HOLY MOSES - Der beste Ausgleich, den man als Therapeut haben kann!


Über 35 Jahre sind die deutschen Thrash Metal-Urgesteine von Holy Moses jetzt schon im Geschäft. Zwar bringen sie nicht mehr so regelmäßig Alben raus, wie noch in den Achtzigern, aber gerade zur Zeit sind sie live wieder sehr viel unterwegs. Mich persönlich begleiten Holy Moses jetzt schon seit über zwanzig Jahren. Bei einem Treffen mit Sängerin Sabina Classen auf dem Rock Hard Festival vor zwei Jahren hatten wir mal über ein Interview geredet, doch es zog noch einige Zeit ins Land. Zwei Wochen hatte zudem Sabinas Praxis geschlossen, weil sie kürzlich mit Holy Moses die „70.000 Tons Of Metal“ mitgemacht hat. Doch jetzt hat es endlich geklappt, und Sabina gab 45 Minuten lang am Telefon Auskunft über die Anfänge und den Werdegang von Holy Moses, ihren Seitensprung mit Temple Of The Absurd und auch über ihre TV-Karriere.

logoÜber 35 Jahre sind die deutschen Thrash Metal-Urgesteine von Holy Moses jetzt schon im Geschäft. Zwar bringen sie nicht mehr so regelmäßig Alben raus, wie noch in den Achtzigern, aber gerade zur Zeit sind sie live wieder sehr viel unterwegs. Mich persönlich begleiten Holy Moses jetzt schon seit über zwanzig Jahren. Bei einem Treffen mit Sängerin Sabina Classen auf dem Rock Hard Festival vor zwei Jahren hatten wir mal über ein Interview geredet, doch es zog noch einige Zeit ins Land. Zwei Wochen hatte zudem Sabinas Praxis geschlossen, weil sie kürzlich mit Holy Moses die „70.000 Tons Of Metal“ mitgemacht hat. Doch jetzt hat es endlich geklappt, und Sabina gab 45 Minuten lang am Telefon Auskunft über die Anfänge und den Werdegang von Holy Moses, ihren Seitensprung mit Temple Of The Absurd und auch über ihre TV-Karriere.

Daniel: Hallo Sabina! Erzähl uns doch bitte zunächst etwas über die Gründung von Holy Moses im Jahr 1980! Wie kam der Stein damals ins Rollen?

Sabina: Hi Daniel! Ich habe ja gesagt, ich rufe dich pünktlich an. Ja, die Originalgründung von Holy Moses war ja ungefähr schon 1978. Das war die Schulband unseres Gymnasiums. Und im Jahr 1981 dann hatten Andy und ich eine kleine Band zusammen; die hieß Disaster. Da habe ich aber noch Bass gespielt. Wir waren auch alle auf diesem Gymnasium. Und bei Holy Moses ist damals der Gitarrist und Sänger ausgestiegen. Die hatten schon von unserer kleinen Band gehört und den Andy Classen gefragt, ob er nicht bei Holy Moses einsteigen will. Da war ich erstmal stinksauer auf Holy Moses, weil das die Großen waren; die waren schon im Abi. Und dadurch war unsere kleine Band Disaster eigentlich nicht mehr vorhanden, weil Andy dann bei Holy Moses einstieg. Ich hing dann eigentlich immer so im Proberaum rum, weil die auch mittlerweile ihren Proberaum bei uns in der Schule im Keller hatten. Sie hatten dann Andy als Gitarristen und jemand anderen, der gesungen hat. Und dann haben eines Tages den Sänger rausgeschmissen, und da ich immer im Proberaum rumhing, weil ich Andys Freundin war, haben die dann gesagt, ´Komm, du hängst hier immer rum. Jetzt singst du!´ Ich habe gesagt, ich kann nicht singen. Ich will auch gar nicht singen, und ich hatte darüber auch nie nachgedacht. Ich bin ja sogar aus dem Schulchor geflogen, haha! Aber dann gaben sie mir Texte und Mikro und sagten, ´Jetzt mach mal!´ Ich bin dann eigentlich einfach nur aufgestanden, um den zu sagen, ´Leute, ich kann nicht singen. Vergesst es!´ und habe einfach ins Mikrofon reingebrüllt. Und das war mein Schicksal, hehe! Daraufhin haben sie gesagt, ´Das ist es! Das war der Hammer! Mach das nochmal!´ Na ja, und dann habe ich da nochmal reingebrüllt, und ich hatte den Job. Ich wusste am Anfang, ehrlich gesagt, überhaupt nichts damit anzufangen. Mir war auch überhaupt nicht klar, was die da von mir wollten. Es gab ja auch keine Vorbilder. Es gab ja damals noch niemanden, der gegrowlt hat, noch nicht einmal in der Männerwelt. Ich fand die Rolling Stones, Jimi Hendrix und Black Sabbath damals total super. Ich hätte auch lieber so wie Ozzy Osbourne gesungen, aber das kam halt nicht bei mir raus, hehe! Damit hatte ich aber den Job bei Holy Moses und, na ja, 35 Jahre später bin ich da immer noch.

Daniel: Welche Bands haben euch musikalisch beeinflusst? Und inwiefern haben sich diese Einflüsse in den 36 Jahren geändert?

Sabina: Oh ja, wie gesagt, damals, was wir bei Holy Moses gehört haben, waren AC/DC, Black Sabbath, ein bisschen Kiss, fand ich aber nicht so gut. Ich war mehr der typische AC/DC- und Black Sabbath-Fan. Und eigentlich hat es mich sehr beruhigt damals, in den ersten Jahren, als ich dann das erste Demotape von Venom in den Händen hatte, was dann schon eher in die Richtung ging von dem, was wir da im Proberaum fabrizierten. Und ich fühlte mich dann nicht mehr ganz allein mit dem Krach. Dann kamen natürlich auch schnell Bands wie Possessed und Slayer. Und dann wurde ich mir immer sicherer, denn damals hieß ja alles auch noch Hard Rock. Da kamen dann so die ersten, die halt das Wort Metal benutzt hatten. Und dann konnte ich mich selbst auch besser wiederfinden. Das hat natürlich auch uns dazu animiert, noch besser zu werden und einfach das weiter durchzuziehen, was wir da schon in den Ansätzen gemacht haben.

