gezogen und suchte nach einem neuen Line-Up. Ich gab also in einer Szene-Zeitschrift eine Anzeige auf: „Band sucht Gitarristen und Schlagzeuger“. Es meldete sich ein Management, bestehend aus zwei Leuten, die damals u.a. Terence Trent D'Arby unter Vertrag hatten. Ich wusste zwar nicht, was sie wollten, aber sie schienen interessiert. Also traf ich mich mit ihnen und brachte die Attack-Scheiben mit. Sie wollten auch den Kontakt zu einem Gitarristen herstellen, den ich mir ca. eine Woche später bei einem Konzert anhören könne, was ich dann auch tat. Sein Stil gefiel mir und auch menschlich schien er okay zu sein. Gleichzeitig kontaktierte ich einen Schlagzeuger, der in meiner Nähe wohnte und den ich schon von Konzerten aus Hannover kannte. Also probten wir zu dritt ein paar Stücke ein und sollten uns in einem, vom Management gebuchten Studio einfinden, um ein Demo aufzunehmen, womit Plattenfirmen bemustert werden sollten. Aber irgendwie haute das mit dem Schlagzeuger dann nicht mehr hin, so dass ich mit dem Gitarristen alleine die fünf Stücke im Studio aufnahm. Ich spielte Bass, Schlagzeug und sang, während er alle Gitarren draufspielte. Mit diesem Demo bekamen wir dann nach kurzer Zeit einige Angebote. Zur gleichen Zeit kam dann auch ein zweiter Gitarrist dazu, den wir über das Studio vermittelt bekommen hatten. Was jetzt noch fehlte war ein Schlagzeuger. Wir testeten viele, aber keiner schien geeignet, bis dann endlich ein junger griechischer Drummer auftauchte, der alles so spielte, wie wir es brauchten. Wir unterschrieben einen Vertrag bei ZYX Records für drei Jahre, obwohl ich mich damals wunderte, warum wir nicht bei EMI Electrola unterschrieben, von denen wir einen gleichlautenden Vertrag vorliegen hatten und die mir geläufiger waren als ZYX. Später stellte sich dann heraus, dass einer dieser beiden Manager-Typen gleichzeitig A&R Manager bei ZYX war. Der hatte also einen Vertrag im Namen der Band mit sich selbst ausgehandelt. Das aber kam erst später heraus. Wir probten also in dieser Besetzung nun vier Wochen lang und begaben uns in ein Studio um "Destinies Of War" aufzunehmen. Vier weitere Wochen später war das Album im Kasten und das Management präsentierte mir ein Cover, was mir die Sprache verschlug. So einen Mist hatte ich selten vorher gesehen. Als mich die Plattenfirma dann noch dazu zwang, ihnen die Verlagsrechte für meine Songs zu übertragen, war das Maß voll. "Destinies Of War" wurde zwar als LP und CD weltweit veröffentlicht und ich bin auch noch mit dem Manager auf Promotion-Tour durch Europa getingelt, aber danach habe ich mich mit der Firma überworfen und wir wurden auf Eis gelegt. 1993 habe ich "Destinies Of War" dann noch mal über mein eigenes Label mit einem anderen Cover veröffentlicht und JVC/Victor Entertainment hat es im gleichen Jahr nochmal in Japan mit einem ganz anderen Cover rausgebracht. Später wollten einige Label das Album dann nochmal wiederveröffentlichen. Ich habe mich dann aber nach einigem hin und her für Metalizer Records entschieden, die es 2016 veröffentlichten. Im gleichen Jahr veröffentlichte Canometal Records das Album in Südamerika.

Dirk: Nach meiner Auffassung sind bombastische, eingängige Refrains in Verbindung mit starkem Songwriting das Erfolgsgeheimnis des Albums. Lieder wie beispielsweise der Opener „Wonderland“ verlassen (einmal gehört) die Gehörgänge nicht mehr so schnell. Beim ebenfalls ehrenhaften Song „Death Rider“ muss jedoch auch die Frage erlaubt sein, ob man bewusst (wegen den extrem auffallenden Parallelen) vor der Aufnahme ein wenig zu viel Iron Maiden inhaliert hat?

Ricky: „Death Rider" hatte ich 1986 bereits in Hannover aufgenommen. Ich habe damals bei einer Metal-Band als Sänger bei einem Gig ausgeholfen, die mich dann fragte, ob ich bei einem bevorstehendem Studiotermin singen würde. Ich machte das und wir nahmen vier Stücke der Band auf. Da wir jedoch schneller fertig waren als geplant, stand noch Studiozeit zur Verfügung und man bot mir an, wenn ich wolle, könne ich noch etwas aufnehmen. Also setzte ich mich mit einer Gitarre hin und bastelte mir schnell etwas zusammen. Ich spielte die Drums drauf, den Bass, die Gitarren und sang. Es wurde zwar etwas lang, aber so entstand „Death Rider". Später habe ich mich daran erinnert und wir haben es nochmal neu mit der Band eingespielt und es mit auf "Destinies Of War" genommen.

