Daniel: Hallo Mikael! Hypocrisy feiern 2011 bereits ihr 20-jähriges Bestehen. Ihr habt schon zum 10-jährigen Jubiläum eine Compilation veröffentlicht. Wie kam es denn, dass ihr die DVD „Hell Over Sofia – 20 Years Of Chaos And Confusion“ ausgerechnet in Bulgarien mitgeschnitten habt?
Mikael: Welche Show wir für die DVD aufnehmen wollen, war eine wirklich schwierige Entscheidung, da wir über die Jahre an so vielen verschiedenen Orten gespielt haben. Peter hat dann aber erzählt, dass er vor einer Weile mit Pain in Bulgarien gespielt hat und da Hypocrisy zuvor noch niemals dort waren, haben wir uns für Sofia entschieden. Es war riskant, da wir nicht wussten, was uns erwarten könnte. Entweder hätten die Menschen dort denken können, dass wir uns nicht um sie scheren und deshalb 20 Jahre lang nicht dort gespielt haben oder aber sie hätten sich freuen können, dass wir nach so langer Zeit endlich auch zu ihnen kommen. Glücklicherweise haben sie sich letzten Endes gefreut und es war wirklich eine super Show. Im Nachhinein bin ich sehr froh, dass wir das Konzert in Sofia aufgenommen haben. Aber das könnt ihr euch auf der DVD ansehen!
Daniel: Was macht die bulgarischen Fans anders als z. B. die in Deutschland oder Schweden, wo ihr ebenfalls viele Leute zieht? Und wie wichtig ist Bulgarien generell für Hypocrisy?
Mikael: In Österreich oder Deutschland kann man ja quasi jeden Abend zu einem Konzert gehen. In Bulgarien sind die Leute froh, wenn einmal im Monat eine tolle Band auftaucht. Peter hat zuvor mit Pain in Bulgarien gespielt und meinte, dass die Leute dort total verrückt sind.
Daniel: Wie habt ihr die Setlist für die DVD festgelegt? War es Euch wichtig, Songs aus allen Epochen der Band zu spielen? Oder habt ihr die Fans wählen lassen?
Mikael: Wir haben die Setlist selbst zusammengestellt. Lediglich das von Peter ungeliebte "Catch 22" wurde nicht berücksichtigt. Ansonsten haben wir von jedem Album mindestens einen Song gespielt.
Daniel: Lass uns mal in der Vergangenheit von Hypocrisy wühlen, OK? Euer Debüt-Album „Penetralia“ erschien 1992 und enthielt fast ausschließlich antichristliche und satanische Texte („Impotent God“, „Jesus Fall“, „God Is A…“, „Burn By The Cross“, „Lead By Satanism“). Lag das an Eurem alten Sänger, der später bei Dark Funeral einstieg, bei denen er weiterhin satanischen Metal machte?
Mikael: Nun, wir sind stolz auf unser Debüt; klar! Das war damals unsere Persönlichkeit. Und wie es heute aussieht, weißt Du ja. Wir wollen nichts ändern oder entschuldigen, was wir einmal von uns gegeben haben. Ich wünsche mir nur, dass wir auf unseren ersten Alben spielerisch besser drauf gewesen wären. Aber ich bin immer noch stolz auf sie. Die satanischen Texte waren damals von unseren musikalischen Einflüssen wie Venom, Slayer und Destruction beeinflusst.
Daniel: Ihr habt daraufhin hauptsächlich die Alien-Thematik in Euren Texten behandelt. Warum gerade dieses Spektrum, das für Death Metal völlig untypisch ist?
Mikael: Ich selbst nicht so sehr. Ich sehe mir zwar gerne diese Dokumentationen an, die sie im Fernsehen zeigen. Aber ich bin nicht so sehr interessiert wie Peter, der ist ja völlig darin vernarrt. Ich weiß nicht genau warum… Er ist einfach davon fasziniert, weißt Du? Seit den 90ern handeln unsere Texte davon und haben uns dadurch von vielen anderen Bands unterschieden. Es ist wie die eigene Fantasie, wenn man ein Buch schreibt.
Daniel: Nach Eurem Image-Wechsel hattet ihr 1996 auf dem „Abducted“-Album einen großen Club-Hit: „Roswell 47“, der Eure Fans in zwei Lager spaltete. Wie steht ihr heute zu diesem Song? War er ein Segen oder ein Fluch für Hypocrisy?
Mikael: Ja, "Abducted"! Auf den ersten Alben haben wir viel experimentiert, einfach Musik gemacht, wie sie uns in den Kopf kam und waren uns nicht wirklich im Klaren darüber, was wir wirklich machen wollten. Doch auf "Abducted" hatten wir schließlich unseren Stil gefunden. "Roswell 47" und "Abducted" sind auf jeden Fall meine Lieblingssongs.
Daniel: Es ging damals das Gerücht um, dass „The Final Chapter“ (1997) das letzte Hypocrisy-Album sein sollte. Wie kam es dazu, das es danach mit dem selbst betitelten Comeback-Album „Hypocrisy“ trotzdem nahezu nahtlos weiter ging?