Daniel: Wovon handeln eure Texte? Gibt es eine Art Kernaussage, die ihr damit vermitteln wollt? Die üblichen Metal-Klischees gab es bei euch ja eigentlich nie... Oder ist alles immer realistisch und aus dem Leben gegriffen?

Sabina: Ja, das war eigentlich alles schon aus dem Leben gegriffen. Ich habe immer schon großes Interesse an der Psychologie gehabt, seitdem ich vierzehn bin und habe damals schon sehr viele Sachen in diese Richtung eingebracht, wobei wir am Anfang auch einen Song hatten, der „Heavy Metal“ hieß. Der war noch auf dem „Walpurgisnight“ Demo. Der ist nie auf eine Platte gekommen. Mit Textzeilen wie „Heavy Metal – We´re Proud And Loud“ und so... Man hat sich halt ausprobiert. Aber ich habe für mich schnell gemerkt, dass ich viel tiefsinnigere Sachen machen wollte. Das waren am Anfang auch politische auf der einen Seite, aber anderseits auch Texte wie „Finished With The Dogs“. Da ging es einfach nur darum, dass Uli Kusch, unser alter Drummer, sein altes Schlagzeug aus dem Proberaum abholen wollte, und er von zwei Hunden angegriffen wurde, weil er über den Zaun klettern musste, weil er den Proberaumschlüssel vergessen hatte. Also, es hat sich am Anfang noch sehr gemischt. Es hat sich aber über die Jahre immer weiter herauskristallisiert, dass die Themen von der menschlichen Psyche handelte und das, was auf der Welt so los ist. Auf „Finished With The Dogs“ war zum Beispiel auch ein Song namens „Six Fat Women“, der davon handelte, dass auch mal etwas dickere Frauen in der Sonne liegen, und was die da für Gedanken bekommen. Das fing da schon ganz gut an. Auf der „Queen Of Siam“ haben wir uns noch sehr ausprobiert, wobei auch der Text des Titelstücks von einer thailändischen Freundin von unserem Basser handelte. Der hatte späte auch Geographie und Ätiologie und so etwas studiert. Wir hatten auch alle Philosophie in der Schule. Andy und ich waren auch im gleichen Philokurs. Da hat man schon gemerkt, dass uns das berührte. Das war immer das, was uns interessierte. Ich habe auch viele Jahre später erst kapiert, dass im Metal so mit Klischees und Rock´n´Roll-Texten mit Saufen und so gearbeitet wird. Das habe ich erst viel später verstanden, war aber auch nie so mein Ding.

Daniel: Lass uns mal ein bisschen in der Bandgeschichte graben, okay? Ihr habt euch ja ziemlich lange im Demostadium herumgetrieben. Wie seid ihr damals an den Deal mit Aaarrg Records gekommen, die euer Debüt „Queen Of Siam“ veröffentlicht hatten?

Sabina: Das war auch eine abgefahrene Geschichte, weil wir überhaupt nicht den Plan hatten, einen Plattenvertrag zu bekommen. Das war überhaupt nicht unsere Idee. Für mich hatten Bands wie Black Sabbath oder AC/DC Plattenverträge. Und es war auch gar nicht unser Ziel. Wir hatten aber viele Freunde. Wir waren ja in Aachen in diesem Drei-Länder-Eck mit Belgien, Holland und Deutschland, und wir haben halt auch viel in Belgien und Holland gespielt. Aber Freunde von uns wollten einfach Tapes von uns haben und damit im Endeffekt auch angefangen, die ersten Demos für uns zu machen. Die sind einfach gekommen, haben ihren Kassettenrekorder in den Proberaum gestellt und daraus sind die ersten Tapes entstanden. Und die haben sie dann auf Konzerten für uns verkauft an Leute, die einfach die Musik mit nach Hause nehmen wollten. Und die waren es auch, die dann irgendwann gesagt haben, ´Nehmt das mal ein bisschen besser auf.´ Dann haben wir im Proberaum mit einer Vier-Spur-Maschine aufgenommen, um den Sound ein bisschen besser hinzubekommen. Und die haben dieses Tape genommen und haben das an Plattenfirmen geschickt. Ich war selber sehr verblüfft, als sich die ersten Plattenfirmen gemeldet haben. Wie haben sie dann auch gefragt, wie sie da dran gekommen sind und wie sie die bekommen haben. Und die haben uns dann eingeladen, wir sollten doch mal vorbeikommen. Was wir damals auch noch überhaupt nicht gerafft haben, weil sie uns einfach da ins Studio gestellt haben und wirklich nur mal gucken wollten, ob ich wirklich ein Mädchen bin und ich wirklich so brülle, oder ob wir da mit irgendwelchen Tricks arbeiten, hehe! Und wo sie auch sehr interessiert waren, war einfach, ob der Schlagzeuger wirklich Doublebass spielte. Das war ja damals auch noch nicht so Gang und Gäbe; ob wir das auch wirklich umsetzen konnten, was da auf dem Tape ist. Und die haben das aufgenommen. Wir haben damals den Song „Walpurgisnight“ aufgenommen. Und was für mich total ungewöhnlich war: Die haben die Jungs in den einen Raum geschickt und mich in den anderen, damit sie das soundmäßig besser aufnehmen konnten. Und das war zum ersten Mal in meinem Leben, dass ich zwar alles über Kopfhörer hatte, was sie gespielt haben, aber ich konnte sie gar nicht sehen und da hingucken. Das fand ich sehr mystisch damals, haha! Und als die uns das aufgenommen haben, hatten sie uns den Plattenvertrag vor die Nase gelegt und haben gesagt, dass sie den Song, den wir da gerade aufgenommen hatten, auf diesen „Metallic Bunnys“-Sampler bringen wollen. Ich meine, wenn ich mir die Aufnahme aus heutiger Sicht anhöre, dann war das schon grausam, aber wir haben natürlich gesagt: "Boah, dann macht mal!" Als sie gesagt haben, wir wollen mit euch eine ganze Platte machen, hatten sie sich dann aber total zerstritten, und wir haben den Vertrag von jemand ganz anderem bekommen. Wir haben das damals einfach unterschrieben. Wir haben nur geguckt, ob wir irgendwas bezahlen müssen, und dann war´s das. Die brachten dann die Platte raus, und wir hatten unseren ersten Plattenvertrag. So sind wir quasi, wie man so schön sagt, von der Jungfrau zum Kinde gekommen, hehe!