Dirk: Wie stehst du denn allgemein zu den gelegentlichen Vorwürfen, Attack hätten sich zeitweise etwas zu offensichtlich bei anderen Bands bedient?

Ricky: Ach, weißt du, wenn wir früher zweistimmige Gitarren in den Songs hatten, als es Maiden noch gar nicht gab, dann haben alle gesagt: „Das klingt ja wie Thin Lizzy". Jetzt ist es halt Iron Maiden. Mach einen Vier-Viertel-Schlagzeugtakt, einen Achtel Grundton-Bass darüber und vier Akkorde mit einer angezerrten Gitarre. Danach lässt du den Sänger, nachdem er eine Flasche Whisky getrunken hat, was drüber schreien, dann klingt´s wie AC/DC. Mir geht das alles am Arsch vorbei. Für mich gibt es nur Musik, die mir gefällt oder die mir nicht gefällt. Ich gehöre nicht zu jenen Menschen, die sich dauernd fragen, wer noch so klingt. Wenn es den Leuten Spaß macht, dann können sie von mir aus auch sagen: „Das klingt ja wie Erwin Schrubbkuweit sein Trecker". Mir ist das alles Knäckebrot.

Dirk: Ein wichtiger Baustein aller Attack-Alben sind immer wiederkehrende ruhigere Parts, welche geschickt in die Songs eingebaut wurden. Ferner wurden beispielsweise auch immer bereitwillig genrefremde Instrumente mit einbezogen. Wie wichtig ist der Faktor „Stimmungen erzielen“ innerhalb eines Musikstücks für dich?

Ricky: Letztlich hat alles etwas mit Stimmungen zu tun. Wenn man z. B. einen traurigen Song macht, der textlich davon handelt, dass jemand gestorben ist, dann ist es oft nicht so dienlich, wenn der Gitarrist dann ein Solo da rein spielt, das wie „Fuchs, du hast die Gans gestohlen" klingt. Außerdem ist für mich Dynamik ein wichtiges Element in fast jeder Musik. Was den Einsatz genrefremder Instrumente angeht, so halte ich andere Klangfarben immer für bereichernd. Ich bin halt mit Jethro Tull aufgewachsen und finde eine Querflöte in der Rockmusik nicht ungewöhnlich. Wenn du dir „Game Of Thrones“ anguckst, hörst du ja auch ein Cello. Also ich finde es nicht schlimm, wenn es ab und zu auch mal in der Rockmusik auftaucht; im Gegenteil!

attackDirk: Als andere Bands zu Beginn der Neunziger „moderner“ klingen wollten, kamst du mit dem Klassiker „Seven Years In The Past“ um die Ecke. Mit dem (absolut nicht negativ gemeinten) Old School-Sound hast du, gegen alle damaligen Trends, für mich das Highlight der Bandgeschichte veröffentlicht. Aber fast wäre es gar nicht dazu gekommen. Erzähle uns bitte mal mehr darüber!