Mikael:„The Final Chapter“ sollte 1997 das letzte Hypocrisy-Album werden, weil sich Peter auf sein Abyss Studio und sein neues Projekt Pain konzentrieren wollte. Glücklicherweise überdachte er diesen Schritt noch einmal. Es kamen viele Leute auf uns zu und meinten, dass wir das unmöglich tun könnten. Uns wurde bewusst, welchen hohen Stellenwert Hypocrisy mittlerweile hatten und wie sehr wir unsere Fans enttäuschen hätten, wenn wir die Band zu Grabe getragen hätten. Nein, wir konnten Hypocrisy einfach nicht auflösen! Das wäre ein Verbrechen an unsere Fans gewesen.
Daniel: Eure Musik wurde danach zunehmend moderner. War das Zufall oder Absicht? Inwieweit haben sich Eure musikalischen Einflüsse im Laufe der Jahre verändert?
Mikael: Eigentlich haben wir immer noch mehr oder weniger dieselben Einflüsse. Aber es fühlt sich anders an. Wir haben aber auch viele neue Einflüsse dazu bekommen, z. B. Depeche Modes „Ultra“-Album: Ich mag aber genauso z. B. die erste Deicide. Bei uns liegt alles so dazwischen. Weißt du, für uns war es damals einfach nur ein weiterer Schritt. Und "The Arrival" war der nächste, andere Schritt. Manchmal muss man sich eben entwickeln. Und manchmal machst du eben Alben, die manche Leute mögen, und manche nicht. Ich denke, das Wichtigste ist, dass du selbst damit glücklich bist. Wir sind es und ich bin immer noch glücklich damit.
Daniel: Wieso hat Euch Euer Ex-Schlagzeuger Lars Szöke eigentlich 2004 verlassen? Eure Besetzung war doch bis dahin ziemlich stabil…
Mikael: Es gab nach zwölf Jahren "unüberbrückbare Differenzen". Ich glaube, er ist einfach etwas müde geworden. Er wollte sich nicht wirklich weiterentwickeln und besser werden. Lars ist ein guter Drummer. Aber wir mussten ihm immer in den Arsch treten, ihm sagen, dass er es besser machen soll. Wir wollen dieses Mal eine richtig gute Band sein.
Daniel: Seit 2000 hat Peter Tägtgren zusätzlich sein Solo-Projekt Pain. Außerdem arbeitet er auch viel als Produzent. Hast Du den Eindruck, dass Hypocrisy dadurch zeitlich eingeschränkter sind als früher? Und stört Dich das?
Mikael: Es gehört zu Peters Charakter. Er ist ein umtriebiger Mensch. Und von daher ist es doch vollkommen normal, dass er mehrere Ventile braucht, um seine Energien loszuwerden. Wir beide ergänzen uns prächtig. Von daher schaue ich mit Neid in Richtung seiner anderen Betätigungsfelder. Ich bin kein voll professioneller Musiker. Ich habe neben Hypocrisy einen ganz geregelten Job, dem ich nachgehe. Aber das ist OK so.
Daniel: Seid ihr nach 20 Jahren mit Eurem kompletten Schaffen zufrieden? Oder gibt es im Nachhinein auch Alben oder Songs, die ihr lieber anders oder auch gar nicht veröffentlicht hättet?
Mikael: Natürlich mag ich alle unsere Alben. Es gibt welche, die habe ich lieber als andere, aber sie zu kategorisieren fällt mir schwer. „Abducted“ beispielsweise war ein verdammt wichtiges Album. Dort haben wir unseren Stil gefunden und außerdem gelernt, wie wir am effektivsten zusammenarbeiten können. Für Hypocrisy war das Album rückwirkend betrachtet bahnbrechend. Das Album, das mir am wenigsten gefällt, ist „The Fourth Dimension“! Wir haben es in einem Stockholmer Studio mit einem fremden Engineer aufgenommen. Und das Album ist vom Sound her richtig mies geworden. Ehrlich, ich hasse den Sound dieses Albums! Der gute Mann hatte keine Ahnung von Metal. Schade, denn die Songs sind teilweise richtig gut. Und seltsamerweise mochten unsere Fans „The Fourth Dimension“. Aber diese Erfahrung machen wohl viele Metalbands , und manchmal ist es eben besser, auf Altbewährtes zu setzen.
Daniel: Wie sehen Eure Zukunftspläne mit Hypocrisy aus?
Mikael: Auf jeden Fall genießen wir es, Musik zu machen, Alben aufzunehmen und zu touren, aber auf jeden Fall wollen wir noch mehr! Es gibt beispielsweise noch immer Orte, wo wir noch nicht waren und dort wollen wir natürlich noch spielen. Aber lassen wir uns überraschen, was passiert!
Daniel: OK, Mikael! Die letzten Worte gehören Dir!
Mikael: Wir haben diese DVD für euch Fans gemacht, also schaut sie euch an, viel Spaß dabei! Und ich hoffe, wir sehen uns auf der nächsten Tour.
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