holy mosesDaniel: Man liest ja ständig von Bands wie Sodom oder Kreator, dass das Debüt in nur wenigen Tagen aufgenommen wurde und alles ziemlich chaotisch verlief, weil die Bands damals noch völlig unerfahren waren... War das bei Holy Moses auch so?

Sabina: Ja klar! Bei der „Queen Of Siam“ waren es sieben Tage, wo alles aufgenommen worden ist. Wir hatten ja überhaupt keinen Plan und nach dem einen Song erst das zweite Mal, dass wir überhaupt ein Studio von innen gesehen hatten. Wir hatten keine Ahnung, was die da mit uns machen und vorhaben. Ich kann mich noch erinnern, dass damals der Produzent gesagt hatte, der Song wäre zu lang und wie sollen wir den kürzen und so. Die waren teilweise acht Minuten lang. Auf den Tapes waren ja auch die alten Versionen noch drauf. Ja, das war total chaotisch, weil wir halt ja auch gar nicht wussten, wenn er sagt, du musst jetzt die Gitarre alleine spielen, mit Kopfhörer auf, wie das geht. Ich habe mich, ehrlich gesagt, dabei auch nicht besonders wohl gefühlt. Auch mit dem Gesang: Du konntest ja gar nichts doppeln. Du hattest ja nur Bandmaschinen. Es war auch ganz schwierig, dieses Gefühl überhaupt zu haben, dann auch richtig einzusetzen. Früher haben die Jungs mich immer angeguckt und mir zugenickt und so etwas, hehe! Ja, das war schon chaotisch. Das kann man schon so sagen. Und dann alles in sieben Tagen! Wenn man sich überlegt, es spielen dann ja auch nicht alle zusammen. Aber das war halt so die Zeit.

Daniel: Wie war es eigentlich für dich damals, dass du den Posten der Sängerin übernommen hast? War das von Anfang an so geplant? Und hast du von deinem Umfeld sofort die Anerkennung bekommen? Oder wurdest du auch mal milde belächelt? Damals war das ja doch recht ungewöhnlich; vor allem bei dieser Art Musik...

Sabina: Na ja, sagen wir mal so: Man hat uns insgesamt mit der Band belächelt, weil Metal eben noch nicht das große Thema war. Es war ja auch die Zeit der Neuen Deutschen Welle. Wir haben sowieso etwas gemacht, was niemand bei uns auf der Schule gehört hat. Wir hatten dann zwar schon schnell einen kleinen Fanclub-Kreis gehabt, weil wir einfach etwas abgefahrenes gemacht haben. Und für die war das einfach normal. Ich gehörte von Anfang an dazu. Also es war jetzt nicht so, dass einer irgendwie gesagt hat, das ist aber eine Männerdomäne; einfach, weil diese Art von Musik noch gar nicht so bekannt war. Das wurde einfach hingenommen. Ich glaube, ob ich jetzt ein Mann oder eine Frau war, war völlig egal. Wenn ein Mann so gebrüllt hätte, dann hätten sie es vermutlich genauso abgefahren gefunden.

Daniel: Mittlerweile gibt es viel mehr Bands mit aggressivem, weiblichen Gesang in der Metalszene, z. B. Arch Enemy oder Izegrim. Findest du das generell gut? Und kannst du mit solchen Bands etwas anfangen?

Sabina: Ja, klar kann ich etwas mit denen anfangen! Und ich finde es auch super, weil man spürt, dass man so ein Eis gebrochen hat. Viel später wurde erst diskutiert, was Frauen im Metal machen; am Anfang gar nicht so. Und dass sich immer mehr Mädels einfach getraut haben, ihr Inneres rauszugeben und einfach das zu machen, wo sie Lust drauf haben, finde ich natürlich toll! Mit den Leuten Izegrim haben auch guten Kontakt. Die sind natürlich viel, viel jünger als ich; zwanzig Jahre oder mehr! Und dann merke ich halt, dass ich auch ein bisschen stolz bin und sagen kann, ich habe einfach etwas Neues gemacht, was einzigartig war und wo andere einfach den Mut gefunden haben, das auch zu machen. Und das ist natürlich ein Supergefühl. Das freut mich auch, dass andere Frauen sich da keine Gedanken machen und sagen, sie machen einfach, wo sie Lust zu haben; dass man so eine Vorbildfunktion auch hatte.

Daniel: Lass uns noch ein bisschen durch die Bandgeschichte gehen, ja? 1994 kam es zu einem Umbruch in der Band. Ihr hattet bis dahin regelmäßig Alben veröffentlicht, aber 1994 hattest du die Band verlassen. Warum? Was war da los?