Ricky: "Seven Years In The Past" ist wieder so ein Beispiel für das Chaos, was die Band Attack immer wieder heimsuchte. Wie zuvor schon erwähnt, waren wir von ZYX Records auf Eis gelegt worden. Wir durften also während der dreijährigen Vertragsdauer nichts mehr veröffentlichen. In dieser Zeit habe ich dann ein eigenes Studio gemacht und viele Bands aufgenommen. Nachts habe ich dann oft mit zwei Gitarristen meine eigenen Ideen aufgenommen, nur um sie festzuhalten. Wir haben da weder auf den Sound geachtet noch auf irgendwelche tontechnischen Sachen. Wir haben einfach nur pur aufgenommen. Immer wieder nahmen aber auch Bands oder Interpreten bei mir auf, die nach einem Label fragten, weil sie z. B. eine Eigenproduktion rausbringen wollten oder sowas. Dafür brauchte man aber einen Labelcode, eine LC Nummer. Die wird in Deutschland vergeben von der GVL (Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten). Neben einer Reihe von Auflagen muss man auch einen Tonträger offiziell veröffentlichen, der den Namen des Labels enthält, also z. B. eine CD oder eine LP. Ich habe mich dann also dazu entschlossen, die Aufnahmen, die ich nachts mit den beiden Gitarristen gemacht hatte, vervielfältigen zu lassen. Ich habe ein einfaches Cover erstellen lassen und dann tausend CDs (das war damals die Mindestauflage) pressen lassen. Ich schickte der GVL also ein Exemplar zu, um zu belegen, dass dieses auf meinem Label erschienen wäre und erhielt einen Labelcode. Nun hatte ich aber 999 CDs hier rumliegen. Wenige Tage später rief mich dann Jürgen Hegewald von Hellion Records an und fragte mich, ob es neues Material von Attack gäbe. Ich druckste etwas herum und sagte dann, dass es da zwar was gäbe, was aber nicht so toll wäre. Er bat mich, ihm zehn Stück zuzuschicken, was ich auch machte. Drei Tage später rief er wieder an und sagte mir, dass er noch hundert bräuchte. Eine Woche später wollte er noch dreihundert Stück usw. Nach zwei Wochen waren alle tausend CDs weg und ich musste nachpressen lassen. Ich fragte ihn dann, was er eigentlich damit macht und er sagte, dass er die alle nach Japan schickt. Etwa eine Woche später erhielt ich dann ein Fax aus Japan von JVC/Victor, in dem stand, dass Attack mit dem Album "Seven Years In The Past" in die japanischen Import-Charts auf Platz 16 eingestiegen sind und ob sie das Album über ihr Label in Japan veröffentlichen dürften. Sie boten 20.000 Dollar Vorschuss und vier Dollar pro CD. Mit einem weinendem und einem lachendem Auge habe ich es dann gemacht, einen Vertrag über sieben Jahre unterschrieben und ihnen Dat-Band und Filme geschickt. Zwei Tage später war das Geld auf meinem Konto und sie wollten noch andere ältere Attack-Alben zu gleichen Konditionen veröffentlichen, was sie dann auch taten.

Dirk: Hierzulande hielt sich das Interesse aber leider eher in Grenzen. Womit wir bei der Floskel „Der Prophet gilt nicht viel im eigenen Land“ wären. Hast du eine Erklärung dafür warum es im Ausland oft einfach besser läuft?

Ricky: Da ist schon irgendwie was dran, aber letztendlich war Attack immer zu klein und ich selbst war auch nicht unbedingt der Typ, der anderen ins Gesäß kriecht, um ein Stückchen weiter zu kommen. Im Ausland ist man eher der Exot. Ich erinnere mich an die Anfänge der Scorpions, die hier in Deutschland in den Jugendzentren vor fünfzig bis hundert Leuten spielten und in Brasilien Stadien mit 60.000 Leuten füllten. So ist das Leben.

Dirk: Lyrisch drehen sich die Songtexte einmal mehr um Mythologie und Fantasy-Themen. Interessieren dich solche Dinge auch privat oder dienen sie lediglich als Mittel zum Zweck?

Ricky: Ich würde nicht über Dinge schreiben, die mich nicht interessieren.

Dirk: Mit „Revitalize“ kam dann zunächst eine Ansammlung aus unveröffentlichten und neu eingespielten Songs auf den Markt. Diese Versionen unterscheiden sich unverkennbar von den Originalen. Als Paradebeispiel möchte ich hier den Song „Danger In The Air“ von eurem Erstwerk ansprechen. Dieser wurde gründlich umgekrempelt und mit druckvollem Sound ausgestattet. Sogar eine Violine wurde ansatzweise beigefügt. Damit ist aus einem Anfangs „netten“ Song ein regelrechter Volltreffer geworden. Gibt es ein Album beziehungsweise einen Track in deiner Bandgeschichte mit welchem du auch Jahre später noch restlos glücklich bist?

Ricky: Weißt du, die Japaner sind sehr eifrig. Sie wollen zu jedem Album noch einen Bonustrack. Wenn du ihnen den schickst, dann wollen sie noch einen usw. Das Spiel habe ich zunächst auch mitgemacht, aber da es unsere ersten drei Alben gar nicht auf CD gab, haben wir uns dann entschlossen, einfach von den alten Alben jeweils zwei bis drei Songs neu einzuspielen, dazu drei bis vier neue Songs und fertig ist „Revitalize" für Japan. Die japanische Version hatte dann zwölf Songs und die europäische hatte fünfzehn Songs. Wir haben es einfach mal umgedreht. Ja, „Danger in the Air" klingt natürlich ein bisschen anders ohne Keyboards, wenngleich ich wenigstens noch ein Keyboard-Intro draufgespielt hatte. Glücklich oder zufrieden war ich noch nie mit einem Song. Später fällt mir immer irgendwas auf, was man anders hätte machen können. Ich glaube, wenn man restlos zufrieden ist, dann kann man auch aufhören.