Sabina: Also, offiziell habe ich die Band eigentlich nicht verlassen. Es war so, dass es musikalisch zu viel geworden ist. Mitte der Neunziger war echt nicht mehr die Zeit für Thrash Metal. Viele haben sich auch ausprobiert und haben geguckt, was machen sie eigentlich. Ich glaube, die größte Tatsache war, dass ich mit Temple Of The Absurd einfach nochmal etwas ausprobiert habe mit neuen Leuten. Und das kam auch daher, dass ich mich von Andy getrennt hatte. Andy und ich waren seit 1978 zusammen, und das war natürlich auch eine sehr schwierige Zeit für mich, dass wir uns getrennt hatten. Wir sind heute gute Freunde. Wir waren auch damals gute Freunde. Wir haben nur gemerkt, dass wir wie Bruder und Schwester sind. Wir waren ja verheiratet und seit unserem vierzehnten Lebensjahr zusammen. Es war einfach die Zeit der Erneuerungen. Ich habe mich aber immer als Sabina von Holy Moses gesehen und habe Temple Of The Absurd dazu gemacht, aber wir haben tatsächlich keine Platten mehr mit Holy Moses gemacht, weil kein Fluss mehr da war. Es war einfach unklar, wie es weitergehen sollte. Da waren keine richtigen Ideen mehr. Es war so eine verlorene Zeit. Man musste sich auch neu finden. Wir waren dann mittlerweile über Dreißig. Aus heutiger Sicht würde ich sagen, wir waren noch sehr jung, weil alles bei uns so früh angefangen hat, hehe! Aber da passiert dann ganz viel im Leben. Es gab in der Zeit auch viele Wechsel der Musiker, weil viele mit dem Studium fertig waren oder Familien gründeten. Das ist eine Zeit, so mit dreißig, wo es zu vielen Erneuerungen kommt, zu einem neuen Lebensabschnitt. Wir waren ja auch nie die großen Rockstars, die von der Musik alleine leben konnten. Und dann musste jeder natürlich schauen, wie er im Leben zurecht kommt. Und da ist Dreißig natürlich so ein Abschnitt. Das war einfach die Zeit, warum wir jetzt nicht die Megagrößten waren. Ich glaube, viele Bands bleiben auch so lange zusammen, weil sie viel mehr Erfolg haben und davon leben. Dann kann man das ja auch einfacher gestalten. Die Plattenverkäufe waren zu dem Zeitpunkt dann auch nicht mehr so hoch. Und so musste man erst einmal wieder herausfinden, wer wir eigentlich sind. Es hat dann auch im Endeffekt nochmal fünf Jahre gedauert, bis 2000, dass ich gesagt habe, nein, ich bin die Sängerin von Holy Moses und keine andere Band ersetzt das, weil mein Herz auch viel zu sehr mit der Band verwurzelt ist.

Daniel: 1994 erschien auch das einzige Album, auf dem du nicht gesungen hast: „No Matter What´s The Cause“, das viel hardcorelastiger ausgefallen war, und auf dem dein Ex-Mann Andy Classen gesungen hatte.

Sabina: Naja, so ein bisschen bin ich ja drauf, haha! Ja genau, das war halt nicht mehr meine Musik. Ich kann zwar bestimmte Hardcore-Sachen auch gut hören, aber auch nicht zu lange, hehe! Es ist mir auch irgendwie zu aggressiv. Es ist einfach nicht meins. Und das war der Punkt, dass sie halt in diese Richtung gingen, weil sich das einfach so entwickelt hatte. Und da habe ich auch gemerkt, dass ich da gar nicht so gut drauf singen konnte. Ich habe die Platte 1994 komplett eingesungen! Aber für Andy war es dann nicht so, wie er das haben wollte. Es waren ja auch seine Songs. Und dann hat er halt selber die Parts eingesungen, und dann ist nicht mehr viel von meinem Gesang übrig geblieben.

Daniel: Das Album fiel voll aus dem Rahmen. Wäre es im Nachhinein nicht klüger gewesen, dass Album unter einem anderen Namen zu veröffentlichen?

Sabina: Absolut! Da hast du total recht! Das ist, glaube ich, der größte Schwachsinn gewesen! Aber es war natürlich so, dass die Plattenfirma das damals besser vermarkten wollte. Da hätten wir uns viel mehr durchsetzen müssen! Wir waren aber noch nicht so weit. Da hat uns einfach die Erfahrung gefehlt, zu sagen, dass das Schwachsinn ist, und dass das nicht Holy Moses sind. Da war dann aus der Ursprungsbesetzung wirklich nur noch Andy Classen mit dabei. Und das würden ja auch die Fans völlig falsch verstehen, wenn Sabina da nur wenigen Passagen eingesungen hat. Ja, im Nachhinein war es total bescheuert, es so zu machen. Ich glaube, es wäre viel besser gewesen damals, dieser Band bzw. diesem Projekt einen anderen Namen zu geben.

holy mosesDaniel: Wie waren die Reaktionen der alten Fans auf das Album überhaupt? Haben die viel genörgelt? Habt ihr da etwas von mitbekommen?

Sabina: Es war ja damals noch nicht so, dass es so etwas wie Facebook oder so gab. Man hatte ja noch nicht so viele Kontakte zu Leuten, die etwas dazu gesagt haben. Es war halt so, dass viele damit natürlich nicht klar kamen, dass bei Holy Moses draufsteht, aber ich nicht drauf singe oder kaum. Interessanterweise hat es sich jetzt im Nachhinein etwas geändert, weil viele es auch wiederum jetzt als Kult sehen, dass es diese Scheibe gibt. Im Nachhinein sind vermutlich mehr Platten davon verkauft worden als damals am Anfang, weil es jetzt zur Geschichte von Holy Moses auch mit dazu gehört und so schräg geworden ist. Viele waren aber auch wiederum Fans von Dan Lilker, der auch auf der Platte gespielt hat, und Andys Gitarrenspiel, so dass sie es schon gut aufgenommen haben. Aber die Ursprungsfans, die auch den Gesang von Sabina hören wollten, die waren natürlich enttäuscht. Da bin ich mir sicher!

Daniel: Danach hatten sich Holy Moses auch aufgelöst und du hattest Temple Of The Absurd gegründet, bei denen auch zwei Warpath-Leute mitspielten, und von denen es zwei Alben gab: „Absurd“ (1995) und „Mother, Creator, God“ (1999). Wo lagen für dich genau die Unterschiede zwischen Holy Moses und Temple Of The Absurd, sowohl musikalisch als auch textlich? Oder waren Temple Of The Absurd nur eine logische Fortführung dessen, was du ursprünglich noch mit Holy Moses geplant hattest?

Sabina: Das ist eine gute Frage! Ich glaube, wir sind bei Temple Of The Absurd so herangegangen und haben es einfach gemacht. Ich hatte erst vor, ein Soloprojekt zu machen, das aber Death Metal-mäßiger geworden wäre. Aber daraus ist dann eigentlich Temple Of The Absurd entstanden, obwohl das gar nicht so Death Metal-mäßig war. Das waren natürlich die Songs von Robert „Ozzy“ Freese und Thomas „Schrödey“ Schröder, die sie wiederum bei Warpath nicht unterbringen konnten. Es war eine sich ganz frei fühlende Zeit. Also ich habe durch diese Band ganz viel erlebt. Wir haben viele abgefahrene Sachen gemacht, sind durch die Welt gereist und haben nochmal richtig Rock´n´Roll gemacht vom inneren Gefühl her. Ich war frei, gerade von Andy getrennt, man konnte einfach mal so in die Welt rausziehen und wir haben einfach gesagt, wir gucken mal, was da kommt. Es war eine ganz erfahrungsreiche Zeit. Dabei waren Ozzy, Schrödey und ich eine verschworene Gemeinschaft, die auch heute noch sehr gute Freunde von mir sind und auch zu meinen engsten und besten Freunden zählen. Es war so, dass Freunde einfach zusammen durch die Welt reisen.

Daniel: Wie kam es denn im Jahr 2000 zu der Rückbesinnung zu Holy Moses?

Sabina: Ähm, ich weiß nicht, ob es nur der Motorradunfall war, den ich hatte. Bei Temple Of The Absurd war es so, dass Ozzy halt erkrankt ist und nicht mehr mitspielen konnte. Dann hatten wir auch neue Musiker, und es war einfach nicht mehr so, wie das am Anfang war. Ich glaube einfach, dass bestimmte Sachen einfach für eine bestimmte Entwicklung des Menschen da sind, und es sich ergibt, dass sich etwas ändert. Und ich habe gespürt, dass es mir nicht mehr das gegeben hat, was wir am Anfang erlebt haben, in den ersten Jahren mit Temple Of The Absurd. Das ist so ein Gefühl, das kann man mit Worten nicht näher beschreiben. Ich meine, ich war schon bei Holy Moses, seit ich sechzehn/siebzehn war, und ich habe einfach gespürt, es ist jetzt an der Zeit, zurückzugehen zu dem, was der Ursprung war. So kann ich es am besten erklären. Es war ein reines Gefühl. Dann hat Schrödey mir ja auch geholfen, mit Andy Classen zusammen, Holy Moses wieder aufzubauen. Andy und Schrödey haben es produziert, Andy hat die Songs noch geschrieben. Beide haben klargestellt, dass es für mich klar ist, dass sie nicht zusammen mit Holy Moses auf die Bühne gehen. Schrödey ist dann unser Live-Mischer geworden bei Holy Moses. Und ich habe mir dann halt Musiker gesucht, mit denen ich live auftreten kann, um dann daraus wieder eine richtige Band werden zu lassen. Das hat zwar seine Jahre gedauert, dass ich jetzt seit einigen Jahren eine feste Besetzung habe, wo ich mich wohl fühle. Das war auch nochmal so ein Suchen-und-Finden-Prozess, denn für die neuen Leute war es ja so, dass sie in eine Band kamen, die es schon lange gibt, aber sie stiegen ja erst neu ein. Wir haben ja auch schon spaßeshalber gesagt, sie steigen in eine Holy Moses-Coverband mit der Original-Sängerin ein, haha! Und das ist halt ein Prozess, da muss man sich erst wieder finden. Und das dauerte.

Daniel: Da Holy Moses nach der Jahrtausendwende weniger aktiv waren, kommen wir auch mal zu dir persönlich: Du hast dich ja in deiner bandfreien Zeit als Hypnose- und Psychotherapeutin selbstständig gemacht. Wann war das und wie kam es dazu?

Sabina: Ja genau. Also ich habe schon mit vierzehn autogenes Training und Hypnose gelernt per Eigenerfahrung. Und ich habe schon über Jahre viele Seminare besucht und die Ausbildungen dazu gemacht und habe auch in den Neunzigern schon als Coach und Berater im Musikbusiness gearbeitet und habe mit Bands gearbeitet, die zum Beispiel Auftrittsängste oder Flugängste hatten, und mit dem Hintergrund schon in dem Bereich gearbeitet, habe dann aber auch noch Psychotherapie gemacht und musste auch Diagnosen stellen. Dann habe ich auch meine Praxis eröffnet.

Daniel: Du bist ja auch seit 2011 im TV als Messie-Therapeutin zu sehen. Wie bist du damals mit RTL 2 in Kontakt gekommen für die Sendung?

Sabina: Die haben mich im Netz gefunden, weil sie den Plan hatten, diese Sendung zu machen. Und es gibt halt nicht viele Therapeuten, die sich mit dem Messie-Phänomen beschäftigen. Die haben dann ein paar ausfindig gemacht und Castings gemacht und, ja, haben mich dann genommen, haha!

Daniel: Oft hört man ja, dass in solchen TV-Shows vieles nur gestellt ist. Wie authentisch ist „Das Messie-Team“ wirklich? Sind das nur nachgestellte Fälle?