Dirk: Das (bislang) finale Studiowerk „The Secret Place“ erblickte das Licht der Welt im Jahr 1995. Ausgestattet mit einem schicken Cover tönt der superbe Longplayer etwas ausgefeilter, entfaltet sich ein wenig langsamer und verlangt im Umkehrschluss somit auch mehr Aufmerksamkeit vom Hörer. Ist diese Aufnahme bewusst so entstanden weil absichtlich an immer mehr Details gearbeitet wurde oder war es eher eine unbewusste, logische Weiterentwicklung?

Ricky: „The Secret Place" war sehr spontan. Die Japaner verlangten ein neues Album und wir gingen einfach ins Studio, obwohl ich erst zwei Stücke fertig hatte. Um ehrlich zu sein, habe ich die anderen Stücke erst dann gemacht, als wir bereits im Studio waren. Wir haben nicht ein einziges Mal geprobt. Deswegen auch das lange Schlagzeugsolo. Ich war damals einfach ausgebrannt.

Dirk: Ging zu dieser Zeit noch irgendwas für euch auf dem Livesektor? Wann und wo fand der bislang letzte Attack-Gig statt und kannst du dir vorstellen jemals nochmal eine Bühne zu betreten?

Ricky: Attack gibt es ja nicht mehr, aber vorstellen kann ich mir vieles. Wo der letzte Gig war, weiß ich gar nicht mehr.

Dirk: Nach dem letzten Studiowerk wurde es sehr still um dich. Welche Gründe gab es hierfür?

Ricky: Dafür gab es viele Gründe; auch private. Aber letztendlich hatte ich mich als Einzelperson einfach übernommen mit dem Studio, dem Label, der Band, komponieren, texten, sich mit Labels rumschlagen usw. Irgendwann habe ich mich einfach zurückgezogen.

Dirk: In der Vergangenheit gab es viele Besetzungswechsel. Vermisst man da nicht so etwas wie ein Bandgefüge oder überwiegen die Vorteile wenn man die Fäden alleine in der Hand halten kann?

Ricky: Ja, leider gab es viele Besetzungswechsel; eigentlich zu viele. Ich hätte mir das auch selbst anders gewünscht. Die Fäden in der Hand zu halten, ist nicht sehr vorteilhaft, denn man macht sich schnell zum Arsch der Band, aber irgendeiner musste ja den Kurs halten, wenn man die Zielrichtung nicht verlieren will. Die meisten Fehler macht man, wenn man viel macht. Wenn man gar nichts macht, dann macht man nur einen Fehler.

attackDirk: Ein neues Album mit dem Namen „Deadlocked“ wurde schon vor sehr vielen Jahren angekündigt und steht hoffentlich demnächst endlich zur Veröffentlichung bereit. Was können die Fans von diesem Album erwarten?

Ricky: „Deadlocked" haben wir schon 1998 aufgenommen. Dann kam erstmal meine Lebenskrise zu ihrem Recht. Ich sitze immer mal wieder dran, es zu mischen. Aber der Titel scheint Programm zu sein. Ich hoffe sehr, dass „Deadlocked" dieses Jahr noch erscheint, auch wenn es vermutlich keinen mehr wirklich interessiert. Aber mir würde wirklich ein zentnerschwerer Stein vom Herzen fallen, der mich nun so lange Jahre blockiert hat.

Dirk: Welcher Release einer anderen Band ist für dich an Perfektion das Nonplusultra und kaum mehr zu überbieten?

Ricky: Alles ist zu überbieten. Es kommt halt darauf an, was man für perfekt hält. Und das ist stets subjektiv.

Dirk: Abschließend hätte ich gerne noch deine Einschätzung zur Entwicklung der Musikbranche im Allgemeinen. Hätten es Attack heutzutage dank dem Internetzeitalter eher leichter oder schwerer gehabt, einen gewissen Bekanntheitsgrad zu erlangen?

Ricky: Ja, jeder hätte es mit den heutigen Möglichkeiten einfacher, aber ob das besser wäre, ist zu bezweifeln. Heute machen die Leute mit Computern Musik. Sie verbreiten Musik mit Computern und stellen ihre Cover mit Computern her. Das ist viel einfacher, wenn man die Menschlichkeit und das Gefühl nicht vergisst. Bach und Beethoven hätten es z. B. auch einfacher und dennoch sind sie unerreicht. Alles ist relativ.

http://attack1.webnode.com/

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Autor: Dirk Determann