Sabina: Nein, das ist pur und unverfälscht. Es gab kein Skript. Das waren alles echte Fälle, und ich bin gerade dabei mit dem Abschluss zu meinem Buch, „Der Messie In Uns“. Aber die Frage, die du gerade stellst, haben mir natürlich schon viele Leute gestellt. Dieses Messie-Phänomen ist ja auch für viele Menschen gar nicht begreifbar. Viele können sich gar nicht vorstellen, dass das alles echtes Material ist. Und natürlich, wie bei einem Sender, es kam ja im Fernsehen, sind zum Großteil auch die sehr extremen Fälle gezeigt worden. Wobei ja dort auch Fälle waren, die vom Schweregrad nicht ganz so sichtbar waren. Aber es waren natürlich viele extreme Fälle da. Wie der Hintergrund dahinter allerdings aussieht, das habe ich jetzt alles in meinem Buch beschrieben, denn die Sendung gibt es ja jetzt nicht mehr. Ich habe einfach, um das Phänomen nochmal zu erklären, deswegen das Buch dazu geschrieben.

Daniel: Ich hatte halt überlegt, ob das vielleicht gestellte Fälle sind, denn bei Therapeuten gibt es ja so etwas wie Schweigepflicht, und es ist bestimmt nicht jedem Patienten recht, dass er im TV quasi bloßgestellt und vorgeführt wird und ganz Deutschland zusehen kann. Dabei geht es ja durchaus um eine ernst zu nehmende Krankheit, die auf die Psyche schlägt...

Sabina: Ja klar. Aber das ist ja in dem Fall kein Bloßstellen, denn diese Menschen haben ja wirklich diese Hilfe angefordert. Und das Entbinden der Schweigepflicht, klar! Wie du schon richtig gesehen hast: Sie haben das unterschrieben und waren damit einverstanden, so dass diese Leute auch die Hilfe bekommen haben, die sie sich sonst gar nicht leisten und die Kosten dafür tragen konnten. Sie werden natürlich darauf vorbereitet, damit es ihnen bewusst ist, dass das nachher gezeigt wird. Und sie sind dann auch nachher natürlich noch in der Privatbetreuung. Vielen wird natürlich auch nachher erst richtig bewusst, wenn sie dann Kontakt zu anderen Menschen haben, dass es jetzt jeder weiß. Aber es sind wirklich echte Fälle gewesen, nicht nachgespielt, und das sieht man auch manchmal, wie die Fälle dann ausgegangen sind oder was man machen kann, wo auch nicht immer alles gelöst worden ist.

Daniel: Aber am Ende der Sendung war ja anscheinend wieder alles in Ordnung. Hast du noch Kontakt zu den Leuten und mal überprüft, ob das auch so bleibt? Und gab es auch Leute, die rückfällig geworden sind?

Sabina. Oh ja, natürlich; sogar sehr viele! Und es ist auch nicht so, dass am Ende der Sendung immer alles wieder gut war. Das Ende der Sendung war ja immer nur ein Fitzel des Höhepunktes. Normalerweise würde ich auch nicht immer sofort alles leer räumen! Das ist im Buch auch ganz klar beschrieben, denn das ist ein ganz langer Prozess. Man muss nur dann sofort leer räumen, wenn es schon richtig vermüllt ist und die Hygiene nicht mehr gegeben ist und die Menschen nicht mehr richtig darin leben können. Das ist ein ganz wichtiger Punkt! Jeder muss seinen eigenen Leistungsdruck spüren. Sonst kannst du nichts verändern. Sie haben alle weitere Therapiestunden gehabt, denn es ist eine richtige Langzeittherapie, die dann gemacht werden muss in so einem Fall. Aber man kann natürlich keinen zwingen. Ich habe auch einige Kontakte, die ganz stolz sind und mir eine Nachricht per WhatsApp schicken und sagen, dass sie es geschafft haben und sogar eine Ausbildung dazu gemacht haben und dieses und jenes. Ich weiß aber auch von vielen Fällen, die diese Nachbearbeitung bei Therapeuten nicht in Anspruch genommen haben, bei denen es wahrscheinlich auch nicht reicht. Das ist der Schaden auf der einen Seite. Aber meistens melden sich später nur die Leute, denen es danach auch wirklich gut geht. Und ich habe dadurch den Ansatz bekommen. Aber diese Sendung hat das Problem natürlich nicht gelöst. Es ist nur die Spitze des Eisberges und so kann man zeigen, wie man es angeht, und daran muss natürlich weiter angeknüpft werden. Von einer Sendung, die zwei Wochen dauert, wo ich vor Ort bin, ist natürlich noch keiner geheilt! Dafür ist dieses Phänomen viel zu stark.

holy mosesDaniel: Als bekannt wurde, dass du die Sendung machst, wurde zunächst viel negatives über dich berichtet. Ich kann mich an einen Zeitungsartikel erinnern, in der das „Too Drunk To Fuck“-Cover abgebildet war, wo du mit einer leeren Whiskyflasche auf dem Boden liegst, und wo dann geschrieben wurde, dass du ja selbst mal voll verwahrlost warst usw. Hat dich das schwer getroffen? Oder hast du da drüber gestanden? Oder hast du deinen Kritikern vielleicht sogar gesagt, dir ging es auch mal richtig Scheiße, und du willst den Leuten helfen, wie man da raus kommt?

Sabina: Haha, ja, ich musste voll lachen! Ich habe echt gelächelt, weil es jeder sehen konnte, dass es ein gestelltes Foto war, was zu einer Platte gehörte für einen Song, der noch nicht einmal von uns war, sondern den wir von den Dead Kennedys gecovert haben. Und das fand ich so geil, dass da die Metalszene zusammengehalten hat. Ich habe das ja nur so von außen beobachtet, wo die Menschen geschrieben haben, ´Also, zunächst einmal schreibt man „Thrash“ mit „th“ und nicht ohne, und ´Warum sollten Metaller denn nicht auch studiert haben? Sind wir jetzt alle dreckige Arschlöcher oder was?´, hehe! Das fand ich echt geil, dass die Metalszene diese unqualifizierten Sachen hinterfragt hat. ´Wenn ihr richtig recherchiert hättet, dann wüsstet ihr auch, dass das Foto nicht von 2006 ist, sondern das die Platte schon 1993 rauskam.´ usw. Aber das gehört dazu, wenn man sich in die Öffentlichkeit schiebt und so etwas macht, was ungewöhnlich ist, dann gibt es immer auch Menschen, die es nicht verstehen. Dann kommt es zu Reaktionen. Und das ist auch der Grund, warum ich das Buch schreibe, um nochmal zu zeigen, dass die Sendung nicht da ist, um sich lustig zu machen, sondern das da etwas tiefes hintersteckt.

Daniel: Das Buch: „Der Messi in uns“ erscheint im April 2016. Erzähl mal etwas mehr darüber! Geht es da nur um das Krankheitsbild allgemein? Oder gibt es auch Fallbeispiele aus der Sendung, um die Krankheit besser verstehen zu können?

Sabina: Nein, es sollte erst am 22. April erscheinen, aber da ich mit Holy Moses jetzt in letzter Zeit doch etwas mehr unterwegs war, ist es jetzt verschoben worden. Ich glaube, der jetzige Termin ist im Mai oder Juni. Ich habe Fälle hier aus meiner Praxis genommen, wo ich natürlich die Namen verändert habe, damit man halt nicht jemand wiedererkennen kann. Das sind aber alles Fälle aus der Praxis. Das ist komplett getrennt. Das Buch hat nichts mit der Sendung zu tun, sondern nur mit dem Messie-Phänomen an sich und mit Hintergründen; eine Mischung aus Fachbuch und Sachbuch, aber auch in der Erzählweise, dass man halt wirklich von Grund auf versteht und auch merkt, dass er in Gefahr ist aufgrund von psychischen Veränderungen. Man muss nicht Messie werden. Es geht darum, was dahinter steckt, im Endeffekt, was in der Seele ist.

Daniel: Du heißt heute Sabina Hankel-Hirtz, firmierst bei Holy Moses aber immer nur unter dem alten Namen Sabina Classen. Warum? Ist Classen so etwas wie dein Band-Pseudonym geworden, unter dem dich alle Fans kennen? Oder willst du Band und Beruf klar voneinander trennen?

Sabina: Nee, das ist ganz klar, dass auch in meinem Pass noch Sabina Classen steht, und Sabina Hirtz. Hankel war nur zwischendurch mal, als ich mit einem Michael Hankel verheiratet war. Sabina Hirtz ist mein Geburtsname, der auch noch in dem alten Demotape steht, bevor ich Andy Classen geheiratet hatte. Ich habe aber den Namen Sabina Classen auch behalten und als Künstlernamen auch in meinen Reisepässen eintragen lassen. Also ich habe beide Namen.

Daniel: Du wirkst in der Sendung immer so ruhig und abgeklärt, auf der Bühne dagegen sehr aggressiv. Wissen einige deiner Patienten überhaupt, dass es diese „zwei Gesichter“ von dir gibt?

Sabina: Ja, die meisten. Du kannst ja über das Internet heute auch gar nichts mehr geheim halten. Das gehört zu mir. Da bin ich stolz drauf, dass ich das mache, und das ist der beste Ausgleich, den man haben kann als Therapeut! Viele Leute haben auch Schwierigkeiten abzuschalten und sind dann immer mit dem Kopf da drin. Musik ist sowieso ein super therapeutisches Mittel. Das ist für mich einfach etwas, da stehe ich zu, das bin ich beides, und ich kann beide Seiten machen. Das ist auch ein Beispiel für viele Klienten, aus sich herauszugehen und einfach sie selber zu sein, und das auch zeigen zu dürfen, dass vieles in einem steckt.

Daniel: Gibt es heute eine Holy Moses-Platte, auf die du besonders stolz bist oder die du vielleicht auch heute überhaupt nicht mehr magst? Und wenn ja: Warum?

Sabina: Boah! Nee, das gibt es eigentlich nicht, denn wir spielen auch von fast allen Platten die Songs. Ich meine, klar, die „No Matter What´s The Cause“ ist für mich keine richtige Holy Moses-Platte, wobei ich einen Song wie „Hate Is Just A 4 Letter Word“ auch immer noch unheimlich schön finde. Aber ich bin froh über jedes Album. Jede Platte zeigt mir eigentlich, was in meinem Leben passiert ist. Ich kann immer noch aufgrund der Titel auf den Platten wissen, was zu den Zeiten in meinem Leben gerade passierte. Das war eine gute Hilfe, um sich alles im Leben aufzuschreiben, hehe!  

Daniel: Warum handelt es sich nach so vielen Besetzungswechseln für dich immer noch um dieselbe Band?

 Sabina: Weil ich einfach so eng damit verbunden bin! Es wäre Quatsch, wenn ich mir einen anderen Namen geben würde. Das habe ich ja auch mit Temple Of The Absurd später ausprobiert, wie sich das anfühlt. Es war okay, aber es ist natürlich immer wieder der Gedanke gewesen, auch von Plattenfirmen, nennen wir es jetzt Sabina oder geben wir dem einen anderen Namen. Aber ich sehe es ein, das bin ich. Und jetzt ist es auch so, dass die Bandmitglieder, die jetzt dabei sind seit 2008 – die letzten sind 2010 dazugekommen, der Piet und der Gerd – für die war von vornherein klar, das ist jetzt die Besetzung, die halten kann. Wir hatten das auch öfter mal besprochen, wie sie sich dabei sehen. Und sie können das jetzt so nachspüren und wissen, das ist Holy Moses. Sie haben noch ihre Projekte, wo sie ihre Sachen machen können, die nicht zu Holy Moses passen. Und deswegen wäre der Gedanke falsch gewesen, dem ganzen einen anderen Namen zu geben.

Daniel: Waren die vielen Besetzungswechsel auch der Grund dafür, warum ihr 2012 die Compilation-Doppel-CD „30th Anniversary: In The Power Of Now“ gemacht habt, auf der ihr zwanzig alte Songs neu eingespielt habt?

Sabina: Ja, ganz genau! Das war genau der Grund, dass ich der Besetzung gesagt habe, ´Passt auf! Ihr sucht jetzt die Songs aus, die für euch die Lieblingssongs von Holy Moses sind; nicht meine, damit ihr euch mit der Band identifizieren könnt und sie auf eure Art und Weise einspielt!´ Und das haben wir auch gemacht, das heißt, es fehlt zum Beispiel „Current Of Death“, weil ich da ein Veto eingelegt habe, wo wir gesagt haben, okay, der ist zwar nicht auf der „30th Anniversary“, aber den möchte ich live spielen, und den wollen die Fans hören. Das ist ganz wichtig!´ Aber man merkt ja wirklich, sie haben sich die Songs rausgesucht. Sie sind ja zwanzig Jahre jünger als ich. Thomas und Piet sind 1981 geboren, also zu dem Zeitpunkt, als ich bei Holy Moses eingestiegen bin. Und da war es für mich einfach wichtig, dass sie sich wirklich damit identifizieren und die Songs einfach mal spielen auf ihre Art und Weise, und das wir so die „neue“ Band Holy Moses halt machen können. Das war für mich ein ganz wichtiger Schritt. Und für mich war auch interessant, das was sie rausgesucht haben, war das, womit sie groß geworden sind; wie sie letztendlich Holy Moses eigentlich als Fans kennengelernt haben und plötzlich dann in dieser Band spielen. Das war schon abgefahren, ja, haha!

Daniel: Ist das auch kein Problem für dich, dass sie viel jünger sind als du?

Sabina: Nein. Ich denke mir, wenn die noch Party machen, und ich denke, das habe ich alles schon gemacht, dann akzeptieren sie auch, dass ich schon ins Hotelzimmer gehe. Ich glaube, wir sind alle erwachsen genug. Ich sage mal, die Zeit hat auch gemacht, das heutzutage – habe ich das Gefühl – die Menschen in dem Alter weiter und aufgeklärter sind, als wir es damals in dem Alter waren. Ich glaube, dass kommt zum Teil auch durch das Internet. Man erfährt mehr, man bekommt mehr mit. Die Zeiten sind offener und freier noch geworden. Ich spüre den Altersunterschied höchstens dann, wenn ich schon im Bett liege und die machen noch Party, haha!

Daniel: Holy Moses bringen heute längst nicht mehr so regelmäßig Alben raus wie früher. Ist Holy Moses für dich heute nur noch ein Spaßprojekt für Zwischendurch zum Abreagieren oder immer noch eine richtige Band?

Sabina: Also es ist eine richtige Band, und es ist natürlich auch ein großer Spaß, um mich abzureagieren und einfach frei und sein zu können und einfach Party zu machen. Trotzdem ist es natürlich so, dass wir einen Plan haben, wieder eine Platte zu machen, denn das ist ja etwas, was die Fans von uns möchten und was vor allem die jüngeren Fans von uns verlangen. Und das haben sie auch verdient; nicht nur das zu hören, was ihre Eltern gehört haben, sondern dass sie auch selber etwas bei uns entdecken dürfen. Wir sind aber auch der Meinung, dass man nicht einfach zehn-zwölf Songs schreibt, die kein Potenzial haben. Es sind im Endeffekt alle Riffs der Welt schon geschrieben, und es muss halt einfach richtig gut sein. Dafür lassen wir uns einfach Zeit und sagen, wir müssen nicht unbedingt eine neue Platte rausbringen mit irgendwelchen Songs, sondern man muss es schon gut erarbeiten, dass es auch zu Holy Moses passt. Und es ist natürlich auch für meine Musiker wichtig, dass sie sich da wiederfinden, und sie Songs schreiben, wo sie hinter stehen.

holy mosesDaniel: Wie sehen eure Zukunftspläne mit Holy Moses aus? Und was meinst du, wie viele Alben stecken noch in dir? Ich weiß, es ist unhöflich, eine Frau auf ihr Alter anzusprechen, aber du bist ja nun auch keine 20-30 mehr, hehe...

Sabina: Nee, hehe! Das kann ich dir nicht sagen! Also jetzt ist erstmal der Plan, wir haben gerade auf der „70.000 Tons Of Metal“ gespielt und spielen jetzt noch ein paar Open Airs, wir spielen nächstes Wochenende in Andernach, danach fliegen wir nach Schweden, auf dem Headbangers Open Air spielen wir auch. Dann fliegen wir von da aus nach Frankreich auf ein großes Festival, im Dezember haben wir eine Show in Tschechien und dann noch zwei weitere geplant. Wir gucken einfach, wie die Zeit dazwischen ist, was wir für Ideen haben für Songs. Wir lassen das auf uns zukommen. Wir müssen immer gucken, wie das in unseren Plan passt. Die Jungs haben auch noch andere Bands. Piet spielt noch in einer Jazzband, Piet und Tom spielen noch zusammen in einer Band, die heißt Klonque. Alle haben ihre Jobs dabei und wir schauen einfach, wie es sich ergibt. Meine Praxis war ja jetzt auch zwei Wochen zu. Ich hatte mir einfach zwei Wochen Urlaub genommen, weil ich ja schon zwei Tage vorher nach Florida geflogen bin. Dann haben wir uns auch noch einen Tag nachher genommen. Wir waren ja insgesamt acht Tage unterwegs und an den anderen Tagen habe ich dann den Rest von meinem Buch auch noch geschrieben. Das ist auch das höchste, was ich gerade mache, wenn ich die Praxis mal zwei Wochen geschlossen habe. Es war einfach mal ein schöner Urlaub, den ich mir gegönnt habe.

Daniel: OK, Sabina! Das Schlusswort gehört Dir!

Sabina: Na ja, wichtigstes Schlusswort ist natürlich ein Dankeschön an unsere ganzen Fans, dass sie uns auch nach 35 Jahren immer noch die Treue halten und uns einfach so akzeptieren, wie wir sind, weil es einfach das größte ist, was man erleben kann als Musiker nach all den Jahren!

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Autor: Daniel Müller